Eines der größten ehemals landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen, das 2004 an private Investoren verscherbelt wurde, ist mit Hilfe des Senats an die Börse gegangen. Und die Mieten steigen

GSW-Wohnanlage in der Anton-Saefkow-Straße, Berlin/Prenzlauer Berg: Die Nettokaltmiete stieg hier für eine Zwei-Raum-Wohnung von 186 auf 312 Euro

Ob es denn in Berlin genug Sozialwohnungen gebe, wollte die niederländische Königin Beatrix neulich bei einem Berlin-Besuch vom Regierenden Bürgermeister wissen, und wie das funktioniert mit den steigenden Mieten in der Innenstadt. Darauf soll Klaus Wowereit, SPD, gesagt haben, dass auch viele Niederländer hier eine günstige Zweitwohnung haben. Was er der Königin nicht gesagt hat, machte er vor einigen Wochen auf einer Veranstaltung deutlich: "Wir wollen die Aufwertung bestimmter Quartiere", wird er zitiert. Darum könne es passieren, dass mehr wohlhabende Leute in diese Gebiete ziehen. Und ob es denn so furchtbar sei, "wenn sich die Leute die Miete selbst leisten können?" Mit anderen Worten: Gentrifizierung - also die Verdrängung angestammter Bewohner durch vermögendere Zuzügler - ist schon okay. Gentrifizierung gehört eben zur modernen Metropole dazu wie die Berlinale und die Strandbars an der Spree.

Nur wird die Verdrängung von Bewohnern aus ihrem Kiez längst nicht mehr nur in universitären Diskussionszirkeln und besetzten Häusern diskutiert. Die Bevölkerung im Prenzlauer Berg ist seit der Wende fast komplett ausgetauscht. Die durch die Sanierung der Altbauten gestiegenen Mieten konnten sich Studenten, Rentner und geringer Verdienende nicht mehr leisten. Und die Sanierungswelle schwappt immer weiter. Nach Prenzlauer Berg und Friedrichshain nun nach Kreuzberg. Der Wedding dürfte als nächstes fällig sein, auf Neukölln greift der teure Lifestyle bereits über.

Indes spielt sich in Berlin ein Drama in drei Akten ab. Es beginnt im Jahr 2004. Da wird das bis dahin landeseigene Wohnungsunternehmen GSW in die Freiheit des Marktes entlassen: Für 405 Millionen Euro verkauft der Senat von Berlin das Wohnungsunternehmen an die amerikanischen Investoren Goldmann Sachs und Cerberus. In der griechischen Mythologie ist Cerberus der Höllenhund und Torhüter, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Im zweiten Akt versuchen Goldmann Sachs und Cerberus 2010, ihr Unternehmen an die Börse zu bringen, machen jedoch einen Rückzieher, nachdem auslaufende Kredite ihr teures Geschmeide zu billigem Modeschmuck abwerten, und zudem die Wirtschaftskrise dazwischen kommt. Dramatisches Ende dann ein Jahr später: Im Frühjahr 2011 bringen die Eigentümer Cerberus und Goldmann-Sachs das Unternehmen an die Börse. Für 19 Euro je Aktie. Und Berlin gibt die Kontrolle über 65.000 Wohnungen aus der Hand.

Das Wohl der Mieter interessiert Aktionäre nicht

Hat der Berliner Wohnungsmarkt für einkommensschwache Haushalte nun bald gar nichts mehr zu bieten? Gehören Wohnungen an der Börse gehandelt? "Die Aktionäre wollen Dividende sehen", sagt Reiner Wild, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. "Und zwar so viel wie möglich. Das Wohl der Mieter interessiert die nicht." In der Konsequenz, so Wild, könne man davon ausgehen, dass die Bewirtschaftung der Bestände leiden wird: "Instandhaltung und Modernisierung bewegen sich jetzt schon an der Unterkante."

Die GSW - das Kürzel stand einst für "Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft" - besitzt etwa 50.000 Wohnungen in Berlin, 15.000 weitere verwaltet sie. Seit dem Verkauf des einstigen kommunalen Unternehmens an die Investoren Cerberus und Goldmann-Sachs für 405 Millionen Euro im Jahr 2004 ist von der Gemeinnützigkeit nicht viel übrig geblieben. Die durchschnittliche Quadratmeter-Miete ist seitdem von 3,90 auf 4,90 Euro gestiegen. Das ist fast ein Viertel mehr.

Unklarer ist das Bild bei Instandhaltung und Modernisierung. Im Prenzlauer Berg ließ die GSW 2007 einen ganzen Häuserkomplex modernisieren. Natürlich nicht, ohne die Mieten, wie es gesetzlich vorgesehen und auch nicht unüblich ist, dem Aufwand entsprechend zu erhöhen. Die Nettokaltmiete einer Zwei-Raum-Wohnung beispielsweise erhöhte sich durch Einbau von gefliestem Bad, Heizung und dem Anbringen eines Balkons von 186 auf 312 Euro. Vielen Mietern in dem Komplex rund um die Anton-Saefkow-Straße war der Mietanstieg allerdings zu hoch. Frei werdende, frisch sanierte Wohnungen wurden dann vielfach verkauft.

