SIBYLLE SPOO ist ver.di-Juristin und zuständig u.a. für Mitbestimmungspolitik im Fachbereich 9

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat innerhalb weniger Monate mit zwei wichtigen Entscheidungen die Tarifautonomie gestärkt und den Gewerkschaften Recht gegeben. In einem Fall aus dem ver.di-Organisationsbereich entschieden die Richter, dass der bloße Austritt eines Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband künftig nicht mehr ausreicht, um sich der Anwendung geltender Tarifverträge zu entziehen.

Vielmehr gilt nun: Wenn in Arbeitsverträgen, die nach dem 31. Dezember 2001 abgeschlossen wurden, auf den einschlägigen Tarifvertrag "in der jeweils geltenden Fassung" verwiesen wird, dann ist der Arbeitgeber selbst nach einem Austritt aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband verpflichtet, auch die nach seinem Austritt abgeschlossenen Änderungstarifverträge gegenüber seinen Arbeitnehmern anzuwenden. Der Verweis im Arbeitsvertrag auf die jeweils geltenden Tarifverträge hat damit die Wirkung, dass diese dynamisch weitergelten. In Zukunft profitieren Arbeitnehmer also selbst bei einem Verbandsaustritt ihres Arbeitgebers von Tariferhöhungen oder tariflichen Arbeitszeitverkürzungen, die von ihrer Gewerkschaft durchgesetzt werden (Urteil vom 18.4.2007, Aktenzeichen 4 AZR 652/05).

Um Streiks für tarifliche Sozialpläne ging es in der zweiten Entscheidung: Gewerkschaften dürfen dazu aufrufen, wenn wirtschaftliche Nachteile aus einer Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Dieses Recht wird auch durch die gesetzlich geregelte Zuständigkeit der Betriebsparteien für die Aufstellung von Sozialplänen nicht eingeschränkt. Deshalb dürfen Gewerkschaften bei einer Betriebsänderung Tarifverträge über Abfindungen oder Qualifizierungsmaßnahmen fordern. Dafür darf auch gestreikt werden. Die Höhe der Forderungen ist von den Gerichten nicht überprüfbar.

Für die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften in Tarifauseinandersetzungen wie derzeit bei der Telekom ist dieses Urteil ein voller Erfolg. Der Versuch der Arbeitgeber, Einschränkungen der Tarifautonomie und des Streikrechts zu erreichen, ist gescheitert. (Urteil vom 24.4.2007, Aktenzeichen 1 AZR 252/06).