FliegenderWechsel

Bis zu 70.000 neue Arbeitsplätze sollen rund um den neuen internationalen Berliner Großflughafen entstehen. Wie die aussehen werden, zeichnet sich bereits deutlich ab: Die Belegschaften der Dienstleister werden gegen Leiharbeiter/innen ausgetauscht

Kurze Pause bis das nächste Gepäck kommt

VON Petra Welzel

Olga Valverdes* Wangen glühen. Ihre Augen wandern flink zwischen der Frau am Schalter der Business-Klasse und dem Computerbildschirm hin und her. "Sie fliegen nach Budapest?", fragt sie die Frau. "Ja", antwortet die. "Zwei Gepäckstücke?" - "Ja." - "Möchten Sie am Fenster oder am Gang sitzen?" - "Gang." Gleichzeitig überprüft Olga Valverde das Gewicht der Gepäckstücke, druckt Gepäckbänder und Bordkarte aus. Dann bringt sie noch schnell das Gepäckband zum Laufen und die zwei Koffer der Passagierin auf den Weg in die Gepäckförderanlage. Alles klappt, zum Glück, auch wenn das gerade nur ein Probelauf am neuen Berliner Großflughafen ist.

Aber es ist ein Test, der für Olga Valverde sehr wichtig ist. Heute soll dort nichts schiefgehen. Die vergangenen sechs Monate hat sie als Praktikantin am alten Flughafen in Berlin-Tegel Passagiere abgefertigt. Dort, wo derzeit noch die meisten Berlinflüge abgewickelt werden. Am neuen Flughafen soll sie eine feste Stelle bekommen. "Fast fest", sagt sie, weil sie zunächst einen Leiharbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit bekommen wird. Aber sie klagt nicht, nur beiläufig über den engeren Arbeitsplatz als in Tegel. Für sie ist es eine Chance. Und dass sie lediglich 800 Euro netto verdienen wird? Es ist ein Anfang, sagt sie.

Und weg damit: Maximal 25 Minuten bleiben fürs Ent- und Beladen

Oder schon das Ende. Olga Valverde wird eine von hunderten Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern am neuen Berliner Flughafen, abgekürzt BER, sein. Und sie werden immer mehr. "ProblemBER" wird der Flughafen, dessen Eröffnung Anfang Mai zum zweiten Mal verschoben wurde, gern spöttisch genannt. Wegen der Pannen beim Bau, wegen der mies bezahlten Schwarzarbeiter, die dort tätig waren, und wegen des anhaltenden Ärgers über die Flugrouten und den zukünftigen Fluglärm. Dass der Flughafen unter den vielen Beschäftigten schon als der "billigste Flughafen der Welt" gehandelt wird, weil die Leiharbeit grassiert - es ist in den Medien kein Thema. Stattdessen verspricht der Flughafenbetreiber unverdrossen 40.000 neue Arbeitsplätze, der Schönefelder Bürgermeister, auf dessen Gemeindegebiet der neue Flughafen im Werden ist, glaubt gar an 70.000. Ein Jobwunder wird beschworen, offenbar eines voller schlecht bezahlter Arbeitsplätze. Mit 800 Euro ist man in einer Stadt wie Berlin mit explodierenden Mieten, steigenden Energie- und Wasserpreisen schon am Monatsbeginn knapp bei Kasse oder pleite.

Jetzt wird es richtig stressig

Wenige Kilometer Luftlinie entfernt und in Sichtweite liegt der alte Flughafen Schönefeld. Es ist Nachmittag zwischen 16 und 17 Uhr. Im Straßenverkehr würde man von der Rush Hour, der Hauptverkehrszeit sprechen. Im 10-Minuten-Takt gehen Maschinen in die Luft, im gleichen Takt landen welche. Für die Drei-Mann-Crew um Torsten Soyke-Worch von den GlobeGround Berlin GmbH + Co.KG Bodenverkehrsdiensten wird es jetzt richtig stressig. zwölf Flugzeuge stehen oder rollen auf dem Vorfeld an. Sämtliche Motoren laufen. Es ist ein Lärm, dass man ziemlich laut werden muss, um sein eigenes Wort zu verstehen. Die drei Männer verständigen sich per Handzeichen. An die Maschine aus Bristol muss die Treppe für die Passagiere rangefahren werden, auf der anderen Seite wird die Rampe am Bauch des Flugzeuges positioniert. Torsten Soyke-Worch läuft die Rampe rauf, öffnet die Ladeluke, dann die Fangnetze, um schließlich auf seinen Knien in den Laderaum zu kriechen und ein Gepäckstück nach dem anderen über die Schultern auf die Rampe zu befördern. Unten nehmen seine Kollegen die Taschen, Rucksäcke und Koffer in die Hand und verladen sie auf die Anhänger der Gepäckwagen. In zweiter Reihe wartet schon der Wagen mit dem Gepäck zum Beladen.

