Wo rohe Kräfte walten


Sunshine

"Dreht man einen Science Fiction, ist man ständig von Geistern und Regeln umgeben, denen man gehorchen muss." So erläutert Regisseur Roddy Doyle seine ersten Erfahrungen mit diesem Genre. Ähnlich mag es dem Kinobesucher ergehen, bei dem solche Geister bestimmte Erinnerungen wachrufen. Manchmal aber vernebeln sie auch eine unverbrauchte Sicht auf ein Genre, das - zugegeben - viel Weltraumschrott produziert hat, aber eben auch prägende Filmklassiker. Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum, Tarkowskijs Solaris, Trumbulls Silent Running - Lautlos im Weltall. Man muss eben bei den Besten abgucken, wenn man nicht jedes Rad ständig neu erfinden will. Trotzdem trägt Sunshine unverkennbar Doyles Handschrift. Seine bisherigen Filme - Trainspotting, 28 Days later, Millions - sind bei unterschiedlicher Qualität allesamt physisch, aggressiv und ihre Bildsprache auf der Höhe der Zeit. Auch Sunshine ist in jeder Hinsicht ein Kraftakt. Im Jahr 2053 geht der Sonne die Energie aus, auf der Erde ist es entsprechend ungemütlich. Eine internationale, 8-köpfige Crew aus Wissenschaftlern, einem Psychologen und einem Physiker macht sich mit der Icarus II auf den Weg. Im Gepäck befindet sich das gesamte spaltbare Material, das die Erde zu bieten hat. Eine Riesenbombe die, innerhalb der Sonne gezündet, eine Art zweiten Urknall simulieren und sie mit neuer Kraft aufladen soll. Einen technischen Fehler und eine logische Entscheidung später folgt das Raumschiff den überraschend aufgefangenen Signalen der vor Jahren verschollenen Icarus I, zwei Bomben scheinen trotz Umweg besser als eine. Doch die Icarus I wird sabotiert vorgefunden und von nun an häufen sich Pannen, die das Leben der Crew bedrohen, noch bevor sie ihr Ziel erreicht. Bei aller psychologischen Zeichnung der Figuren und ihrer brillianten Besetzung - die Hauptrolle in diesem Film spielt die Sonne. Es sind spektakuläre Bilder von atemberaubender Ästhetik, die die Macht und die Strahlung der Sonne mit allen Sinnen erfahrbar machen. Und wie jedem gutem Science Fiction gelingt Sunshine ein recht modernes Statement zum ewigen Streit zwischen Wissenschaft und Glauben. Sehr klug, sehr spannend und ohne falsches Pathos. Jenny Mansch

GB 2006, R.: Roddy Doyle, K.: Alwin Küchler; B.: Alex Garland; D.: Cillian Murphy, Michelle Yedh, u.a., 108 Min., Kinostart: 19. April


Mach doch, was du willst

Ein 12-jähriges Mädchen möchte später einmal Tierpflegerin werden, sagt sie. Und striegelt dabei ein Pferd. Allerdings sind Freunde wichtiger als Tiere, denn "mit Pferden kann man nicht ins Kino gehen", stellt die Kleine fest. Sie ist eine der Darstellerinnen eines zehnminütigen Kurzfilms, der Jugendliche zwischen 12 und 20 über ihre Wünsche befragt. Sie erzählen, was sie einmal werden wollen, ob sie Familie wollen, was ihnen Angst macht und was im Leben wichtig für sie ist. Der kleine, stille Film ist einer von elf Kurzfilmen, die ab 1. Mai in Kinos und im Fernsehen zu sehen sind. Zum Teil sind es Comics, zum Teil kurzweilige Spielfilme, aber alle kreisen um das Thema Arbeit. Arbeit, die man haben möchte, Arbeit, die man nicht machen möchte, oder Arbeit, die es gar nicht gibt. Im Film Bus nehmen sich Menschen einfach Arbeit und erzwingen einen Lohn. Kurz und gut!PEWE

www.machdochwasduwillst.org


Inland Empire

Furchterregende Déjà-Vus, unklare Identitäten, Traumen, Schizophrenien und rätselhafte Zeitsprünge: Wieder rührt David Lynch an Urängsten und Zweifeln an der eigenen Wahrnehmung. Nur dass er diesmal die Erzählstrukturen noch stärker aufhebt als in seinem Mystery-Thriller Mulholland Drive, auf den er beziehungsreich anspielt. Standort ist abermals Hollywood, und wieder beginnt alles mit einer mehr als düsteren Prophezeiung: Kurz vor Dreh- beginn erfahren die Hauptdarsteller, dass ihr Film eigentlich ein Remake ist - die Schauspieler des Originals kamen zu Tode. Lynchs Muse Laura Dern, die in Blue Velvet schon die Liebe personifizierte, arbeitet sich wie ein rettender Engel durch klaustrophobische Gänge zu einer vergewaltigten Frau vor, die Entsetzliches auf einem Monitor beobachtet. Inland Empire ist nicht nur ein Schauermärchen, sondern bezieht auch gesellschaftskritisch Position gegen die Prostitution. Und doch: Vielleicht ist alles nur eine Illusion in dieser "längsten Geschichte des Radios", in der die Menschen auf den Spurrillen einer Platte wandeln - und sich bisweilen selbst aus der Ferne sehen wie aus einer anderen Zeit. KLUSA, POLEN, FRANKREICH 2006, R: DAVID LYNCH, D: LAURA DERN, JUSTIN THEROUX, JEREMY IRONS, U.A. 172 MIN., KINOSTART: 26.4.2007