Beitrittserklärung für ver.di

In den hessischen Kliniken werden seit Jahren die Beschäftigtenzahlen reduziert. Enorme Arbeitsverdichtung ist die Folge. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM), das 2006 privatisiert wurde. Unter der Ägide der Rhönklinikum AG hat sich die Situation der rund 6600 Beschäftigten drastisch verschlechtert. Erst Ende April wiesen Assistenzärzte in der zentralen Notaufnahme in Marburg auf "eine Gefährdung der Patientensicherheit aus Gründen der personellen Unterbesetzung/Arbeitsüberlastung" hin. Vor diesem Hintergrund erhält der Tarifvertrag, den ver.di für das UKGM abgeschlossen hat, besonderes Gewicht. Ein Gespräch mit ver.di-Gewerkschaftssekretärin Marita Kruckewitt:

ver.di PUBLIK | Mit der Mehrheit von fast 95 Prozent haben die ver.di-Mitglieder am UKGM dem Tarifabschluss zugestimmt. Was ist die Grundlage für diese hohe Zufriedenheit?

MARITA KRUCKEWITT | Es handelt sich hier nicht um einen reinen Lohntarifvertrag, sondern um einen sehr vielschichtigen Abschluss mit vielen qualitativen Aspekten für die verschiedenen Beschäftigtengruppen. Für alle ist was dabei. Insgesamt ist das Volumen auf über fünf Prozent zu beziffern. Das ist schon recht beachtlich und kann als ein Signal an die gesamte Krankenhausbranche gewertet werden.

ver.di PUBLIK | Worauf ist ver.di besonders stolz?

KRUCKEWITT | Auch hier gibt es mehrere Komponenten zu erwähnen. Ganz oben steht für mich, dass der Tarifvertrag viel für die unteren Lohngruppen tut. Ab 1. Juni gibt es einen Sockelbetrag von 40 Euro für alle. Im zweiten Schritt folgt dann im Oktober eine Erhöhung von zwei Prozent. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 100 Euro für Vollzeitbeschäftigte - Teilzeitkräfte entsprechend -, die im Mai ausgezahlt wird. Eingruppierungen werden verbessert. Das kann sich sehen lassen.

ver.di PUBLIK | Wie steht‘s um die Auszubildenden?

KRUCKEWITT | Auch sie erhalten einen Sockelbetrag, allerdings von 20 Euro. Wichtig ist zudem, dass sie ab Oktober auf das Niveau des TVöD angehoben werden. Azubis und Praktikanten erhalten auch eine Einmalzahlung von 50 Euro. Und was in den heutigen Zeiten ganz besonders wichtig ist: Es wurde eine sehr gute Regelung für die Zeit nach bestandener Prüfung gefunden. Hier wird die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis im Klinikum oder auch im Konzern angeboten.

ver.di PUBLIK | Welche weiteren qualitativen Aspekte gibt es?

KRUCKEWITT | Da ist der Servicebereich zu nennen. Dort gab es ein kontinuierliches "Abschmelzen" der Löhne bis 2014. Das ist nun durch den Tarifvertrag gedeckelt worden. 250 Euro Minus dürfen nicht überschritten werden. Wem mehr abgezogen wurde, der bekommt Geld zurück. Das gilt seit Januar. In meinen Augen ist das ein großer Erfolg. Dann ist noch die Zulage für besonders belastete Beschäftigte zum Beispiel in der Intensivpflege zu nennen. Außerdem steigen die Zuschläge für Nachtarbeit um 15 Prozent.

Und von ganz großer, auch emotionaler Bedeutung für die Beschäftigten ist, dass es Heiligabend und Silvester jeweils einen halben freien Tag gibt. Das hat einen hohen Stellenwert.

ver.di PUBLIK | Ende März war noch Stillstand in den Verhandlungen. Wieso ging es mit dem Abschluss dann relativ schnell?

KRUCKEWITT | Das erste Angebot des Arbeitgebers war grottenschlecht, das zweite etwas besser. Aber die beiden Warnstreiktage in Gießen und in Marburg haben enorme Bewegung in die Sache gebracht. Neben vielen Aktionen, insbesondere der Jugend, gab es in Gießen eine Demonstration, in Marburg eine Menschenkette auf dem Klinikumsgelände. Das war eben sehr beeindruckend.

INTERVIEW: Renate Bastian