Torsten Soyke-Worchs Bewegungsspielraum schrumpft mit jedem Koffer

Es muss schnell gehen. Maximal 25 Minuten haben die Männer Zeit, eine Maschine abzufertigen. Auf der anderen Seite steigen schon die Fluggäste für den Rückflug ein. Die meisten reisen nur mit Handgepäck, das große Gepäck ist deshalb fix verladen. Doch für Torsten Soyke-Worch im Laderaum heißt das, das wenige Gepäck so zu verstauen, dass es während des Fluges nicht hin- und herfliegen kann. Alle Netze müssen gespannt und mit Ösen festgezurrt werden. Noch auf der Rampe kniend, verschließt er das letzte Netz von außen, dann die Luke. Nach 20 Minuten richtet er sich zum ersten Mal wieder auf.

Es ist ein Knochenjob

Per Funk werden er und seine Kollegen zur nächsten Maschine geordert. Und Torsten Soyke-Worch kriecht wieder in den Laderaum. Die meiste Zeit seines Arbeitstages verbringt er mit schwerem Gepäck auf den Knien, in einem Raum, der meist nicht höher als 1,30 Meter und nicht breiter als drei Meter ist - wohlgemerkt ohne Gepäck. Sein Bewegungsspielraum schrumpft mit jedem Koffer, wenn er belädt. Es ist ein Knochenjob, der Knie, Rücken, Schultern und Nacken gleichermaßen extrem belastet.

Was ist der angemessene Lohn für so eine Tätigkeit? Bodenverkehrsdienstler, wie man sie am Flughafen nennt, müssen keine Logarithmen berechnen. Aber jeder ihrer Handgriffe muss sitzen, wegen der kurzen Zeit, die sie pro Flugzeug haben, und wegen der Sicherheit. Gepäckstücke, die nicht richtig verstaut sind, können einen Flieger in Turbulenzen bringen. Beschäftigte wie Torsten Soyke-Worch haben bei GlobeGround, dem Bodendienst, der derzeit noch 80 Prozent der Vorfelddienste an den Berliner Flughäfen abwickelt, nach zehn bis 15 Jahren Betriebszugehörigkeit im Schnitt ein Nettoeinkommen von 1200 bis 1500 Euro, was schon nicht üppig ist. Ihre Kollegen, die über eine Leiharbeitsfirma eingestellt wurden, gehen wie Olga Valverde mit 800 Euro netto nach Hause.

2009 hatte GlobeGround noch 2000 Tarifbeschäftigte. Das Unternehmen war gerade von der Flughafengesellschaft an den WISAG-Konzern veräußert worden, der parallel zwei Firmen ausgründete, darunter die WAPS - WISAG Aiport Personal Service, über die der Konzern Leiharbei-ter/innen wie Olga Valverde einstellt, die dann wiederum GlobeGround einsetzt. Mittlerweile arbeiten so bei GlobeGround noch 1 500 Beschäftigte nach Tarif und 500 mit Leiharbeitsverträgen - weit schlechter bezahlt. Man nennt das in der Arbeitswelt schleichendes Outsourcing. Hier am Flughafen kann man es auch als fliegenden Wechsel bezeichnen.

Schwerbehinderte raus, Leiharbeiter rein

35 Kilometer weiter gen Norden geht Klaus Leßlauer von der GlobeGround am Flughafen Tegel dem gleichen Job nach wie Torsten Soyke-Worch in Schönefeld. Seit 22 Jahren hockt er Tag um Tag auf seinen Knien in den Ladeluken von Flugzeugen, von einer kleinen Boing 737 bis zum großen Containerflieger - er kennt sie alle in- und auswendig. "Wir bewegen in acht Stunden pro Schicht sechs bis acht Tonnen Gewicht", sagt Klaus Leßlauer. Das sind pro Flugzeug ungefähr 180 bis 220 Koffer für den 1,70 Meter großen Mann. Der 50-Jährige wirkt fit und sportlich, allein das ergraute Haar lässt auf sein Alter schließen. "Knie, Ellenbogen und Rücken sind angeditscht", sagt er. Aber er habe das Glück, dass er durch seine Betriebsrats- und Vertrauensleutearbeit nur noch vier Werktage auf die Knie muss.

