Wer sich auf den Philippinen an Streiks beteiligt, riskiert viel

Von Ralf Leonhard

Vor leeren Schränken in einem verlassenen Betrieb. Cecille Tuico (rechts) und Resurreccion Rabelo in der Sonderwirtschaftszone in Rosario

Die Männer, die Normelita Galon und Aurora Afable kurz nach Mitternacht packten, mit Klebstreifen fesselten und mit Handtüchern knebelten, waren vermummt und bewaffnet. Die beiden Gewerkschaftsaktivistinnen hörten noch, wie ihre Streikposten-Zelte abgebrochen und auf die Ladefläche geworfen wurden, auf der sie selbst schon mit verbundenen Augen lagen. Die Männer, die einander mit militärischen Rängen anredeten, beschimpften und bedrohten sie. Dann fuhren sie los und warfen die Frauen schließlich in einen schlammigen Kanal neben der Straße. Der Überfall fand am 7. August 2007 auf dem Gelände der Phils Jeon Company in der streng bewachten Sonderwirtschaftszone PEZA in Cavite auf der philippinischen Insel Luzon statt. Problemlos waren die Vermummten an den Wächtern vorbeigekommen.

Alles für die Investoren

Die Provinz Cavite, südlich der Hauptstadt Manila, ist mit mehreren Sonderwirtschaftszonen der größte Standort für exportorientierte Fertigungsbetriebe auf den Philippinen. 558 Betriebe, vor allem aus der Textil-, Elektro- und Elektronikbranche, sind hier angesiedelt. Rund 250000 Beschäftigte mehren hier hauptsächlich Kapital aus Japan, Südkorea und den USA. Die Frauen, deren Misshandlung von den Behörden nie untersucht wurde, seien noch heute traumatisiert, sagt Cecille Tuico vom Workers' Assistance Center in Rosario, Cavite. Das Zentrum (WAC) steht den Arbeiter/innen mit Rechtsberatung und Schulungen zur Seite. Mit ihrem Streik wollte die Belegschaft der Textilfabrik einen Kollektivvertrag und die Anerkennung ihrer Gewerkschaft durchsetzen. Das steht ihnen zwar laut philippinischem Arbeitsrecht zu, doch in den Sonderwirtschaftszonen verfolge die Regierung eine gewerkschaftsfeindliche Politik, um Investoren anzulocken, sagt Cecille Tuico. Bestenfalls der "gelbe" Dachverband TUCP (Trade Union Congress of the Philippines) wird geduldet. Das kann auch Resurreccion Rabelo bestätigen. Die 48-jährige Mutter von vier erwachsenen Kindern steht seit September 2006 auf der Straße. Damals beteiligte sie sich an einem Streik im Textilbetrieb Chong Won, wo sie 16 Jahre als Näherin zum Mindestlohn angestellt war. An die raue Behandlung in einem koreanischen Unternehmen hatte sie sich gewöhnt: "Wir wurden oft angeschrien und von Vorarbeitern mit Stoffen geschlagen." Seit sie 2003 von der Belegschaft zur Gewerkschaftsvorsitzenden gewählt wurde, nahmen die Schikanen zu.

4,40 Euro pro Tag

2004 erreichten die Investoren bei der Regierung, dass die Arbeitsvorgänge in der Sonderwirtschaftszone von Kategorie eins auf Kategorie zwei hinuntergestuft wurden. Damit sank der tägliche Mindestlohn von 322 auf 298 philippinische Pesos (heute etwa 4,40 Euro), während die Lebenshaltungskosten ständig stiegen. Allein seit dem letzten Jahr hat sich der Preis für ein Kilo Reis von 20 auf 35 Pesos fast verdoppelt. Für einen Lohn, der das Überleben nicht sichert, muss man sechs Tage pro Woche schuften. Die fünf Tage Urlaub im Jahr können in der Praxis nur im Krankheitsfall in Anspruch genommen werden. Dass ihnen das staatliche Arbeitsinspektorat Recht gibt, hilft der um Legalisierung ihrer Gewerkschaft bemühten Belegschaft nicht viel. "Auf jeder Betriebsversammlung prahlen die Chefs damit, dass sie Beamte und Politiker schmieren. Deswegen hätten wir keine Chance", sagt Resurreccion Rabelo. Wer keine Ruhe gibt, lebt gefährlich. Gerardo Cristobal, der schon ein Attentat überlebt hatte, starb im März 2008 in einem Hinterhalt auf der Landstraße. Aus Waffen, die nur die Armee benutzt, wurde der Wagen des ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft in einem Betrieb des Spielzeuglabels Emi-Yazaki durchsiebt. "Obwohl man auf dem Weg Checkpoints der Polizei passieren muss, verliefen die Nachforschungen im Nichts", sagt Tuico.

Emmanuel Asuncion

"Unbekannte Täter"

Eine beliebte Methode, unbequeme Oppositionelle oder Arbeitervertreter zum Schweigen zu bringen, erlebte Emmanuel Asuncion. Das Kuratoriumsmitglied des WAC wurde unter der Anschuldigung festgenommen, an einem Überfall der kommunistischen Guerilla New People's Army auf die Nationalpolizei in der Provinz Mindoro Oriental vor über zwei Jahren beteiligt gewesen zu sein. Zusammen mit 71 anderen Namen wurde der von Asuncion in den Protokollen dort eingesetzt, wo vorher "unbekannte Täter" gestanden hatte. Den Beschuldigten ist gemeinsam, dass sie in oppositionellen Parteien oder Gewerkschaften aktiv sind. "Wenn sie mich hätten zu Wort kommen lassen, hätte ich ihnen erklärt, dass ich im Leben noch keinen Fuß in diese Provinz gesetzt habe", erklärte Asuncion nach der Vernehmung.

Einige der Beschuldigten sitzen noch immer in Polizeigewahrsam. Die anderen sind zwar auf freiem Fuß, warten aber auf ihren Prozess wegen mehrfachen Mordes.