Annette Jensen: Wir steigern das Bruttosozialglück | Ein kleines, elternloses Kind gibt bis auf sein letztes Hemd alles, was es besitzt, an solche, die noch viel weniger haben, und wird am Ende reich dafür belohnt. Das Märchen vom Sterntaler ist ein klassisches Beispiel von Gutmenschentum. Man kann Sterntalers Geschichte aber auch anders lesen, in seinem Glück ein frühes Beispiel für richtiges Wirtschaften sehen. Sterntaler investiert, was es investieren kann, und das macht sich bezahlt. Solche Gedanken kommen auf, wenn man Annette Jensens Buch Wir steigern das Bruttosozialglück liest. Unweigerlich, wenn sie über die Sterntaler-Währung im Berchtesgadener Land schreibt. Dort können die Menschen dieser Region seit 2004 mit zuvor in Sterntaler getauschte Euro in inzwischen 230 einheimischen Läden, bei Handwerkern, Kneipen und sogar bei Edeka zahlen. Das macht deshalb Sinn, weil so das Geld im Berchtesgadener Land im Umlauf bleibt und nicht abwandert. Das stärkt nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern hat auch etliche Arbeitsplätze gesichert und geschaffen.

Der Sterntaler ist eines von mehreren Dutzend Beispielen, die zeigen, dass wir auch anders wirtschaften könnten, als wir es vorwiegend tun. Die Autorin hat mit nahezu 100 Menschen gesprochen, sie besucht und sich zeigen und erklären lassen, wie man alternativ landwirtschaften, die Energieversorgung und den Verkehr regional und ökologisch regeln, nachhaltig wirtschaften und vor allem „das Geld im Dorf lassen“ kann. Es sind Menschen, die oft ein sehr erfolgreiches Dasein als Ingenieur oder Banker geführt haben, aber auch junge Leute, die nicht einfach aussteigen, aber es anders und fürs Gemeinwohl besser machen wollen. Menschen, die nicht reich, aber glücklich sein möchten. Und das, was sie tun, auch vor der Gemeinschaft verantworten können. So betreibt im baden-württembergischen Gammesfeld seit 1893 die Familie Vogt Deutschlands nach wie vor einzige selbstständige und genossenschaftliche Raiffeisenbank. Nach Auffassung des heute 80-jährigen Enkelsohns des Gründers hat eine Bank lediglich die Aufgabe, das Geld ihrer Kunden zu verwalten. Spekulieren damit geht gar nicht.Am Ende des Buches stellt man sich ernsthaft die Frage, ob das Erwirtschaften von Bruttosozialglück ein globale Lösung für das an seine Grenzen geratende Bruttosozialprodukt, das Streben nach immer mehr Produktion und immer höheren Gewinnen sein kann. Annette Jensen hat eine bestechend einfache Antwort: „Anders wirtschaften ist machbar, Frau Nachbar!“ Petra WelzelHERDER VERLAG 2011, 238 S., 16,95 €


Fruchtfleisch ist auch keine Lösung | Die Herausgeber wollten ein Buch veröffentlichen, das harte Fakten mit nüchterner Klugheit und vor allem mit Humor verbindet. Und das auch noch beim heiklen Thema Fleischkonsum. Gut 30 Autoren, Satiriker, und Kabarettisten wie Klaus Pawlowski, Wiglaf Droste, Hein oder Hannemann haben, ob Vegetarier oder stolze Fleischpflanze, diese Chance genutzt, um ihre satirische Sicht auf die „Ernährungslage der Nation“ loszulassen. Gedicht (besonders schön: Von der Liebe), Comic oder Horrorerinnerungen, etwa aus der Heimat Ostwestfalen, kein Format ist vor den Autoren sicher, solang es um die Wurst geht. Vor allem aber versucht keiner, den Leser zum Vegetarier zu missionieren („Fleisch: JA! Salat: NEIN!“), sondern zieht genüsslich über beide Seiten her, was zumindest das Nachdenken darüber erleichtert, wie man sich denn selbst positionieren möchte. Gut für jene, die sich zwar für das Thema und die entsprechende Lebensweise interessieren, aber genug haben von todernsten Wälzern der jüngsten Vergangenheit.(siehe Verlosung im Preisrätsel) fem

HRSG.: VOLKER SURMANN/HEIKO WERNING, SATYR VERLAG 2011, 192 S., 12,90 €


Maxim Leo/Jochen-Martin Gutsch: Sprechende Männer | „Das ehrlichste Buch der Welt.“ Klar, ohne Superlativ geht’s nicht. Wir Frauen aber haben gelernt: Männer sprechen nicht. Männer geben allenfalls Wörter von sich, die im Zusammenhang stehen mit Borussia Dortmund, 3er-BMW, Grillkohle, Bankenregulierung, Giselle Bündchen oder Baumarkt. Daher verunsichert uns dieser E-Mail-Austausch zwischen Leo und Gutsch – beide Kolumnisten der Berliner Zeitung, beide um die vierzig. Herrjeh, die sprechen wirklich verdammt viel über fast alles. Liebe, Treue, Sinn, Sex, Angst vor Nähe, Langeweile, Älterwerden, Einsamkeit, den ersten Besuch beim Urologen. Verdammt ehrlich hört sich das an. Und beim Vorlesen im vollen Kinosaal kullern beiden lachend die Tränen über die Wangen. Das beschämt uns. Die reden nicht nur, die haben auch Gefühle. Womöglich sind das doch Menschen wie du und ich, diese Männer. hik

BLESSING VERLAG 2011, 304 SEITEN, 17,95 EURO


Mensing/Thalheim: Moschee DE | „Ich habe ja inzwischen gelernt, dass in Deutschland niemand eine Moschee in seiner Nachbarschaft haben will, genauso wie niemand ein Gefängnis will, eine Mülldeponie und auch kein Atomkraftwerk.“ Zu dieser Einsicht ist der Imam gekommen, eine der Figuren im Theaterstück Moschee DE. Alle Äußerungen der Kunstfiguren basieren auf Gesprächsprotokollen, die Kolja Mensing und Robert Thalheim aufgenommen haben. Im Interview mit den Autoren im Anhang erfahren wir, wie das Stück entstand, das an den Kulturkampf erinnert, der im Berliner Vorort Heinersdorf entbrannte, als dort eine Moschee gebaut werden sollte. Das Stück vereint die Stimmen der Beteiligten, auf wieder erkennbare Gegenspieler verteilt, sehr komisch und augenöffnend. 2010 erhielt es den Kulturpreis der Evangelisch-lutherischen Landeskirche, und das, obwohl die Figur des evangelischen Pfarrers darin nicht gerade zu den Sympathieträgern zählt. Klix

LUTHERISCHES VERLAGSHAUS, HANNOVER, 2011, 128 SEITEN, MIT FOTOS V. ALEXANDER JANETZKO, 14,90 €