Judith Kerschbaumer ist Leiterin der Abteilung Sozialpolitik in der ver.di-Bundesverwaltung

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ist lohn- und beitragsbezogen, das heißt sie orientiert sich am erzielten Arbeitsentgelt. Wer Beiträge für ein geringes Entgelt zahlt, bekommt später auch nur eine kleine Rente. Die Rente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens und hat Lohnersatzfunktion. Was im Erwerbsleben schiefläuft, kann die Rente nicht reparieren. Auch die jährlichen Rentenanpassungen orientieren sich an der Lohn- und Gehaltsentwicklung. Es kommt also ganz entscheidend auf die Erwerbsbiographie an.

Die gesetzliche Rentenversicherung ist aber in erster Linie eine Sozialversicherung und hat solidarische Umverteilungselemente. Diese kommen etwa Versicherten mit kleinen Einkommen zugute, die lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben, ebenso denjenigen, die Kinder erzogen oder Pflegeleistungen erbracht haben sowie Frauen, die grundsätzlich eine höhere Lebenserwartung als Männer haben. Das ist wichtig und richtig. Je mehr jedoch das Leistungsniveau abgesenkt und Versicherte darauf verwiesen werden, zusätzlich und privat - kapitalgedeckt - für das Alter vorzusorgen, desto geringer wird auch der soziale Ausgleich.

Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt in einer Schieflage befindet: Der Niedriglohnsektor weitet sich aus, prekäre und sozial ungesicherte Beschäftigung nimmt zu. Seit Jahren sinken die Löhne, statt zu steigen. In vielen Branchen, wie etwa im Einzelhandel, werden keine Vollzeit-, sondern nur noch Teilzeitbeschäftigungen angeboten - durchweg Komponenten, die sich unmittelbar auf die Rentenhöhe auswirken. Aufgrund der zahlreichen "Kürzungsreformen" werden die Zeiten, die erforderlich sind, um das Grundsicherungsniveau zu erreichen, immer länger - oder umgekehrt, immer mehr Menschen werden künftig Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen.

Dies alles ist den politisch Verantwortlichen bekannt beziehungsweise sollte ihnen bekannt sein. Sie wissen, dass Altersarmut droht und viele Menschen bereits erreicht hat. Was tun sie? Genau das Gegenteil dessen, was gerecht und sozial wäre. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat mit dem Bundestagsbeschluss am 28. Oktober 2010 die rentenrechtliche Bewertung von Alg II-Zeiten gänzlich abgeschafft und bestraft so Menschen, die länger arbeitslos sind. Sie sorgt mit ihrer unnachgiebigen Haltung gegen einen angemessenen gesetzlichen Mindestlohn dafür, dass Versicherte, die wenig verdienen, noch schneller in Altersarmut fallen. Und sie verweigert sozial abgefederte Übergangsregelungen wie zum Beispiel die Altersteilzeit. Auch sieht sie keine Notwendigkeit, dass Menschen, die zu jung für eine Altersrente, aber zu krank für eine Erwerbsarbeit sind, eine auskömmliche Erwerbsminderungsrente erhalten. Kurzum - sie ignoriert die Probleme und Sorgen des größten Teils der Erwerbstätigen, Rentnerinnen und Rentner völlig.

Über drei Jahre nach Verabschiedung der "Rente mit 67" sehen immer mehr Menschen, dass dies ein entscheidender Fehler der Politik war. Da Ältere auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen haben, bedeutet die Anhebung des Renteneintrittsalters für Viele ein längeres Verweilen in Arbeitslosigkeit. Altersarmut wird so zur unmittelbaren Bedrohung.

Was also müsste getan werden und was können und müssen wir von einer Bundesregierung, die unsere Interessen zu vertreten hat, in Sachen Rente erwarten? Die Rentenkürzungsreformen der letzten Jahre müssen rückgängig gemacht werden. Die Rente mit 67 muss abgeschafft werden. Alterssicherungspolitik muss wieder einen stärkeren Fokus auf das Soziale legen. Dazu sind beispielsweise die "Rente nach Mindesteinkommen", die heute nur noch für rentenrechtliche Zeiten bis 1992 gilt und die kleine Verdienste in der Rente sozial ausgleicht, fortzuführen und Zeiten der längeren Arbeitslosigkeit wieder und deutlich besser rentenrechtlich zu berücksichtigen.

Rente muss zum Leben reichen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Reparaturbetrieb für eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik: Wer nicht ausreichend sozialversicherungspflichtig erwerbstätig sein kann, ist im Alter oft nur ungenügend abgesichert. Deshalb muss Vollzeiterwerbsarbeit zum Regelerwerbsmodell für alle Menschen werden, ein ausreichender gesetzlicher Mindestlohn muss eingeführt, ordentliche Lohnsteigerungen müssen zu ordentlichen Rentensteigerungen führen, der Zugang zu Erwerbsminderungsrenten erleichtert und Maßnahmen zu "Gesunder Arbeit" flächendeckend vereinbart werden. Und natürlich müssen all diese Maßnahmen finanziert werden - durch einen größeren steuerfinanzierten Ausgleich in der Rente und damit mit mehr sozialer Umverteilung.

Die Bundesregierung ignoriert die Sorgen des größten Teils der Erwerbstätigen und Rentner völlig