Da ist "pure Euphorie", wenn man den eigenen Tarifvertrag verhandelt und durchsetzt. An der Krankenpflegeschule in Chemnitz ist das jetzt jungen ver.dianern gelungen

"Jetzt mach ich `ne Verschnaufpause", sagt Robert Manek und lacht. "Aber nur kurz." Danach gehe es in der Krankenpflegeschule Chemnitz weiter, wo er seine Ausbildung zum Krankenpfleger macht: "Ich schnapp mir einen Stapel ver.di-Aufnahmeanträge und zieh in den Pausen wieder von Klasse zu Klasse, zu den Neuen, aber auch noch mal zu denen aus dem zweiten und dritten Jahr. Das passt schon!" Gerade erst haben er und die anderen aus der Jugend-Tarifkommission erfolgreich mit ihrem Arbeitgeber verhandelt. Den ersten Tarifvertrag für die 300 Azubis am Klinikum Chemnitz. Sie alle lernen an der Krankenpflegeschule der Stadt, die insgesamt 450 künftige Krankenpflegerinnen und -pfleger, Hebammen und medizinisch-technische Assistenten ausbildet.

Das mit den ver.di-Werbe-Touren durch die Schule machen Robert und ein paar mehr schon seit Mai 2013. Obwohl manche Lehrer es nicht gern sehen, dass die jungen Leute mehr Geld verlangen und so viel Rabatz machen.

Am Anfang stand eine Info-Veranstaltung. ver.di-Sekretär Damian Putschli, der selbst an der Krankenpflegeschule gelernt hat, erläuterte, was man mit der Gewerkschaft durchsetzen könne, auch als Azubi. "Krass war, dass die Geschäftsführung uns vorher erklärt hatte, es gebe keine Lohnerhöhung für uns", sagt Sophia Ludwig, die im dritten Ausbildungsjahr zur Krankenpflegerin und auch in der Jugend-Tarifkommission ist. "Keinen Cent! Sie sah keinen Bedarf. Der Geschäftsführer meinte, er müsse ja auch zusehen, wie er mit seinem Gehalt auskommt." Das regt sie immer noch auf.

Da geht noch mehr

Damals gab es für die Azubis im ersten Jahr 650 Euro brutto, 29 Prozent weniger, als Auszubildende in Kliniken nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bekommen und als in anderen Häusern gezahlt wird, deren Azubis an der Schule lernen. "Da saßen Leute in einer Klasse, die rund 200 Euro mehr - oder eben weniger kriegen", sagt Robert Manek. "Das ist harter Tobak." Und sollte sich ändern. Eine Aktivengruppe kam zusammen. Klar war: Der Haustarifvertrag des Klinikums galt für Auszubildende nicht. "Wir müssen unser eigenes Ding machen", sagt Sophia Ludwig. "Am Anfang denkt man: Tarifvertrag, das heißt, mehr Geld für uns. Aber da geht ja noch mehr: Urlaub, Ausbildungsqualität, die Übernahme nach dem Abschluss!"

Erstmal hätten sie "rumgesponnen, was wir uns wünschen". Am Ende wollten sie etwas unternehmen - und wurden deshalb ver.di-Mitglied. Obwohl alle zunächst nach dem Beitrag fragten und: Lohnt sich das denn auch? Obwohl viele Angst hatten, im Probehalbjahr wegen ver.di entlassen zu werden. Bianca Tschacher erinnert sich, dass jemand aus der Geschäftsführung bei ihr anrief, der sie mit möglichen "negativen Konsequenzen" einschüchtern wollte. Hat aber nicht geklappt.

Inzwischen ist am Klinikum Chemnitz gut die Hälfte der Azubis bei ver.di. Die Zahl wächst, 75 Prozent sind für Damian Putschli kein wilder Traum mehr. "Klasse, jetzt passiert was!" - das Gefühl hatte auch Felix Lüdecke, als sie genug ver.dianer waren, um ihre eigene Tarifkommission zu wählen. "Als der Raum sich zur Mitgliederversammlung mehr und mehr füllte, das war pure Euphorie", erinnert sich Bianca Tschacher. Auf der Versammlung entschieden sie über die Forderungen: Vergütung wie im öffentlichen Dienst, mehr Ausbildungsqualität, Schichtzulagen und Sonderzahlungen, 30 statt 27 Urlaubstage und die Übernahme.

Schon vor der ersten Verhandlung im Juni gab es plötzlich eine Gehaltserhöhung. Der Druck wirkt, sagten sich die Aktiven. Doch nach der ersten Verhandlung war die Stimmung auf dem Nullpunkt. "Da saßen uns Leute aus der zweiten Reihe gegenüber", sagt Sophia Ludwig. "In ihrem Angebot kam Geld überhaupt nicht vor. Ich hab gedacht: Nicht mit mir!" Die Azubis ließen nicht locker. Ende September wurde wieder verhandelt, am 7. Oktober lag der Tarifvertrag auf dem Tisch. Das Ergebnis: Mehr Geld, in zwei Stufen steigt es auf 93 Prozent von dem, was im öffentlichen Dienst gezahlt wird. Ein Urlaubstag mehr und die garantierte Übernahme für alle mit Noten von 1,5 und besser. Alle, die 2,0 schaffen, haben das Recht auf ein Gespräch und dadurch noch eine Chance.

Der Übernahmeteil ist Sophia Ludwig besonders wichtig, weil er "nicht schwammig" ist. Und ja, sie selbst profitiert natürlich auch davon. Sie hält den Vertrag für einen Erfolg. "Klar, ich sehe die Schere zwischen dem, was ich will, und dem Machbaren. Aber es war schwer genug, das zu schaffen, mit immer wieder neuen Leuten, die an die Schule kommen. Uns wird nichts geschenkt, das läuft hier knallhart." Und nicht ohne Damian, ihren ver.di-Mann, sagt Robert Manek.

Übrigens haben sie das nicht nur für die eigenen 200 Euro mehr getan. Es habe Spaß gemacht. "Wenn ich jetzt durch die Schule gehe, kenne ich eine Menge Leute, wir gehören zusammen." Und sie denken an Nachfolger/innen. Das Erbe soll ja weitergeführt werden.

"Uns wird nichts geschenkt, das läuft hier knallhart"

Sophia Ludwig, im 3. Ausbildungsjahr zur Krankenpflegerin