Klaus Leßlauer bekommt noch einen Tariflohn; er ist seit 22 Jahren auf dem Vorfeld tätig

Klaus Leßlauer war auch Mitglied der ver.di-Tarifkommission, als im April nach einer monatelangen Auseinandersetzung und Warnstreiks immerhin eine Lohnsteigerung von einem Prozent und die Höherstufung um zwei Stufen in der Tariftabelle auch für die davon bisher ausgenommenen Beschäftigten durchgesetzt werden konnte. Aber sie, die Tarifbeschäftigten, werden eben immer weniger. "An manchen Tagen sind schon bis zu 50 Prozent Leiharbeiter im Einsatz", sagt Klaus Leßlauer. Und als stellvertretender Schwerbehindertenvertreter treibt ihn noch ein ganz anderes Problem um. "Am liebsten würde der Arbeitgeber alle Kollegen, die nicht mehr an der Rampe arbeiten können, sofort loswerden und dafür neue Leiharbeiter einstellen." Zirka 100 Schwerbehinderte arbeiten noch bei GlobeGround. Überwiegend Männer, die sich im wahrsten Sinn des Wortes krumm gearbeitet haben und jetzt nur noch Sonderdienste tätigen können. "Einen Leiharbeiter, der krank wird und nur noch beschränkt einsetzbar ist, wird der Arbeitgeber viel leichter los", sagt Klaus Leßlauer.

Wie leicht man seine Mitarbeiter/innen offensichtlich los wird, erfährt man in Tegel nur ein paar Meter weiter im Terminalbereich des Hauptgebäudes. Der "Berlin Souvenirs und Geschenke"-Shop schmeißt alles zu Schnäppchenpreisen raus. Und am Ende auch seine 15 Beschäftigten, die jetzt schon neue Jobs suchen, aber noch keine gefunden haben. Und auch "Taschen Lemm" schließt, "weil das Shop-Konzept am neuen Flughafen so nicht mehr gewünscht ist", sagt eine der Teilzeitkräfte, die nun die letzten Reisetaschen und Koffer verkauft. Sie wird nach Ausverkauf und Kündigung vorzeitig in den Ruhestand gehen. Sehr viel früher als sie gedacht habe, sagt sie.

Es geht darum, über die Runden zu kommen

Sevtap Ercan-Çanatepe startet mit einem neuen Frisiersalon durch

Man findet in Tegel eigentlich nur eine Person, die mit dem Umzug an den BER durchstartet. Die Friseurin Sevtap Ercan-Çanaktepe betreibt seit sechs Jahren auf 14 Quadratmetern drei Schnittplätze in einer versteckten Ecke im Hauptgebäude von Tegel. Am neuen Großflughafen wird sich die kleine Frau entschieden vergrößern. Sie investiert in 100 Quadratmeter mit sieben Schnittplätzen und einer VIP-Lounge. Statt drei Mitarbeiter/innen beschäftigt sie seit dem 1. Mai schon 14, also einen Monat vor der ursprünglich geplanten Eröffnung des BER am 3. Juni. Der Wonnemonat war für ihre Produktschulung und Sprachkurse vorgesehen. Niemand solle bei ihr "rumstammeln", wenn die Welt zum Haareschneiden kommt.

Was sie die Verzögerung der Eröffnung kostet, ob sie Regressforderungen an den Flughafenbetreiber stellt, dazu mag sie sich nicht äußern. Auch nicht dazu, was sie ihren Angestellten bezahlt. Nur so viel: "Ich bezahle gut, weil wir nicht mal eben schnell einen Schnitt für zehn Euro machen." Mit ihren Preisen bewegt sie sich tatsächlich im oberen Niveau. Für Waschen, Schneiden, Föhnen nimmt sie momentan 45 Euro. Damit lässt sich ein Geschäft machen, wenn es läuft. Und auch anständig entlohnen.

Draußen vor dem Flughafen auf dem Parkplatz der Taxifahrer/innen geht's kaum noch ums Geschäfte machen, sondern für die meisten der gerade anwesenden rund 400 Fahrer/innen ums Existenzminimum. In einem Windfang vor einem mit Gittern verrammelten Kiosk, der so auch ein paar Kilometer weiter im größten Männerknast Deutschlands, der JVA Tegel, stehen könnte, verbringen sie ihre Pause. Mit Kaffee, Fanta, Bratwurst und Kartenspielen. Auch Magadalena Peiris holt sich einen Kaffee, eine der wenigen Fahrerinnen. Seit 32 Jahren fährt sie Taxi. Sie ist ver.di-Mitglied und war früher sogar mal aktiv. Doch dafür hat sie keine Zeit mehr, weil sie viel mehr fahren muss, um über die Runden zu kommen. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem kleinen goldenen Elefanten dran, einen Talisman. Geld bringt er nicht.

