Die Anhebung der Altersgrenze wäre überflüssig, hätte die Regierungskoalition ihre Hausaufgaben in der Arbeitsmarktpolitik erledigt

Das geht besser: Tausende Kolleginnen und Kollegen wollen nicht bis 67 schuften

Die große Koalition hat die Rente ab 67 durchs Parlament gepaukt. Die längere Lebenserwartung und der veränderte Altersaufbau unserer Gesellschaft sind ihre wesentlichen Argumente. Aus demographischen Gründen sei ein höheres Renteneintrittsalter unausweichlich, suggerierte die Koalition in der parlamentarischen und öffentlichen Debatte. Aber 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben sich davon nicht überzeugen lassen, ergab eine Umfrage des Instituts für Finanzwirtschaft in Freiburg. Sie halten die Rente mit 67 für falsch und folgen eher den Argumenten der protestierenden Gewerkschaften.

Nach der jetzt beschlossenen Regelung verschiebt sich der Zeitpunkt des regulären Renteneintritts ab 2012 stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr, obwohl die meisten älteren Arbeitnehmer/innen nach wie vor nicht frei über den Zeitpunkt ihres Renteneintritts bestimmen können. Entscheidend ist die Situation auf dem Arbeitmarkt: Nach Untersuchungen der OECD standen 2004 nur 38,4 Prozent der 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen und weniger als ein Drittel der Arbeiter und Angestellten in Deutschland noch im Beruf. Die meisten anderen wurden von den Arbeitgebern herausgedrängt.

Wer mit 50 nicht "drin" ist, hat praktisch keine Chance mehr

Diese niedrige Erwerbsquote der älteren Beschäftigten ist Folge eines verheerenden Personalabbaus in den Unternehmen. In fast der Hälfte der Betriebe und Verwaltungen gibt es keine Beschäftigten mehr, die älter als 50 sind. Die Folge: Rund 55 Prozent der 55- bis 64-Jährigen zählen zur Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Wer mit über 50 nicht mehr "drin" ist, hat praktisch keine Chancen, jemals wieder reinzukommen. Solange dies nicht verändert wird, bedeutet die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters nichts weiter als noch längere Arbeitslosigkeit, noch größere Abschläge bei Frühverrentung - oder eine Mischung aus beidem.

Es geht auch anders: In Dänemark liegt die Erwerbstätigenquote bei den 55- bis 64-Jährigen bei knapp 60 Prozent, in Schweden sogar bei knapp 70 Prozent (siehe Grafik). Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2010 europaweit eine Erwerbsquote von mindestens 50 Prozent zu erreichen, elf Prozent höher als derzeit in Deutschland. Die Personalpolitik in den deutschen Unternehmen muss sich also radikal ändern, um wenigstens diese Durchschnittsquote zu erreichen. Aber die Aussichten dafür sind schlecht, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Umfrage feststellte: Nur jedes zweite Unternehmen ist zur Einstellung von Menschen dieser Altersgruppe ohne Bedingungen bereit. 16 Prozent verweigern sich ganz, 20 Prozent fordern Lohnkostenzuschüsse (aus Steuergeldern), 15 Prozent wollen nur befristet oder in Teilzeit einstellen.

Ob die Initiative 50plus der Bundesregierung an dieser restriktiven Einstellungspolitik der Unternehmen etwas ändert, ist mehr als fraglich. Das Vorläuferprogramm Perspektive 50plus hat seit Oktober 2005 ganze 10000 Jobs für Ältere gebracht, viele davon wohl eher infolge eines Mitnahmeeffekts durch die Arbeitgeber, die bereitgestellte Subventionen abgegriffen haben.

Das alles belegt: Nicht die demographische Entwicklung verursacht die angebliche Krise der Rentenversicherung, sondern eine Politik der Arbeitgeber, die immer mehr arbeitsfähige Menschen aus dem Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit und Frühverrentung drängt. Mit dem "Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz" will die Regierung also nicht das Rentenniveau absichern (das sinkt als Folge höherer Abschläge), sondern die Beitragshöhe, sprich die Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber stabilisieren. Die Koalition will die Beiträge bei 20 Prozent deckeln, obwohl diese nach bisheriger Rechtslage bis zum Jahr 2030 auf 23 Prozent steigen könnten, so der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Herbert Rische.

Die Unternehmen, also die Verursacher des Problems, werden vor vermeintlich zu hohen Sozialabgaben geschützt, die älteren Beschäftigten und zukünftigen Rentner müssen es bezahlen. Wer zum Beispiel mit 60 aus Hartz IV in die Rente wechselt, wird heute mit 18 Prozent Rentenabschlägen bestraft. Nach der stufenweisen Anhebung des Rentenalters werden die Abschläge noch größer. Kein Wunder, dass das Gesetz als "Rentenkürzung" kritisiert wird.

Es geht auch anders

Die Gewerkschaften und Sozialverbände plädieren für eine Erwerbstätigenversicherung, die alle Erwerbstätigen gleichermaßen in die gesetzliche Altersversorgung einschließt. Damit ist eine Ausweitung der Beitragseinnahmen verbunden, der Beitragssatz bliebe ohne Anhebung der Altersgrenze deutlich unter 20 Prozent. Auch ein anderes Argument für die Anhebung der Altersgrenze, auf das Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering (SPD) gern verweist, der gegenüber früher deutlich spätere Berufseinstieg der Jugendlichen, ist fragwürdig. Verschwiegen wird: Die Ausbildungsverweigerung der Arbeitgeber zwingt jedes Jahr zigtausende junge Leute in Warteschleifen und Praktika. Auch hier gilt die Aufforderung von DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach: Bevor das Renteneintrittsalter erhöht wird, sollte die Bundesregierung erst einmal den Arbeitsmarkt in Ordnung bringen.

Die Personalpolitik in deutschen Unternehmen muss sich radikal ändern