Die einen bedrückt Hartz IV, andere sind gestresst und würden gern mal eine Auszeit nehmen. Ein Grundeinkommen scheint da eine feine Lösung

"Die Überflüssigen" bei einer Protestaktion gegen 1-Euro-Jobs in Berlin

Eine wunderbare Vorstellung: Morgens um sechs Uhr klingelt kein Wecker mehr. Scheint die Sonne, geht es raus mit der Familie an den See. Ist es draußen grau und kalt, zieht man sich wieder die Decke über den Kopf. Endlich einmal Akt zeichnen lernen, sich um den Fußballnachwuchs kümmern oder den lang gehegten Traum verwirklichen, selbst gemachte Marmelade auf dem Markt zu verkaufen. Die finanzielle Basis dazu wird überwiesen: 1500 Euro. Ein Einkommen, das jeder Bürger und jede Bürgerin erhält. Jeden Monat.

Grundeinkommen nennt sich diese Zahlung, mal bedingungsloses Grundeinkommen, mal solidarisches, mal Bürgergeld. Gemeint ist ein garantiertes Mindesteinkommen. Jeder bekommt jeden Monat eine bestimmte Summe überwiesen, deren Höhe je nach Modell zwischen 800 und 1500 Euro liegt. Das Geld ersetzt alle anderen Transferleistungen des Staates, beispielsweise Kindergeld, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder BaföG.

Ebenso vielfältig wie die Namen der verschiedenen Konzepte sind auch die Namen derjenigen, die hinter ihnen stehen: Die Liste reicht vom globalisierungskritischen Netzwerk attac und der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen der Linkspartei über den Unternehmer Götz W. Werner bis zum thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) und dem Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar.

Eine reizvolle Alternative

"Wenn man individuell denkt, scheint das eine reizvolle Alternative", gibt Michael Schlecht zu. "Aber wenn es funktionieren würde, funktioniert es nicht mehr." Was der Leiter des Bereichs Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand meint, ist folgendes: Je mehr Leute von ihrem Recht auf bezahlte Freizeit Gebrauch machen, desto weniger produzieren die finanziellen Ressourcen für das Grundeinkommen. Dann finanziert sich das System irgendwann nicht mehr.

Dass das Thema gerade jetzt so intensiv diskutiert wird, sieht Schlecht als "kulturelle Folge hoher Arbeitslosigkeit". Die Debatte sei ein "Ausdruck der Verzweiflung von 10 bis 20 Millionen Leuten" - und ihrer "Sehnsucht nach Lebenssicherheit". Denn neu ist die Vorstellung eines garantierten Mindesteinkommens nicht. Schon im 19. Jahrhundert wurden wegen der mit der Industrialisierung verbundenen steigenden Arbeitsproduktivität erste Ideen in diese Richtung laut. In jüngerer Zeit wurde in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren über das Thema geredet, meist in der gesellschaftlichen Linken.

Sparprogramm für die Arbeitgeber

Jetzt haben auch Neoliberale das Thema für sich entdeckt. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) beispielsweise will 800 Euro im Monat auszahlen. Dafür will er allerdings die Sozialversicherung abschaffen. Das bedeutet: Jeder, der im Monat von mehr als 800 Euro leben will, muss arbeiten gehen. Wahrscheinlich sogar für einen geringeren Stundenlohn als heute. Denn die Basis von 800 Euro zahlt bereits der Staat. Ein gigantisches Kombilohnprogramm also, von dem in erster Linie die Unternehmer profitieren.

Das gibt auch Götz W. Werner zu, Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm. In seinem Buch Grundeinkommen für alle heißt es: "Andererseits kann der Arbeitgeber, der seinerseits keine Sozialabgaben mehr für seine Mitarbeiter aufwenden muss, fortan mit diesen neue, tendenziell niedrigere Gehälter aushandeln." Seine Rechnung: Verdient ein Arbeitnehmer derzeit 1600 Euro brutto, bekommt er 800 Euro Grundeinkommen vom Staat. Halbiert der Arbeitgeber jetzt seine Zahlungen, hat der Arbeitnehmer immer noch 1600 Euro. Wegen der wegfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge habe dieser, so Werner, sogar 400 Euro netto mehr als heute. Was der Unternehmer nicht so klar sagt: Auch der Arbeitgeber spart rund 1200 Euro.

