Was mag in seinem Hinterstübchen wirklich vorgehen, wenn ein Spitzenpolitiker - sagen wir: der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel - sich auf Diskussionen mit dem gemeinen Volk einlässt? Will er tatsächlich herauskriegen, wie seine Untertanen wirklich ticken? Nimmt er ernst, was Bürgerinnen und Bürger ihm sagen? Oder denkt er bei sich: Mein Gott, die begreifen wieder mal gar nichts. Plappern nur nach, was die Medien ihnen einflüstern. Unser Vizekanzler Gabriel hat offenbar ein bisschen Angst vor dem Volk, Sorge, dass er Argumente zu hören bekommt, die er nicht mehr aus dem Kopf kriegt, mit denen er sozusagen kontaminiert wird, sich irgendwie beschmutzt. Weil er sich doch eigentlich sicher ist, dass er nur lupenreine, also saubere Argumente hat. Denn wie kommt es sonst, dass er fürchtet, sich in der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden zu beschmutzen, selbst wenn die ganz sanft und einfühlsam mit ihm sprechen. Beim Evangelischen Kirchentag zum Beispiel, kürzlich in der Schwaben-Hauptstadt Stuttgart. In der "Alten Kelter" in Fellbach treffen Sigmar Gabriel und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm zusammen. Thema: die Freihandelsabkommen TTIP und CETA zwischen EU und USA beziehungsweise Kanada. Die etwa 1000 Zuschauer im Saal haben - nach Beobachtungen des Deutschlandfunks - eine klare Meinung dazu, erheben sich von ihren Sitzkartons und halten ihre Schilder hoch. Mehr passiert nicht. Heinrich Bedford-Strohm ist bemüht, nicht als radikaler Gegner des freien Handels dazustehen. Doch es gibt für ihn klare Prinzipien, an denen sich eine faire Handelspolitik orientieren muss, daher kann er "nach dem gegenwärtigen Stand eine Zustimmung zu TTIP nicht empfehlen". Das reicht. Denn schon ahnt unser Vizekanzler, dass er "hier die Arschkarte gezogen" hat: "Aber das ist schon in Ordnung. Teil meines Gehalts ist Schmutzzulage." - Ob das Skandalträchtige an diesem flotten Spruch niemandem so schnell aufging? Von einem empörten Aufschrei der Schmutzigen war jedenfalls nichts zu vernehmen. Und ob es die Schmutzzulage steuerfrei gibt, weiß man auch nicht.

Henrik Müller