Aktion von Gewerkschaftern aus aller Welt beim Labourstart-Treffen in Berlin: In einer bunten Parade ziehen sie zu einem Edeka-Markt in Kreuzberg, viele als "wütende Orangen" mit selbstgebauten Masken. Sie fordern einen Verhaltenskodex, der für alle Beschäftigen in der Orangensaft-Lieferkette gilt, und Tarifverträge für die ausgegliederten Edeka-Märkte in Deutschland

Die Welt rückt zusammen, für die "Global Player" ist sie längst ein Dorf. Multinationale Konzerne maximieren ihre Gewinne durch billige Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern und auch dadurch, dass sie Standorte gegeneinander ausspielen. Oft werden gravierende Menschenrechtsverletzungen und ökologische Verbrechen zugunsten der Profitmaximierung in Kauf genommen.

Andererseits liegen weiterhin Welten zwischen den Arbeitsbedingungen und Rechten der Beschäftigten, zwischen ihren Möglichkeiten, sich gewerkschaftlich zu organisieren und die Früchte der global geteilten Arbeit zu ernten. Doch die weltumspannenden Produktions- und Vertriebswege bieten auch Ansatzpunkte für wirksamen Protest und Widerstand von Beschäftigten in vielen Ländern. Um Aktionen und Proteste mit Hilfe von Kampagnen zu befördern, schließen sich seit Jahren Tausende Aktivist/innen und Korrespondenten zur Labourstart-Bewegung zusammen. Ende Mai trafen sich etwa 300 Mitstreiterinnen und offizielle Vertreter/innen von Gewerkschaften aus 75 Ländern verschiedener Erdteile in der ver.di-Zentrale am Berliner Paula-Thiede-Ufer.

In seiner Begrüßungsrede spricht der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske von der gewachsenen Bedeutung der länderübergreifenden Zusammenarbeit von Gewerkschaftern. Unter dem Titel "Globale Krise - globale Solidarität" debattieren die Konferenzteilnehmer, die unter anderem aus Bangladesch, Südkorea, Pakistan, Indien, Südafrika, Kamerun, Togo, Russland, der Ukraine, Italien, Frankreich, den USA und Kanada kommen, über Antworten auf die neoliberale Globalisierung. Sie tauschen Erfahrungen aus und mobilisieren zu ihren aktuellen Kampagnen. Viel diskutiert werden die Beiträge von denen, die unter den schwierigsten Bedingungen gewerkschaftlich arbeiten und kämpfen.

Marokko: Gewerkschafter im Visier

Das nordafrikanische Marokko ist nur einen Anruf von Deutschland entfernt, aus der Sicht der Callcenter. Nach Casablanca, in die größte Stadt des Landes, zog es in den vergangenen Jahren etliche Dienstleistungsunternehmen aus den USA und Europa, um hier für ihre Märkte mit billigen Arbeitskräften Callcenter zu betreiben. Ein "Jobwunder" mit 70.000 neuen Arbeitsplätzen. Auch das französische Telekommunikationsunternehmen Iliad hat sich in Casablanca niedergelassen. Sein Callcenter "Total Call" feuerte im Februar fünf Mitarbeiter - und das genau einen Tag, nachdem sie die Gründung einer Gewerkschaftsgruppe im Unternehmen angezeigt hatten, wie die marokkanischen Gesetze es verlangen. Die Entlassung der fünf Gewerkschafter ist im Land kein Einzelfall. Für die "Casablanca 5" ist Mostafa Berrchid zum Kongress nach Berlin gekommen.

Die marokkanische Dienstleistungsgewerkschaft UMT kämpft jetzt mit Unterstützung von Labourstart und vom internationalen Gewerkschaftsdachverband UNI Global Union mit der Kampagne "Stop Union-Busting at Total Call" um die Wiedereinstellung von Mostafa Berrchid und die seiner Kollegen.

In den Mittelpunkt seines Berichts stellt Berrchid in Berlin jedoch nicht die eigene Situation. Vielmehr spricht er von der staatlich geförderten Gewerkschaftsfeindlichkeit und den katastrophalen Arbeitsbedingungen, mit denen der Aufschwung der Branche erkauft wird. Bis heute hat Marokko das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts nicht unterzeichnet. Die Callcenterbranche ist ein Spiegelbild der sozialen Spannungen in dem nordafrikanischen Königreich. Es wird geheuert und gefeuert; soziale Absicherung, geregelte Arbeitszeiten und faire Bezahlung fehlen. Ohne Druck, auch internationalen, werde sich an der Lage wenig ändern lassen, sagt Mostafa Berrchid.