Für die Arbeitnehmer ist die Rechnung nur auf den ersten Blick schön. Eine Pflicht zumindest zu einer Basis-Krankenversicherung sehen die meisten Modelle vor - bezahlt allein vom Versicherten. Wer im Alter mehr haben will, als nur das Grundeinkommen, muss privat vorsorgen. "Handfesten Lobbyismus" vermutet der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) daher auch in einem Beitrag für die Wochenzeitschrift Die Zeit hinter den Plänen. "Gewinner der Einführung des Bürgergeldes werden die Privatversicherungen sein. Denn sie treten an die Stelle der Sozialversicherung." Ein Milliardengeschäft.

Einen weiteren Vorteil für Arbeitgeber nennt die Initiative "Freiheit statt Vollbeschäftigung" auf ihrer Internet-Seite: "Sie können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen."

Die Alternativbewegung dazu ist eher im politisch linken Spektrum anzusiedeln. Ihre Modelle gehen meist von höheren monatlichen Zahlungen aus. "Zu dessen Finanzierung müssten mittels enorm hoher Abgaben auf alle Erwerbseinkommen sowie sehr hoher Verbrauchssteuern überwiegende Teile des Volkseinkommens - insbesondere aus den Mittelschichten - umverteilt werden. Für solche Konzeptionen gibt es weder ökonomisch noch politisch Realisierungsmöglichkeiten", kritisiert der ver.di-Gewerkschaftsrat in einem Antrag an den ver.di-Bundeskongress.

Stattdessen verweist er auf die gewerkschaftlichen Alternativen. Der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss fordert die Erhöhung der Grundsicherung auf 420 Euro pro Monat plus Wohngeld. Mittelfristig müssten die Zahlungen für Bedürftige auf eine Summe steigen, die zum Leben reicht - ohne gängelnde Bedarfsprüfung wie bei Hartz IV. Zudem fordert der Ausschuss ein gesetzlich verankertes Recht auf existenzsichernde Erwerbsarbeit. Geschaffen werden soll sie durch Arbeitszeitverkürzung und durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm. Entlohnt werden soll sie mindestens mit dem von ver.di geforderten Mindestlohn.

Achtung, trojanisches Pferd

"Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein trojanisches Pferd. Es öffnet ein Tor für die nächste Faulenzerdebatte - mit entsprechenden Folgen", befürchtet Bernhard Jirku, beim ver.di-Bundesvorstand für die Erwerbslosen zuständig. Hinzu kommt die Bedeutung von Arbeit für den Einzelnen. "In der Diskussion über ein Grundeinkommen wird verkannt, dass Arbeit für den einzelnen Menschen mehr ist als Abhängigkeit, mehr auch als ,nur' Einkommensquelle. Sie stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt gesellschaftliche Anerkennung. Und ein Teil dieser Anerkennung steckt auch im Arbeitsentgelt", sagt Sabine Groner-Weber, Leiterin des Bereichs Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand. Untersuchungen zeigten, dass ehrenamtliche Arbeit, für die das Grundeinkommen mehr wirtschaftlichen Freiraum schaffen soll, in erster Linie von Erwerbstätigen geleistet werde.

Befürworter des Grundeinkommens argumentieren, jeder Einzelne könne bessere Arbeitsbedingungen aushandeln, wenn er nicht mehr durch wirtschaftlichen Druck auf die Annahme einer Arbeit angewiesen sei. Dazu muss die monatliche Zahlung aber hoch genug sein. Und eine ausreichende Zahl vorhandener Arbeitsplätze verbessert die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer genauso.

Weitere Links:

www.grundeinkommen.de

www.attac.de/genug-fuer-alle

www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/index.html

http://perspektiven.verdi.de/mindestsicherung


Vorstellungen zu einem Grundeinkommen gibt es viele.

In ver.di PUBLIK stellen wir drei Modelle in verkürzter Form vor. Sie geben einen Eindruck von der Bandbreite der Debatte


Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Linkspartei

Bedingungsloses Grundeinkommen

Höhe:

Etwa 950 Euro für alle über 16-Jährigen (darunter 475 Euro) plus modifiziertes Wohngeld.

Hinzuverdienst:

Belegt mit einer 35-prozentigen Sozialabgabe

Weitere Abgaben:

Einkommensteuersatz zwischen 7,5 (bei 12000 Euro pro Jahr) und 25 Prozent (ab 60000 Euro); Kranken- und Pflegeversicherung 6,5 Prozent; obligartorische solidarische Rentenzusatzversicherungversicherung 5 Prozent.

