ver.di Hamburg gibt eine Vermögensuhr in Auftrag

Immer, wenn es um die staatliche Verschuldung von Deutschland geht, wird die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler ins Bild gerückt und der rasende Anstieg der digitalen Zahlenkolonnen schindet gehörig Eindruck. Ausgeblendet wird dabei, dass neben die angehäuften Schulden das bestehende Vermögen gestellt werden muss, um die Bilanz zu vervollständigen. Was jeder Bürger weiß, der sich schon einmal Geld geliehen hat und dafür seine Vermögenswerte als Sicherheit angeben musste, gerät in der öffentlichen Betrachtung aus dem Blickfeld. ver.di PUBLIK hat den Wirtschaftswissenschaftler Heiner FlassbeCk, Director Division on Globalization and Development Strategies bei der UNCTAD in Genf und Honorarprofessor an der früheren Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, zu dem blinden Fleck in der Debatte befragt.

So wird die ver.di-Vermögens?uhr aussehen

ver.di

PUBLIK | Sie haben vorgeschlagen, neben die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler eine Vermögensuhr zu hängen. Warum?

flassbeck | Nur wer das Vermögen kennt, kann die ökonomische Bedeutung von Schulden abschätzen. Schulden sind, im Gegensatz zu dem, was klein Hänschen glaubt, nichts Böses, sondern notwendiger Bestandteil einer Wirtschaft, in der gespart wird. Würde sich nämlich niemand verschulden, könnte auch niemand sparen. Ersparnisse und Schulden sind jeweils Spiegelbilder, es gibt nicht das eine ohne das andere. Deswegen ist das dauernde Zeigen der Schuldenuhr eine so schlimme Entgleisung unserer Mediengesellschaft. Leute, die ökonomisch nicht bis drei zählen können, benutzen diesen Unsinn, um die Menschen zu verunsichern.

ver.di PUBLIK | Unter der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler steht: "Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen." Ihre Bewertung?

flassbeck | Das Verhältnis von Staatsschulden zu Steuern ist zu kompliziert, als dass man es in solche Phrasen fassen könnte. Entscheidend ist zum Beispiel der Zins, den der Staat auf die Schulden bezahlt. Ist der Zins geringer als die Wachstumsrate, kann der Staat sich verschulden, ohne dass man später die Steuern erhöhen muss, um die Schulden zurückzuzahlen, wie gerade selbst der Sachverständigenrat festgestellt hat. Zwar kann man im Einzelnen nachvollziehen, dass sich viele fachfremde Politiker von den gewaltigen Zahlen bei der öffentlichen Verschuldung beeindrucken lassen - unbegreiflich ist jedoch, warum sich intelligente Menschen, ob Ökonomen oder nicht, immer noch und immer wieder dem unsinnigen Argument von der Belastung zukünftiger Generationen durch staatliche Schulden hingeben.

Niemand kann bestreiten, dass in Deutschland die Mittel, die der Staat am Kapitalmarkt aufnimmt, von Inländern aufgebracht werden. Deutschland verschuldet sich nicht im Ausland. Im Gegenteil: Das Ausland verschuldet sich massiv im Inland: Im Jahr 2006 haben die Schulden, die das Ausland neu aufgenommen hat, in der Größenordnung von 150 Milliarden Dollar gelegen. Verschuldet man sich aber nicht im Ausland, entsteht für jeden Euro, den der Staat als Verschuldung verbucht, eine Forderung eines Inländers gegenüber dem Staat in Höhe von genau einem Euro.

Daraus folgt, dass sich die gesamtgesellschaftliche Verschuldung durch die höhere Verschuldung des Staates überhaupt nicht ändert. Deutschland insgesamt verschuldet sich selbst bei steigender Staatsverschuldung nicht und deswegen können auch die zukünftigen Generationen nicht belastet werden. Mit anderen Worten, wir vererben die staatlichen Verbindlichkeiten an zukünftige Generationen, wir vererben aber auch die denen notwendigerweise gegenüberstehenden Forderungen an zukünftige Generationen, sodass deren Vermögensposition per saldo vollkommen unabhängig von der staatlichen Verschuldung ist. Hätte man die wunderbare Kampagne "Du bist Deutschland" durch einen Slogan bereichert, der einem jungen Menschen zuruft: "Du bist Schuldner und du bist Gläubiger des Staates zugleich", hätte man einen wirklichen Beitrag zur Volksaufklärung und zur Volksberuhigung leisten können.

Kein vernünftiger Mensch kann diese einfache Logik bestreiten, und ich habe auch noch nie jemanden gesehen, der das in einer direkten Konfrontation bestritten hätte. Dennoch ist die "Generationenfrage", wie man in Deutschland gerade wieder einmal beobachten kann, nicht aus der Welt zu schaffen.

ver.di PUBLIK | Sollte der Staat sich genauso sparsam verhalten wie ein fürsorglicher Familienvater?

flassbeck | Der Staat ist kein Familienvater und sollte sich auch nicht wie einer verhalten. Interview: W. Rose

Noch ein Beitrag zur Debatte...

Robert von Heusinger, Redakteur bei ZEIT online, erklärt sich den blinden Fleck in der Debatte damit, dass die Einflussreichen in unserer Gesellschaft von Staatsschulden eben keinen Vorteil haben:

"Warum aber erklären Ökonomen und Politiker uns nie die Vorteile der Staatsverschuldung? Ich fürchte, das hat mehrere Ursachen: Zum einen ist es sehr schwierig für einen Finanzminister, der neue Schulden befürwortet, die unstillbaren Wünsche seiner Kabinettskollegen in Grenzen zu halten. Zweitens ist es gar nicht leicht, zwischen Investitionen und Staatskonsum zu unterscheiden. Und drittens passen Staatsschulden vor allem den Reichen und Wohlhabenden nicht. Sie können sich Schulen, Universitäten und Autobahnen selbst leisten. Dafür brauchen sie keinen Staat. Die weniger gut Betuchten profitieren dagegen deutlicher von den Schulden und den damit finanzierten Ausgaben. Denn sie zahlen zunächst wenig oder keine Steuern, erhalten aber die Aussicht auf Jobs, bessere Bezahlung und damit auf einen höheren Lebensstandard in der Zukunft. Deshalb ist die Frage, ob sich der Staat verschulden darf, immer auch ein aufklärerisches Projekt.

Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 vor Christi) möge mein Zeuge für die letzte Behauptung sein. Der Emporkömmling formulierte: ,Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert, die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.'

Kommt uns irgendwie bekannt vor, nicht wahr? Die gleiche Leier nun schon seit über 2000 Jahren."