Beschäftigte der Post in München 1993 beim Gedenken an die Opfer von Solingen. Dort hatten extrem Rechte einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim verübt, bei dem fünf Bewohner ums Leben kamen. Der Solinger Anschlag war damals ein trauriger Höhepunkt der Welle fremdenfeindlicher, rassistischer Anschläge in Deutschland.

Angola, Äthiopien, Argentinien, China, Finnland, Indien, Italien, Kolumbien, Türkei, Philippinen, USA, Vietnam ... Fast die halbe Welt trifft sich jeden Morgen in der großen Halle mit dem auffallend gewölbten Dach an der Arnulfstraße in München. Dort hat die Deutsche Post AG ihre Briefniederlassung untergebracht. Die Personalliste dieses Betriebes liest sich wie ein Länderverzeichnis: Menschen aus mehr als 60 Nationen sind hier beschäftigt, schleppen und verteilen Post oder sind als Zusteller in den Münchner Straßen unterwegs. 3200 Kolleginnen und Kollegen arbeiten insgesamt in der Niederlassung, etwa 1000 von ihnen kommen aus anderen Ländern.

Franco Corchiola ist einer von ihnen. Er ist freigestellter Betriebsrat und kümmert sich besonders um die ausländischen Beschäftigten. Fragt man ihn, ob es Konflikte gibt, wenn so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft eng zusammenarbeiten, schüttelt er den Kopf: "Natürlich wird auch einmal gestritten, aber nicht, weil jemand woanders herkommt oder eine andere Hautfarbe hat."

Franco selber stammt aus einer kleinen Stadt in Kalabrien, am Stiefelabsatz Italiens. 1977 ist er als 25-Jähriger nach München gezogen. Das war nicht ohne Risiko. Die deutsche Sprache konnte er nicht und hatte damit keine Chance, in seinem erlernten Beruf als Fachkraft für Stark- und Schwachstrom eine Arbeit zu finden. Er verdingte sich deshalb die erste Zeit als Tellerwäscher, bis er sich dazu durchrang, sich trotz fehlender Deutschkenntnisse bei der Post, beim damaligen Bahnpostamt an der Hopfenstraße, zu bewerben - und prompt eingestellt wurde.

Viele seiner Landsleute waren damals bei der Post beschäftigt. So hatte er Kollegen, mit denen er sich in seiner Muttersprache unterhalten konnte. Er wollte auch beruflich vorwärtskommen und machte eine betriebliche Prüfung, die er trotz der Sprachprobleme bestand. Von da an ging es im Beruf bergauf - vor allem, weil er alle kleinen Orte, die sich hinter Postleitzahlen verstecken, auswendig konnte und deshalb ideal war für den "Verwurf" - eine Tätigkeit, die bis dahin Beamten vorbehalten war.

Franco: "Jetzt hatte ich auf einmal Neider: Beamte, denen ich angeblich einen Posten weggenommen haben sollte, und Kollegen, die gerne auch so einen Posten gehabt hätten." Gleichbehandlung in einem Betrieb, ohne auf die Nationalität zu achten - das, hat Franco damals erkannt, ist nicht selbstverständlich, "dafür muss man sich einsetzen. Jeder muss die gleichen Chancen haben." Um das zu erreichen, organisierte er sich in der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), wurde Vertrauensmann und kandidierte zum Personalrat. So hießen die Betriebsräte bei der Post, als sie noch nicht privatisiert war, sondern zum öffentlichen Dienst gehörte.

Franco Corchiola

"Heute ist es selbstverständlich, dass auf unserer ver.di-Liste zur Betriebsratswahl ausländische Kandidatinnen und Kandidaten stehen und auch in die Freistellung gewählt werden. Das war aber nicht immer so." Franco erinnert sich, wie er - zum ersten Mal sogar freigestellt als Personalrat - in ein Einzelbüro sozusagen abgeschoben und nicht beteiligt wurde an Entscheidungen und Verhandlungen. "Das ist heute ganz anders, und ich fühle mich wahnsinnig wohl", freut er sich über die Entwicklung. "Diese kollegiale Zusammenarbeit im Betriebsrat strahlt auch in den gesamten Betrieb aus. Man sieht in erster Linie den Kollegen, mit dem man gut zusammenarbeitet."

Bei Streiks halten alle zusammen

Besonders deutlich zeige sich das bei Tarifauseinandersetzungen und Streiks. Da halten dann alle zusammen. Die Gewerkschaft hat manche Probleme früh erkannt und einiges getan für die Integration. Sie hat gemeinsame Kulturfeste organisiert, Posten in Vorständen frei gemacht und Ausschüsse für ausländische Kolleginnen und Kollegen eingerichtet. Franco selbst saß 30 Jahre beim Hauptvorstand der DPG und in ver.di in solchen Gremien. Näher zusammengekommen sei man sich auch bei Aktionen.

Eine davon ist ihm besonders in Erinnerung geblieben, obwohl sie bereits über 20 Jahre her ist: eine Gedenkminute für die Opfer des Brandanschlages auf ein Asylbewerberheim in Solingen. Schlagworte wie "Das Boot ist voll", "Asylmissbrauch" oder auch "Überfremdung" machten damals die Runde. Der Deutsche Gewerkschaftsbund setzte dagegen, rief zu Gedenkminuten in den Betrieben auf. Die DPG organisierte sie auch im damaligen Bahnpostamt: "Die Bänder standen still, die Kolleginnen und Kollegen zündeten Kerzen an, man spürte die Betroffenheit." Es sei mehr gewesen als ein symbolisches Stoppzeichen gegen politisch rechte Gesinnung: "Es hat uns alle einander nähergebracht."

Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt dem Betriebsrat vor, dass er "die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern" hat. Der Betriebsrat bei der Post ist überzeugt, dass gegenseitiger Respekt und Toleranz Grundvorrausetzungen für ein friedliches Zusammenleben sind.

Ist die Post also eine Insel der gelungenen Integration? Soweit will Franco nicht gehen. Aber er hofft, dass die beständigen Bemühungen von Betriebsrat und Gewerkschaft weiter Früchte tragen.