Mutig in der digitalen Welt

Der Verein Digitalcourage hat am 3. Februar gemeinsam mit der Internationalen Liga für Menschenrechte und dem Chaos-Computer-Club Anzeige gegen die Bundesregierung und Geheimdienstmitarbeiter erstattet. Sie werfen den Angezeigten vor, verbotenerweise in Geheimdiensttätigkeiten involviert zu sein und den persönlichen Lebensbereich der Menschen in Deutschland verletzt zu haben. Mit der Anzeige soll erreicht werden, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen aufnimmt. "Wenn die offiziellen Stellen zurückschrecken, müssen wir staatlich garantierte Rechte einklagen", sagt padeluun von Digitalcourage. Der Verein ruft dazu auf, sich der Strafanzeige anzuschließen.

padeluun und Rena Tangens, die Begründer von Digitalcourage, verraten nicht, wie sie von Amts wegen heißen. Sie nennen nur ihre Künstlernamen, denn sie "machen schließlich Kunst", wenn auch nicht nur. Sie befassen sich mit Daten, Rechnern, deren Nutzung und Schutz. Sie tun das seit fast 30 Jahren engagiert und erfrischend verständlich. Als Künstler haben sie gemeinsam angefangen. Video, elektronische Kunst, Installationen, Klangbilder interessierten sie. Dass sie zu einer der bundesweit ersten Adressen für Datenschutz, gegen Überwachung und Ausspionieren im Internet wurden, habe sich nach und nach ergeben, so padeluun.

1985 kommt es zum ersten Kontakt mit dem Netz - durch den Chaos-Computer-Club (CCC). Nichts, so padeluun, habe er damals davon verstanden, sich aber von dem Satz ermutigen lassen, dass er doch immerhin wisse, wovon er nichts verstehe. Das sei der zündende Moment gewesen: "Wir wollten nicht nur eine neue Welt erkunden, sondern sie mitgestalten." Gesetze gegen das Hacken gab es noch nicht. Sie lernen den Umgang mit den Rechnern, begeistert von der Möglichkeit der Vernetzung. 1987 veranstalten sie die erste "public domain" im Kulturbunker in Bielefeld, mit zwei PC. Zu ihrer Verblüffung stehen rund 100 Leute vor der Tür.

Sie gründen FoeBuD e.V., den "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs", und mieten das Büro in der Bielefelder Marktstraße 18, in dem sie heute noch arbeiten. Das war einst der Schauraum eines Autohauses. Wo heute die Schreibtische Platz haben, stand damals ein Audi NSU. Zuvor lebten im Haus, und das findet Rena Tangens durchaus passend, schon einmal Kommunikationsexperten: eine Telefonistin und ein Postmeister.

Der Verein macht sich zuerst unter Kennern einen Namen, dann auch öffentlich mit Veranstaltungen, Lesungen, Informationsmaterial. Das Netz war neu und frei, Programmierkundige waren bestaunte Experten. Ein Mailbox-System entstand. Dass aber jeder und jede bei allen alles lesen konnte, "das hat uns missfallen". Der Schutz von Passwort und Postfachinhalt wird eingeführt - und von vielen als Einschränkung der Netzfreiheit missverstanden. Es hagelt Beschwerden der Systembetreiber. "Ihre Neugier wurde eingeschränkt", sagt padeluun, "weil sie keine privaten Mails mehr mitlesen konnten."

Eine neue, politische Dimension erreicht ihre Arbeit 1991 während des Jugoslawien-Krieges, als dort alle Inlandsverbindungen zwischen den Kontra- henten gekappt, aber Auslandstelefonverbindungen aus den Regionen möglich sind. Das Zamir Transnational Network entsteht und bietet Friedensgruppen und Flüchtlingen eine Plattform.

Seit 2000 verleiht FoeBuD die BigBrotherAwards, mit denen besonders üble Verstöße gegen den Datenschutz "geehrt" werden, Entwicklungen, die nicht illegal sind, aber gefährlich werden könnten. Der Verein organisiert und vernetzt Großdemonstrationen, initiiert etliche Verfassungsbeschwerden, bietet Informationsmaterial und Beratung zum Schutz der Rechner.

2004 startet FoeBuD die StopRFID-Kampagne zur kritischen Begleitung des Einsatzes der neuen Minichips zur Kennzeichnung und Ortung von allem und jedem, ob als Strichcode auf Waren im Supermarkt, versteckt in Kleidung, Konsumgütern oder auf Geldscheinen. 2008 werden die Aktiven mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.