Brasilien: Ausgepresst für billigen Saft

Unseren Orangensaft bekommen wir gleich an der nächsten Ecke. Angebaut werden die meisten Apfelsinen in Brasilien, fast zwei Drittel des weltweit konsumierten Orangensafts stammen von dort. Die Deutschen sind übrigens Weltmeister - im Konsum von Fruchtsäften. 70 Prozent der Orangensaftimporte weltweit gehen in die EU. Drei Weiterverarbeitungsmultis beherrschen den Weltmarkt für Säfte und Konzentrat, verdrängen die kleineren Fabriken und diktieren den Produzenten die Preise. Diese Konzentration setzt sich hierzulande bei den Einzelhandelsketten fort. Die Marktmacht der Großen wirkt zurück bis zu den Produzenten in den brasilianischen Bundesstaaten São Paulo, Paraná und Bahia. Für das arbeitsintensive und unter gesundheitsschädlichen Bedingungen erzeugte Produkt schuften die Landarbeiter in Brasilien, darunter viele Migrantinnen und Migranten, deshalb auf den Monokulturplantagen für geringe Löhne. Der Arbeitsdruck für die meist nur als Saisonarbeiter beschäftigten ist enorm. Gewerkschafter oder gar Streikende landen auf "schwarzen Listen".

Für Katharina Wesenick aus der ver.di-Bundesverwaltung ist Labourstart ein wichtiges Forum, um die gemeinsam mit der Christlichen Initiative Romero e.V. initiierte Orangensaftkampagne "Ausgepresst" voranzutreiben. Dieselben Konzerne, sagt Katharina Wesenick, die hierzulande durch Ausgliederung und Privatisierung Lohndumping betrieben und versuchten, Betriebsräte zu zerschlagen, würden auch den Markt für dieses Produkt kontrollieren, allen voran Edeka. Das Diktat der Einzelhandelsriesen Edeka, Rewe, Aldi und Lidl setze die Standards. Mittels Preisbildung hätten sie die Wertschöpfungskette in der Hand, von den Abfüllern hier bis zu den Arbeitsvermittlern auf den Plantagen in Brasilien.

"Die dortige Tagelöhnerin ist vom selben Unternehmen abhängig wie die Packerin, die in einem ausgegliederten deutschen Edeka-Markt für sittenwidrige 5,50 Euro in der Stunde arbeitet." Lediglich das kapitalistische Gesellschaftsrecht ermögliche es den Firmen, dafür nicht die Verantwortung zu übernehmen, sagt Katharina Wesenick. Die Edeka-Konzernführung verweigere weiterhin jeden Dialog. Anfang kommenden Jahres wollen Edeka-Betriebsräte und verdi-Aktive nach Brasilien fahren, um dort gemeinsam mit Gewerkschaftern der Plantagen- und Fabrikarbeiter über weitere abgestimmte Schritte zu beraten und den Druck auf den Konzern zu erhöhen.

Bangladesch: Arbeitsrechte am dünnen Faden

Bangladesch ist einer der großen Textilhersteller der Welt. Immer wieder beschäftigen sich Berichte und Kampagnen von Labourstart mit der Situation in dem asiatischen Land am Golf von Bengalen. Denn neben günstiger Kleidung kommen von dort auch immer wieder dramatische Nachrichten. Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mit mehr als 1100 Todesopfern im vergangenen Jahr warf ein Schlaglicht auf die gefährlichen Arbeitsbedingungen in dem Wirtschaftszweig, der fast ausschließlich für internationale Marken und den Export produziert. Deutschland ist dabei der wichtigste Markt. In Berlin schildert Nazma Akter, Führerin der Textilarbeitergewerkschaft SGSF, die 700.000 überwiegend weibliche Beschäftigte vertritt, wie billige Arbeit und die Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit durch Behörden und Unternehmer Hand in Hand gehen. Deshalb setzt sie auf die internationale Solidarität, auf den Druck durch Gewerkschafter und Konsumenten in den reichen Ländern. "Diejenigen, die Kleidung kaufen, haben die Macht, Druck auf Handel und Hersteller auszuüben", sagt sie.

Gerade die Unterstützung seitens der deutschen Gewerkschaften stärke die Verhandlungsmacht im Land, um wirksame Vereinbarungen für fairen Handel und würdige Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

16 Jahre und 125.000 Aktive

1998 in London nur mit einer Webseite von dem Autor Eric Lee gestartet, zählt Labourstart heute mehr als 125.000 Gewerkschafter zu seinen Unterstützern. Der Berliner Kongress war das bisher größte Treffen der Bewegung. Dem Internet kommt für Information, Vernetzung und Aktionen eine zentrale Rolle zu. Den Aktivisten werden hier Methoden und Strategien der Kommunikation und Organisation vermittelt. Gerade ist eine neue Kampagne gestartet: gegen Lohndumping auf Kosten der Flugsicherheit bei den Linien LAN und TAM in Peru und Argentinien.


LabourStart

Ein unabhängiges und internationales gewerkschaftsnahes Netzwerk von Aktivist/innen, Forum für Information, Diskussion und Kampagnen.

Hunderte ehrenamtliche Korrespondent/innen sorgen für aktuelle Meldungen auf der Website des Projekts: www.labourstart.org

In mehreren Sprachen speist der Nachrichtendienst hunderte gewerkschaftliche Internetseiten in aller Welt. Es gibt Ticker für verschiedene Themengebiete, Regionen und Kampagnen sowie Videos mit Gewerkschaftsnachrichten. Vor der Berliner Konferenz hatte man sich zuletzt 2012 in Sydney, Australien, getroffen.

Informieren und unterstützen: Casablanca 5: bit.ly/totalcallver.di - Ausgepresst: bit.ly/ausgepresstLATAM soll fair spielen und Flugsicherheit gewährleisten: bit.ly/latamcamp