Sie wollen endlich Löhne, von denen sie leben können: Arbeiter an der Lonmin-Mine

Von Corinna Arndt

"Wahrheit und Gerechtigkeit" finden - das will die Kommission, die die Todesfälle in der Lonmin-Platinmine Marikana untersucht. Mindestens 46 Menschen starben dort im August bei unorganisierten Streiks, die meisten im Kugelhagel der Polizei. Das Massaker war Auslöser einer Welle hauptsächlich spontaner, von Gewalt begleiteter Streiks in Südafrika. Den Bergarbeitern von Marikana folgten Kumpel im bedeutenden Gold-, Chrom- und Platinsektor, bis schließlich zirka 100.000 Arbeiter beteiligt waren. Lkw-Fahrer zogen nach, schließlich streikten auch die Farmarbeiter der Westkap-Provinz. Eine Ursache: 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid lebt noch die Hälfte der Menschen in Südafrika unter der Armutsgrenze.

Probleme der Gewerkschaften

Streiks sind nicht selten am Kap; manche Branchen sind bekannt für häufige, auch gewalttätige Proteste. Doch die Streikwelle dieses Jahres war außergewöhnlich stark von Gewaltbereitschaft gekennzeichnet und lief fast ohne Beteiligung der etablierten Arbeitnehmerverbände ab. Wo waren die Gewerkschaften, die eng mit der Geschichte des Landes verbunden sind? Im Bergbau stand die dominierende National Union of Mineworkers (NUM) von Beginn an im Kreuzfeuer der Kritik. Nicht wenige Streikende waren NUM-Mitglieder, die den Glauben an die Gewerkschaft verloren hatten und einer neuen Splittergewerkschaft folgten oder spontan in den Arbeitskampf gingen. Die Kumpel warfen der NUM-Führung Arroganz, Selbstbereicherung und Entfernung von der Basis vor. Statt höhere Löhne durchzusetzen, beziehe sie Spitzengehälter, habe eigene wirtschaftliche Interessen in Bergbauunternehmen und klüngele mit Politikern, lautete die harsche Kritik.

Tatsächlich haben NUM-Führer Einzug ins Top-Management gehalten, und zwar sowohl in der Industrie als auch im African National Congress (ANC) und in der Regierung. Ergebnis ist eine zunehmend zersplitterte, geschwächte Gewerkschaftsbewegung in Südafrikas wichtigstem Wirtschaftssektor. Der NUM laufen die Mitglieder davon: Nach Angaben des Bergbau-Konzerns Impala Platinum etwa sind heute nur noch 13 Prozent seiner Arbeiter in der NUM organisiert. Einst waren es 70 Prozent. Noch ist unklar, wie viele Mitglieder in den letzten Monaten ausgetreten sind, doch allein bei Impala Platinum und Lonmin sind es mehr als 20.000. Das Problem liegt nicht nur bei den Spitzenfunktionären. Auch an der Basis erschweren finanzielle Interessen die Arbeit: Wo einfache Arbeiter Hungerlöhne verdienen, kann ein Posten im Betriebsrat mit seiner zusätzlichen Vergütung zu mehr als einer Verdopplung des Monatseinkommens führen. Das macht Gewerkschaftsarbeit finanziell lukrativ, weckt Neid bei Kollegen und Verbitterung bei Betroffenen, wenn der Posten abgegeben werden muss. In der Bergbau- und Transportbranche war die Gründung von Splittergewerkschaften die Folge. Im Fall von Marikana hat die kleine, radikale AMCU ihren Mitgliedern mit ungewöhnlich hohen Lohnforderungen Hoffnungen gemacht, die die NUM als unrealistisch abgetan hätte. Bis heute haben Feindseligkeiten zwischen den Organisationen mindestens 13 NUM-Vertretern das Leben gekostet.

Löhne zum Leben

Was hat die Streikwelle gebracht? Selbst wenn man von den Toten und Verletzten absieht, bleibt der Fakt, dass Tausende ihren Job verloren haben. Und die Konzerne planen weitere Stellenstreichungen. Andererseits haben die Lonmin-Streikenden außerhalb regulärer Tarifverhandlungen eine Lohnerhöhung von 22 Prozent durchgesetzt. Dem Gewerkschaftsdachverband COSATU macht das eher Sorgen als Freude: Generalsekretär Zwelinzima Vavi sprach von einem "gefährlichen Präzedenzfall", der nicht auf breiter Basis wiederholbar sei. Dennoch reagierte COSATU mit höheren Lohnforderungen und dem Ruf nach einem einheitlichen Mindestlohn im Bergbau.

Die Herausforderung für die Gewerkschaften ist enorm. Viele Arbeiter haben den Glauben an traditionelle Lohnverhandlungen verloren. Sie haben es satt, dass die Profite internationaler Konzerne in keinem Verhältnis zum Leben derer stehen, die diese Profite erwirtschaften. Die Tatsache, dass Bergarbeiter, die in den Goldgruben ihr Leben riskieren, weniger als 500 Euro im Monat verdienen, während ihr Arbeitgeber Lonmin einer der reichsten Bergbaukonzerne der Welt ist, wurde bisher kaum grundsätzlich debattiert. Seit den Ereignissen von Marikana ist das anders. Die Folgen reichen über den Bergbau hinaus: In den vergangenen Wochen haben Erntehelfer am Westkap Orte lahmgelegt, ohne Gewerkschaften. Farmarbeiter gelten als rechtlos und schwer zu organisieren. Streiks kamen bei ihnen bisher praktisch nicht vor. Damit scheint es vorbei zu sein. Und welche Branche ist die nächste? Forstarbeiter? Unterbezahlte Hausangestellte?

Der Dachverband COSATU und seine Mitglieder sehen, was auf dem Spiel steht. Die Arbeiter wollen Löhne, von denen sie leben können. Gewerkschaften, die das aus den Augen verlieren oder sich von Branchen fernhalten, werden sich an den Rand gedrängt finden.