Gegen den Datenklau

Seit 2012 heißt FoeBuD "Digitalcourage e.V.". Die Umbenennung, sagt Rena Tangens, sei ihnen nicht leicht gefallen, aber der neue Name sei für heimische wie ausländische Partner besser auszusprechen. Hinter der Garage des Ex-Autohauses stehen heute die Fahrräder der Mitarbeiter. Im Keller summen die Rechner: "Wir halten die Daten in unserem Haus." Im Lagerraum liegt die Datenkrake aus Latex und Rattan, Symbol auf zahlreichen Demonstrationen und Kunstwerk, 18 Meter groß. In der Ecke lagern Schilder und Transparente. "Wir sind immer sofort kampagnefähig."

Dass seit einigen Jahren Abertausende Menschen gegen Datenklau, für informationelle Selbstbestimmung, gegen das Ausspionieren ihrer Rechner auf die Straße gehen, hat Digitalcourage anfangs nicht erwartet. Der Verein lebt von den Beiträgen der mittlerweile 750 Mitglieder, von Spenden und den Erlösen des kleinen Internet-Shops. Fünf Menschen sind fest beim Verein beschäftigt, dazu kommen einige Aushilfen und drei Praktikant/innnen. Der Geschäftsbericht ist transparent und steht im Netz.

padeluun legt Wert darauf, dass der Verein auch gegen mächtige Gegner wie Google hart in der Sache, aber verbindlich im Ton bleibe. Für grobe Angriffe sei er "einfach zu gut erzogen". Außerdem gehe es im Netz oft um den Bruchteil einer Millisekunde, da seien Sorgfalt und Seriosität unerlässlich. Manchmal seien sie eher zu sorgfältig: "Seit 1989 jagen wir unseren Ansprüchen hinterher." Der Anspruch auf eine zensurfreie, weltweite Kommunikation und die Abwehr von Schnüffelei, Kontrolle aller Lebensbereiche und Kriminalität, das sei ein Balanceakt auf einem schmalen Grat.

Der Whistleblower Edward Snowden und der von ihm enthüllte NSA-Ausspähungsskandal, die Vorratsdatenspeicherung wie auch der im Januar bekannt gewordene Datenklau von 16 Millionen E-Mail-Daten fordern Digitalcourage rund um die Uhr. Rena Tangens saust zwischen Vorträgen, Veranstaltungen, einem Fernsehauftritt hin und her. Dabei sei sie, sagt padeluun, "eigentlich die Klügere von uns beiden" und deshalb mehr für die tiefgründigere inhaltliche Arbeit zuständig. Die Fragen, die Digitalcourage den Nutzern stellt, sind so einfach wie verstörend: "Würden Sie Ihre Post, die Rechnungen wie die Liebesbriefe, jedem im Internet zur Verfügung stellen?" Der Einbruch in die digitale Privatsphäre verletze die Intimsphäre der Menschen ebenso wie der in die eigene Wohnung. Die Gefahr werde aber aus einem Ohnmachtsgefühl heraus oft verdrängt. Zur "digitalen Selbstverteidigung" gibt Digitalcourage Anleitung im Internet.

https://digitalcourage.de

mail@digitalcourage.de

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Tipps für uns User/innen

E-Mail und Chat - Benutzen Sie kleine, dezentrale europäische Anbieter. Jede Monopolstellung erleichtert die Überwachung. Das gilt auch für Chats. Chatten Sie nicht über Facebook oder WhatsApp. Verschlüsseln Sie Ihre E-Mails und verwalten Sie sie nicht im Browser, sondern mit Programmen wie Thunderbird. Schreiben Sie nicht direkt im Internet.

Suchmaschinen und Karten - Es gibt nicht nur Google. Der Wechsel, weg von Google, ist zugleich ein politisches und ein Statement für den Datenschutz! Nutzen Sie zum Beispiel ixquick.com, duckduckgo.com, yandex.com, yacy.net, openstreetmap.org

Surfen - Hinter dem "http" in der Adresszeile sollte immer ein "s" stehen für "secure". Lassen Sie die Finger von Cookies und von Like-Schaltflächen. Deaktivieren Sie Cookies. Löschen Sie sie nach jeder Sitzung. Blockieren Sie Flash-Cookies und Werbung. Nutzen Sie freie Software, zum Beispiel ein Linux-Betriebssystem, Ubuntu statt Apple oder Windows, LibreOffice statt Microsoft Office, Firefox statt Internet Explorer, Thunderbird statt Outlook.

Datenspeicherung - Vermeiden Sie die Cloud. Speichern Sie möglichst auf eigenen Datenträgern.

Hinterfragen Sie Ihre digitalen Handlungen. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

Aus: Kleine Anleitung zur Selbsthilfe von Digitalcourage e.V.

http://digitalcourage.de/support/digitale-selbstverteidigung