100 Euro Umsatz am Tag, das rechne sich. Aber kaum jemand komme da noch drauf. "Es wird immer schlimmer", sagt Magadalena Peiris. Seit Jahren fahren schon viel zu viele Taxen in Berlin, weil es keine Zulassungsbeschränkungen gibt. Mit einem Taxi kann sich heute noch jede/r selbstständig machen. Viele werden sich aber nach der endgültigen Schließung von Tegel vor die Tatsache gestellt sehen, kaum noch Arbeit zu haben. Für einen Kollegen von Magadalena Peiris wird im Januar 2013 nach 43 Jahren Schluss sein. Bis dahin muss er noch durchhalten. "Uns werden etliche Fahrgäste wegbrechen, weil die Reisenden alle mit dem Express in 20 Minuten in die Stadt fahren werden. Da heuern sie uns dann für die letzten zwei, drei Kilometer zum Hotel oder Büro an. Für acht Euro. Davon kann keiner mehr leben", sagt er. Da nütze keinem von ihnen das neue schöne Café am neuen Flughafen etwas. Und ihm persönlich auch nichts, dass er Deutsch, Englisch und Französisch spricht.

Beim Probe-Check-in muss alles klappen

Auch Olga Valverde, die Leiharbeiterin, spricht drei Sprachen. Doch es bringt auch ihr nichts. Bernhard Alvensleben, der Geschäftsführer von GlobeGround, in dessen Auftrag Olga Valverde Passagiere und Gepäck eincheckt, antwortet auf die Frage, ob die heutigen Leiharbeiter eine Aussicht auf eine Festanstellung mit Tarifvertrag haben: "Unser Ziel ist es zu wachsen, allerdings hängt das Unternehmenswachstum von vielen äußeren Faktoren ab. Erhöhte Flugkapazitäten lassen sich nicht automatisch mit der Zunahme der Mitarbeiterzahlen darstellen. Als Dienstleister unterliegen wir besonderen Marktbedingungen und einem stetigen Preisdruck im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern." Was meint: Je billiger er die Dienste der Beschäftigten anbietet, desto länger wird er die meisten Flüge am Check-in und auf dem Vorfeld abwickeln können.

Bernhard Alvensleben ist auch an Olga Valverdes Probebetriebstag am BER und kann sich davon überzeugen, dass sie am neuen Arbeitsplatz bestens klarkommt. Dass er sie nicht fest anstellen wird, daran ist die erste rot-grüne Bundesregierung schuld. Nach Willy Brandt, einem Sozialdemokraten aus Überzeugung, ist der neue Flughafen benannt. Unter Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, einem Sozialdemokraten, dem das Soziale abhanden gekommen ist, wurde schrittweise die Befristung der Leiharbeitsverhältnisse aufgelöst. Einst waren drei Monate gestattet, dann wurden es sechs, neun und später 24 Monate. Seit 2004 gilt im Prinzip überhaupt keine Befristung mehr. Die Leiharbeitnehmer/innen können ja aufstocken. Und der Steuerzahler zahlt's, während die Unternehmen die Gewinne abschöpfen.

"Immer noch besser als arbeitslos"

Am Flughafen Schönefeld warten am späten Nachmittag nach Dienstende drei Reinigungskräfte von Zehnacker auf den Bus. 30 von ihnen werden am BER weiterarbeiten. "Für 7,33 Euro die Stunde, den Osttarif. Versprochen haben sie uns mehr, 8,50 Euro, wie sie die Putzkräfte in Tegel bekommen", sagt eine von ihnen. Stattdessen hätten sie bereits vor einem halben Jahr einen neuen Arbeitsvertrag mit einer neuen Firma, Aero Clean, Gesellschaft für Gebäudeinstandhaltung mbH, unterschreiben müssen. Ihre unbefristete Übernahme, die bei Zehnacker bevorstand, sei damit auch vom Tisch. Die junge Frau zieht an ihrer Zigarette und sagt in einem Zug: "Immer noch besser als arbeitslos." Wenn sie Vollzeit arbeitet, hat sie 1150 Euro brutto, am Ende netto nicht viel mehr als Olga Valverde.

Reinigungskräfte aus Tegel übernimmt Aero Clean im Übrigen nicht. Die sind dem Geschäftsführer mit 8,50 Euro zu teuer. 70 bis 90 weitere Kräfte wird er noch anheuern, sicher nicht für mehr als 7,33 Euro die Stunde, einem Leiharbeitslohn. Und wie im Fluge sind dann schließlich auch in diesem Bereich die besser bezahlten Stellen weg.

*Name geändert