20 Jahre hat es gebraucht, bis das Hamburger Museum der Arbeit eröffnen konnte. Ein Museum, in dem die Museumsstücke noch im Einsatz sind und mit dem ABC der Arbeit die gegenwärtige Arbeitswelt ganz real wird

Gesundheitsschutz bei der Arbeit, der erste Personalcomputer und ein ausrangierter Arbeitsstiefel

von Petra Welzel

"Gestern Abend war es richtig laut", sagt Anne von Karstedt. Im Hamburger Museum der Arbeit wurde wie jeden Montagabend gearbeitet. An verschiedenen Druckmaschinen hier im ersten Obergeschoss, einer Holzpresse, einer Linotype und im Bleisatz. 30 Erwachsene, überwiegend Männer im Rentenalter. Setzer und Buchdrucker, die ihr Handwerk noch von der Pike auf gelernt haben. Und jetzt lernt Anne von Karstedt von ihnen. An der Monotype-Maschine verzweifelt sie noch ein wenig, "das ist hochkompliziert". Am nächsten Montag geht's weiter. Gerade ist Anne von Karstedt dabei, Plakate für den kommenden Hamburger Architektursommer zurechtzuschneiden. Arbeiten in einer Ausstellung - das gibt dem Museum der Arbeit eine doppelte Bedeutung. Hier werden nicht nur Museumsstücke ausgestellt und entstaubt, sondern Arbeit am Leben erhalten, die es heute so in der Arbeitswelt nicht mehr gibt. Weil Computer und andere neuere Techniken schon lange auch die Druckereien erobert haben. Anne von Karstedt, von Beruf Illustratorin und eine von 50 Beschäftigten des Museums, ist deshalb auch mehr als eine Werkstattleiterin. Eines Tages wird sie hier stehen und das überbrachte Wissen an die Jüngeren weitergeben müssen. "Was die alten Hasen uns sagen können, ist richtig umfangreich." Klingt nach einer Lebensaufgabe.

Vom Leerstand zum Betrieb

Das Museum der Arbeit haben sich tatsächlich viele zu einer lebensfüllenden Aufgabe gemacht. 1000 Mitglieder hat inzwischen der Verein "Freunde des Museums". "Ohne den Verein gäbe es das Museum nicht", sagt Kirsten Baumann, die das Haus seit drei Jahren leitet. Seine Geschichte ist schon über 30 Jahre alt. Ende der 70er waren in Hamburg einige traditionelle Industrieunternehmen gestorben. Auch die "New York-Hamburger Gummiwaaren Compagnie" im Stadtteil Barmbek, in der das Museum untergekommen ist, gab es nicht mehr. Der Strukturwandel in der Wirtschafts- und Arbeitswelt hinterließ Leerstellen und Leerstand. Da entstand der Gedanke, einen Verein zur Gründung eines Arbeiter/innen-Museums ins Leben zu rufen. Ein Anfang war gemacht. Auch die Örtlichkeit schnell gefunden. Die alte Gummiwaren-Fabrik. Noch heute sind in den Aufgängen und im ersten Obergeschoss die Produkte und Produktionsmittel der Fabrik zu sehen: Kämme in etlichen Variationen waren ein wichtiges Gut.

In der Nähe des Schrankes, der das Geheimnis der richtigen Gummimischung lüftet, unterhalten sich Carsten und Philipp, Behinderte aus den Elbwerkstätten, die das Aufsichtspersonal im Museum stellen. Da nichts los ist um die Mittagszeit, putzen die beiden mit Glasreiniger die Vitrinen. Sie arbeiten gern hier. "Der Carsten weiß alles", sagt Philipp, der in seinem Rollstuhl hin und her rollt. Carsten arbeitet seit neun Jahren im Museum und weiß tatsächlich sehr genau, welche Sonderausstellungen in diesen Jahren zu sehen waren. Die über das Tempo-Werk in Hamburg Harburg 2008/2009, als Philipp als Aufsicht dazustieß. Es ging nicht um die Taschentücher, sondern um die kleinen Lieferwagen mit drei Rädern, von denen noch ein himmelblaues Exemplar im Erdgeschoss steht. Oder die Sonderausstellung über die Sexarbeit 2005/2006. Die Reeperbahn, das Hamburger Rotlichtviertel, hatte den Anstoß gegeben. Die Schau machte das Museum in der ganzen Stadt bekannt, Jahre nach seiner offiziellen Gründung 1990 und seiner tatsächlichen Eröffnung sieben Jahre später.

