DIERK HIRSCHEL, leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.di

Die Brüsseler Kürzungspolitik ist nach zwei Jahren grandios gescheitert. Von Athen bis Madrid wurde alles kaputtgespart. Die Wirtschaft schrumpft und die Arbeitslosigkeit steigt. Das Spardiktat stößt große Bevölkerungsteile in Armut. Der Jugend wird die Zukunft geraubt. Trotz drakonischer Ausgabenkürzungen werden die Sparziele verfehlt.

Folglich weigern sich immer mehr Menschen, den Gürtel enger zu schnallen. In Paris und Amsterdam jagten die Wähler die Sparkommissare zum Teufel. Selbst hart gesottene Spar-Dogmatiker erkennen inzwischen, dass der Schrumpfkurs nicht zum Ziel führt. Der befremdliche Triumph gescheiterter neoliberaler Ideen ist damit aber nicht am Ende.

Jetzt soll ein Fiskalpakt ganz Europa auf Zwangsdiät setzen. Schärfere Schuldenregeln sollen den Kassenwarten Daumenschrauben anlegen. Das um konjunkturelle Einflüsse bereinigte Haushaltsdefizit darf künftig 0,5 Prozent des nationalen Sozialproduktes nicht überschreiten. Staaten mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent müssen jährlich fünf Prozent ihrer übermäßigen Verschuldung abbauen. Die neuen Schuldenregeln werden in den nationalen Verfassungen verankert. Regelverstöße ziehen drakonische Strafen nach sich.

Das neue Regelwerk bekämpft nicht die Ursachen der Krise. Entgegen dem Märchen von der Staatsschuldenkrise sind die Schuldenberge nicht durch laxe Haushaltspolitik entstanden. Vor der großen Finanzmarktkrise stiegen in der Mehrzahl der EU-Länder die Staatsausgaben schwächer als das Sozialprodukt. In den heutigen Krisenländern Irland, Spanien und Italien sank die Schuldenlast sogar. Erst durch den Super-Gau der Finanzmärkte explodierten die Schulden. Die Schuldenquote des Euroraums kletterte von rund 66 Prozent auf über 85 Prozent.

Der Fiskalpakt tritt die ökonomische Vernunft mit Füßen. Die Schuldenregeln ignorieren den Zusammenhang von Staatsausgaben und Konjunktur. Staatsausgaben sind immer auch Einnahmen der Unternehmen und der Privathaushalte. Wenn der Staat zum falschen Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge. Zudem haben Rentner, Arbeitslose und Bedürftige dann weniger Geld. Die Nachfrage sinkt - und mit ihr Wachstum und Steuereinnahmen. Gleichzeitig steigen Arbeitslosigkeit und Schulden.

Doch damit nicht genug: Der Fiskalpakt lässt auch die öffentlichen Investitionen schrumpfen. Europas Kassenwarte können künftig nicht mehr mit Hilfe von Krediten in Bildung, Infrastruktur oder Umwelt investieren, wenn dadurch Schuldengrenzen verletzt werden. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Schließlich übertreffen die Erträge dieser Zukunftsinvestitionen die Finanzierungskosten. Die neue europäische Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse.

Natürlich könnten die Schatzmeister ihre Staatsfinanzen auch durch höhere Steuern sanieren. In der Praxis sparen Europas Finanzminister jedoch zu 80 Prozent über die Ausgabenseite. In Südeuropa rollt jetzt unter dem Deckmantel der Sparpolitik ein Generalangriff auf Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose. Staatsdiener werden entlassen, Löhne, Arbeitslosengeld und Renten gekürzt. Das Arbeitsrecht wird ausgehöhlt. Der Schuldenknüppel trifft die Opfer der Krise. Der Fiskalpakt institutionalisiert den Sozialabbau.

Der Fiskalpakt beschädigt auch die Demokratie. Die europäischen Schuldenregeln greifen unmittelbar in das Budgetrecht der Nationalparlamente ein. Diese Kernfrage der europäischen Demokratie darf nicht in Hinterzimmern entschieden werden.

Der europäische Fiskalpakt richtet sich gegen die Interessen der Arbeitnehmer, Rentner und sozial Schwachen. Deswegen stehen die deutschen Gewerkschaften erstmals in Opposition zu einem zentralen "europäischen Integrationsprojekt".

Ohne einen Stopp der Kürzungspolitik kommt Europa nicht mehr auf die Beine. Da hilft es auch nicht, dass hierzulande Sozialdemokraten und Grüne dem Fiskalpakt durch einen Wachstumspakt die Giftzähne ziehen wollen. Kein Wachstumspaket kann den Flurschaden des Spardiktats neutralisieren. Das beste Wachstumsprogramm für Europa wäre ein sofortiges Spar-Moratorium und eine Ablehnung des europäischen Fiskalpaktes.

Das heißt nicht, dass die Politik die Schuldenberge ignorieren kann. Die Schuldenfrage ist aber eine Verteilungsfrage. Alle EU-Staatsschulden belaufen sich auf rund zehn Billionen Euro. Das private Geldvermögen in Westeuropa beträgt aber rund 27 Billionen Euro. Die beste Schuldenbremse ist und bleibt somit eine höhere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen.

"Der Fiskalpakt beschädigt auch die Demokratie"