Anders in einer Siedlung der GSW in Waidmannslust, im Norden Berlins. "Da sieht man sogar von außen den Schimmel", berichtet der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Uwe Doering. Seine Regierungsfraktion hat 2004 die Privatisierung, in deren Folge der Börsengang steht, mitgetragen. Man war wegen der extrem angespannten Haushaltslage des Landes Berlin auf die Einnahmen des Verkaufs angewiesen, sagt Doering. Und doch: Die Privatisierung sei ein Fehler gewesen, räumt er selbstkritisch ein, "weil wir auf einen großen Teil der Wohnungen keinen Zugriff mehr haben." Auch beim Koalitionspartner SPD sähen das viele so. Selbst im Senat, der den Verkauf letztlich abwickelte, raune manch einer, das da was falsch gelaufen ist, ergänzt Reiner Wild vom Mieterverein. Öffentlich eingestehen will das aber niemand. Bei der GSW selbst heißt es dagegen, weder Privatisierung noch Börsengang hätten Auswirkungen auf die Mieter. "Die Rechtsform spielt doch dabei gar keine Rolle", so ein Sprecher.

Mieterschutzklauseln werden systematisch umgangen

Hätte wenigstens der Börsengang verhindert werden können? Schließlich war im Kaufvertrag festgelegt, dass ein möglicher Börsengang vom Senat genehmigt werden muss. Der Senat stimmte zu und erhielt im Gegenzug weitere 30 Millionen von der GSW. "Der Senat hatte ein großes Interesse an einem Börsengang", sagt Reiner Wild. Schließlich habe ein seriöser Geldgeber, der Interesse hatte, die GSW als Ganzes zu übernehmen, sich nicht nur beim Senat gemeldet, sondern auch Kontakt zum Mieterverein gesucht: "Er wurde nicht einmal gehört." Auch die Übernahme der Anteile durch die sechs verbliebenen kommunalen Wohnungsunternehmen der Stadt sei nicht ernsthaft diskutiert worden. Dabei hat es derartige Geschäfte in Berlin bereits gegeben. Eleganter hätte man die GSW kaum rekommunalisieren können.

Besonders ärgerlich für Reiner Wild: "Berlin gibt die Kontrolle über 65.000 Wohnungen aus der Hand".

Um das Unternehmen für den Börsengang aufzuhübschen, musste ein auslaufender Kredit in Höhe von 900 Millionen Euro bedient werden. Sechs Banken halfen, das Loch zu schließen - darunter ausgerechnet die Landesbank Berlin. Und das, nachdem sich 2009 die Eigentümer des Unternehmens 445 Millionen Euro aus der Kasse genommen hatten.

Die Mieterschutzklauseln, die der GSW beim Verkauf 2004 ins Stammbuch geschrieben wurden, gelten noch bis 2014. Was nach 2014 kommt, müsse man nach dem Börsengang besprechen, so GSW-Vorstandsvorsitzender Thomas Zinnöcker bei einer Anhörung im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses.

Eigentlich haben die Berliner das Negativbeispiel vor Augen. Die im Jahr 2004 privatisierte, an den US-Investor Fortress verkaufte und 2006 an die Börse gebrachte Gagfah, der in Berlin 28.000 Wohnungen gehören, kommt aus den Schlagzeilen gar nicht mehr heraus. 2010 zahlte die Gagfah mit 12,7 Prozent die höchste Rendite aller im MDax vertretenen Unternehmen an die Aktionäre aus, aber, so der Mieterverein, bei den Mietern werden kaum noch Mängel beseitigt. Und nun droht die Stadt Dresden mit einer Millionenklage in dreistelliger Höhe: Weil die Gagfah Mieterschutzklauseln, die beim Kauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft Woba (48.000 Wohnungen) vertraglich geregelt wurden, systematisch umgeht, will die Stadt klagen. Und da das sehr teuer werden könnte, machen unlängst Mutmaßungen über eine mögliche Pleite der Gagfah - das bisher größte an der deutschen Börse notierte Wohnungsunternehmen - die Runde. Der nächste Höllenhund steht bestimmt schon zum Kauf bereit.

GSW in Zahlen

Die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) entstand 1937 aus dem Zusammenschluss von acht städtischen Berliner Wohnungsbaugesellschaften. Nach der Teilung Berlins verlor die GSW ihre Liegenschaften im Ostteil der Stadt. 1989 verfügte die GSW über etwa 52.000 Wohnungen. Nach der Wiedervereinigung und Rückübertragung der Bestände im Osten wuchs der Bestand bis 1993 um 18.000 Wohnungen. 2004 verkaufte der Senat die GSW für 405 Millionen Euro an die Investoren Goldmann Sachs und Cerberus. Im Kaufvertrag wurden Mieterschutzklauseln festgeschrieben, deren Gültigkeit jedoch bis 2014 begrenzt ist. Im Frühjahr 2011 stimmte der Senat einem Börsengang der GSW zu. Das Land Berlin erhält dafür im Rahmen einer Ergänzungsvereinbarung einen zusätzlichen Kaufpreis in Höhe von 30 Millionen Euro. Die "GSW Immobilien AG", wie sie sich seit der Übernahme nennt, verwaltet heute 65.000 Wohnungen, von denen 48.800 der GSW selbst gehören.