Arbeitgeber zahlen eine Wertschöpfungsabgabe und ebenfalls 5 Prozent für jeden Arbeitnehmer zur Rentenzusatzversicherung.

Begründung:

"Das bedingungslose und Existenz sichernde Grundeinkommen bedeutet eine qualitative Weiterentwicklung des Sozialstaats: Ermöglichung freier individueller Entwicklung aller Menschen, Armuts- und Repressionsfreiheit, Bürokratieferne, demokratische Gestaltung des Sozialen und ein Mehr an Umverteilung von oben nach unten."

Finanzierung:

Sozialabgabe, Börsenumsatzsteuer, Sachkapitalsteuer auf Immobilien, Primärenergiesteuer, Vermögensteuer, Tobin-Steuer auf Devisenumsätze, Luxusumsatzsteuer, Bundeszuschuss, Umbau sozialer Sicherungssysteme

Kosten (inkl. Soziale Sicherung): 1598 Milliarden Euro

Informationen: www.die-linke-bag-grundeinkommen.de


Dieter Althaus (CDU), Ministerpräsident Thüringens

Solidarisches Bürgergeld

Höhe:

800 Euro für alle über 15-Jährigen (darunter 500 Euro). Option auf ein halbiertes Grundeinkommen mit einem Steuersatz von 25 Prozent ab einem Einkommen von 1600 Euro.

Hinzuverdienst: Besteuert mit 50 bzw. 25 Prozent.

Weitere Abgaben:

200 Euro Gesundheitsprämie pro Monat

Begründung:

"Das Solidarische Bürgergeld schafft eine bedingungslose Grundsicherung. Niemand wird stigmatisiert, jeder weiß sein Existenzminimum gesichert. Alle Bürger können ihre Mündigkeit ohne existenzielles Risiko nutzen. (...) Das Solidarische Bürgergeld macht einen beachtlichen Verwaltungsapparat überflüssig, und der Arbeitsmarkt wird wieder ein echter Markt. Die Lohnnebenkosten fallen weg, das verbessert die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft deutlich, bringt den Schwarzarbeitsmotor zum Stillstand und beendet Kombi- und Mindestlohndebatten."

Finanzierung:

Wegfall von Steuerfreibeträgen; heutige soziale Leistungen wie Arbeitslosen-, Kinder- oder Wohngeld, BaföG etc. werden durch das Bürgergeld ersetzt; Einkommens- und Lohnsummensteuer.

Kosten insgesamt:

585 Milliarden Euro (davon 200 Milliarden für Krankenver- sicherung)

Informationen:

www.d-althaus.de


Götz W. Werner, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der dm-Drogeriemärkte

Bedingungsloses Grundeinkommen

Höhe:

Mindestens 800 Euro; 1500 Euro als Fernziel. Beträge können je nach Alter gestaffelt sein.

Hinzuverdienst:

Die Einkommen werden sinken, weil das bedingungslose Grundeinkommen als Sockelbetrag vom Staat gezahlt wird. Zusammen genommen soll der Einzelne aber nicht weniger haben als bisher.

Abgaben:

Höhere Konsumsteuern als heute

Begründung:

"Wir steigern die Produktivität in höherem Maße als unsere Nachfrage größer wird. Durch technischen Fortschritt sind wir heute in der Lage, alle benötigten Güter und Dienstleistungen zu erstellen, ohne dabei auf die Arbeitskraft aller ,arbeitsfähigen' Bürger in unserem Land zurückgreifen zu müssen. Das bedingungslose Grundeinkommen eröffnet jedem die Freiheit, die Arbeit zu verrichten, die ihm wirklich entspricht."

Finanzierung:

Wegfall der heutigen Geldzahlungen vom Staat und der dafür nötigen Verwaltungsbürokratie; Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wegen geringerer Einkommenszahlungen durch die Arbeitgeber sollen die Preise insgesamt nicht steigen.

Kosten insgesamt: Keine Angaben.

Informationen: Götz W. Werner: Einkommen für alle, Kiepenheuer & Witsch, 222 Seiten, 16,90 €

www.unternimm-die-zukunft.de

Arbeit stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt gesellschaftliche Anerkennung