Doch in den Servicegesellschaften schlägt die Wut in Aktionen um

Solide, sauber und sozial - so sah das Versandhaus Quelle über viele Jahre seine Firmenkultur. Doch bei zwei Servicegesellschaften des Hauses wird jetzt Erpressung geprobt.

"Die haben hier in Sachsen jetzt Angst vor Protesten wie bei Quelle in Fürth", kommentiert Johann Rösch von ver.di das Hausverbot, das ihm für das Leipziger Verteilzentrum erteilt worden ist. Er habe einen "wilden Streik" angezettelt, so der Vorwurf. Tatsächlich war es Rösch am 20. April gelungen, rund zwei Drittel von etwa 1000 Beschäftigten aus dem Betrieb herauszuholen und zu einem spontanen Protest vor der Paketfabrik zu versammeln.

Proteste in Nürnberg

Die Bombe in Leipzig

Wenige Minuten zuvor hatte die überwiegend weibliche Belegschaft bei einer Mitarbeiterversammlung in der Kantine erfahren, dass 314 Stellen wegfallen sollen. Sie wurden vor die Alternative gestellt, mit einer Abfindung aufzuhören oder künftig 42 statt 31 Stunden pro Woche für einen auf acht Euro abgesenkten Lohn zu arbeiten und auf tarifliche Leistungen zu verzichten. Bis zum 4. Mai sollten sie sich entscheiden.

"Als diese Bombe geplatzt war, wuchs die Unruhe in der Kantine", berichtet eine Teilnehmerin. Plötzlich protestierte ver.di-Mann Rösch, der sich die Anwesenheit auch nicht von mehreren Security-Leuten hatte verbieten lassen, vom Podium aus lautstark gegen die Erpressung. Die Versammelten rief er auf, ihm vor die Werkstore zu folgen. Inzwischen hat der Gesamtbetriebsrat der QuelleNeckermann Logistik GmbH Strafanzeige gestellt, weil die Geschäftsführung die Mitbestimmungsrechte verletzt hat.

"Der Verhaltenskodex der KarstadtQuelle AG verpflichtet alle Führungskräfte auf faires und moralisch einwandfreies Verhalten", stellt Norbert Koesling fest, der bei ver.di für die Versandsparte zuständig ist. "Wie das mit den aktuellen Vorgängen zu vereinbaren ist, bleibt Geheimnis der Konzernspitze."

Unruhe herrscht in allen Service-gesellschaften, die der Mutterkonzern Ende 2005 aus seinem Versandgeschäft ausgegliedert hat. Dort wirken zwar die Branchentarifverträge noch nach, aber die neuen Firmen sind nicht mehr tarifgebunden.

Der Hammer in Nürnberg

Am Stammsitz von Quelle in Fürth und Nürnberg sollen rund 815 Beschäftigte der beiden Kundenservice-Zentren von "Quelle.Contact Customer Service" ihre Arbeit verlieren. Zwei Dritteln von ihnen wird angeboten, sich in einem neuen Kundenzentrum zu bewerben, für das Quelle noch einen Ort sucht. Der Hammer dabei: Sie sollen bei einer 42-Stunden-Woche nur noch 1100 bis 1450 Euro brutto verdienen - die Hälfte der bisherigen Gehälter. "Das ist eine Verhöhnung", rief Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Staudt Ende März bei einer ersten Protestkundgebung in die Menge. Viele Betroffene sind über 20 Jahre bei Quelle beschäftigt. "Plötzlich wirst du zum Sozialfall", stellt eine Mittfünfzigerin bitter fest und erinnert sich an die Zeiten, als die Gründerfamilie Schickedanz noch Wert auf "das Soziale" legte.

Am Gründonnerstag fanden sich knapp 1000 Beschäftigte aus Quelle-Töchtern vor der Hauptverwaltung ein. "Völlig inakzeptabel" nannte dabei auch der Fürther Oberbürgermeister Jung das unternehmerische Angebot. Anfang Juni will die ver.di-Tarifkommission von "Quelle.Contact Customer Service" eine Streik-Urabstimmung einleiten. Das hochgesteckte Ziel: Die jetzigen Beschäftigten sollen ins neue Kundenzentrum übernommen und nach Branchentarif bezahlt werden - damit nicht der Spruch wahr wird, der am 1. Mai in Nürnberg zu lesen war: "Erst mal sehen, was Quelle hat - Armutslöhne im Versand."

Tarife: Mehr Bewegung

In die Tarifrunden für den Einzel- und Großhandel kommt nach ersten Verhandlungen ohne Ergebnis jetzt mehr Dynamik. Für mehrere Bundesländer haben die ver.di-Tarifkommissionen ab Mitte Mai auch öffentliche Proteste geplant. An einigen Orten werden gemeinsame Aktionen mit Telekom-Beschäftigten erwartet.

ver.di fordert im Einzelhandel unter anderem zwischen 4,5 und 5,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt - im Großhandel sind es 6 Prozent - sowie in mehreren Regionen Mindesteinkommen von 1500 Euro. Die Arbeitgeber im Einzelhandel wollen in erster Linie die Zuschläge bei Spät- und Nachtarbeit streichen.