Diese beiden Männer zählen zu den letzten, die noch den Bleisatz und die Monotype-Druckmaschine beherrschen

Da hatten die Druckmaschinen schon einige Jahre hier gestanden und wurden von den Freunden des Vereins und Interessierten genutzt. Erst war also die Arbeit, dann das Museum. Heute ist das gesamte Backstein-Ensemble der ehemaligen Gummiwaren-Fabrik das einzige Denkmal in Hamburg aus dem Zeitalter der Industrialisierung. Durch vielfältige Nutzung wird hier wieder richtig gearbeitet. Gerade rückt im Erdgeschoss ein Kindergeburtstag an. Die elf Kinder stanzen Münzen, ziehen Drahtstifte und gießen Schlüsselanhänger im Laufe des Nachmittags. "Kinder können sich hier wie Kinder benehmen", sagt Kirsten Baumann, die Museumsdirektorin. Das störe hier niemanden.

Von der Arbeitsmoral zur Zeitarbeit

Oben im zweiten Geschoss wird letzte Hand an die neue Dauerausstellung, das ABC der Arbeit, gelegt. Kirsten Baumann trifft sich mit der Ausstellungskuratorin, um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Ab Ende April wird hier neben Objekten zu Begriffen wie Arbeitsmoral, Blaumann, Telearbeitszeit oder Zeitarbeit, zum Wandel der Berufe und technischen Erneuerungen auch die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften dokumentiert sein. Historische Mitgliedsbücher, die Rabattmarkenheften gleichen, und eine alte Streikkasse gehören genauso dazu wie ein ver.di-Mindestlohnkoffer. Die Gewerkschaften streiten zwar immer noch für einen gesetzlichen Mindestlohn, aber die Kampagne für ihn hat es nun bereits in ein Museum geschafft. Errungenschaften der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung werden längst wieder ausgehöhlt, Leiharbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Arbeit, von der niemand leben kann, sind Auswüchse der gegenwärtigen Arbeitswelt. Die Mindestlohnkampagne hat hier ein Zeichen gesetzt.

Und auch das Museum der Arbeit, das auf den ersten Blick seine Profilschärfe in Wirtschaft und Technik hat, spiegelt ein Stück weit diese neue Arbeitswelt wider. Henrik Eßler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der neuen Sonderausstellung, konnte für diese Ausstellung nur per Werkvertrag beschäftigt werden. Gestern Abend ist er erst nach Hause gegangen, als es schon viele Stunden dunkel war. Wie an so vielen Arbeitstagen. Auf 1000 Euro kommt er so im Monat. Das reicht nicht, nicht für ihn und auch nicht für seine Frau und zwei kleinen Kinder. Anne von Karstedt hat immerhin eine Stelle, allerdings nur eine Zweifünftel-Stelle. Dabei kommt auch nicht viel rum. Kulturarbeit muss sich eine Gesellschaft eben leisten wollen.

Kurz und knapp

Die neue Dauerausstellung "ABC der Arbeit - Vielfalt, Leben, Innovation" ist ab dem 28. April zu sehen. Auf 400 qm2 geht sie zunächst der Frage nach, was Arbeit ist. Mühsal oder Selbstverwirklichung? Oder notwendiges Übel zum Erwerb des Lebensunterhalts? Im Mittelpunkt steht die Vielfalt der Berufe samt einer Hörstation mit Interviews, z.B. von einem Erzieher und einer Windkraftingenieurin. Der älteste Zeitzeuge ist Jahrgang 1890. Den Abschluss bilden technische und soziale Innovationen wie die EU-Standard-Palette und Arbeitskämpfe und Kampagnen der Gewerkschaften.

Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, 22305 Hamburg/Barmbek, direkt am U/S-Bahnhof Barmbek, Mo 13 bis 21 Uhr, Di-Sa 10 bis 17 Uhr, So 10 bis 18 Uhr