London ohne die "tube" - ein ungewohntes Bild und eine Herausforderung für Londoner und Touristen

Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat ein Problem: Ab 12. September hätte die U-Bahn, in der Hauptstadt meist "tube" genannt, auch nachts fahren sollen. Doch das ist jetzt auf unbestimmte Zeit verschoben - woran die Transportarbeiter-Gewerkschaften entscheidenden Anteil haben. In den letzten Jahren und Monaten haben sie immer wieder die Berücksichtigung von Arbeitnehmerrechten bei der Einführung der "night tube" eingeklagt und dafür mehrmals gestreikt - was eine Riesenstadt wie London dann fast lahmlegt.

Mehr Arbeit, aber Stellenabbau

Als Johnson 2013 erstmals seine Idee über die Medien verkündete, hielten viele Londoner das noch für eine gute Sache. Künftig sollten Teile des U-Bahn-Netzes am Wochenende für 24 Stunden in Betrieb sein. Doch zumindest auf gewerkschaftlicher Seite folgte schnell die Ernüchterung. Denn Johnson verkündete fast zeitgleich seine Sparpläne, die unter anderem die Schließung aller Fahrkartenschalter und die Entlassung von fast 900 Mitarbeiter/innen bedeuteten. Für die Beschäftigten stellte sich die Frage: Wie soll eine Ausweitung der Dienstleistungen mit dem Stellenabbau vereinbar sein? Was bedeutet das für Arbeitszeiten und Schichtpläne? Nichts Gutes, wie sich bald zeigte.

Auf Kosten der Beschäftigten

Von Anfang an waren die Gewerkschaften um konstruktive Verhandlungen bemüht. Auf allen Kanälen erklärte Mick Cash, der Generalsekretär der RMT-Gewerkschaft: "Wir waren nie gegen die Nacht-U-Bahn. Im Gegenteil, wir sind immer an einer Verbesserung der Dienstleistungen interessiert." Doch dürfe das Vorhaben nicht auf Kosten der Sicherheit für die Passagiere und "auch nicht auf Kosten unserer Kolleginnen und Kollegen" umgesetzt werden.

Letzteres aber war wohl der Plan des Londoner Bürgermeisters. Er verweigerte jeden direkten Kontakt mit den Gewerkschaften, obwohl die sich immer wieder darum bemühten. Er übertrug die Verhandlungen stattdessen einem Managementteam des Unternehmens London Underground (LU). Dem gab er klare politische Anweisungen: Die Nacht-U-Bahn muss pünktlich starten und mit allen Einsparungen umgesetzt werden.

So kam es zur Eskalation. Im April 2015 verkündete London Underground, die Gehälter würden dieses Jahr nur um ein halbes Prozent steigen. Im Mai wurden außerdem ohne Einbeziehung der Gewerkschaft neue Schichtpläne vorgelegt. Die hatten es in sich: Um die U-Bahn auch nachts fahren zu lassen, wurden Wochenend- und Nachtschichten drastisch ausgeweitet. Innerhalb einer 24-stündigen Frist sollte jede/r Beschäftigte im gesamten Netz der Metropole einsatzbereit sein. Laut gültigem Tarifvertrag gilt für Veränderungen des Schichtplans jedoch eine Frist von 28 Tagen.

Was die neuen Pläne für die Beschäftigten bedeuten würden, beschrieb Mike Davey auf Facebook so: "Derzeit habe ich eine Nachtwoche in einer Zeit von 52 Wochen. Manchmal zwei, wenn es sein muss. Mit dem neuen Schichtplan müsste ich mindestens 14 Nachtwochen arbeiten. Ich habe Familie, ich würde sie gern manchmal am Wochenende sehen."

Das Transportwesen brach zusammen

Für die Gewerkschaften waren die neuen Schichtpläne eine Provokation. Die Umsetzung wurde verweigert, die Urabstimmung über Streiks eingeleitet. Die Gewerkschaften bekamen für den Streik die sensationelle Zustimmung von 80 bis fast 100 Prozent. Ein Zeichen für die Wut, die das Handeln des Managements ausgelöst hatte. Die Empörung zeigte sich im Juli und August in den Streiks. Diesmal standen tatsächlich alle Räder still. Das öffentliche Transportwesen der Hauptstadt brach zusammen. Unzählige Menschen mussten zu Fuß zur Arbeit gehen. Den Streikenden schlug die Hetze vieler Medien entgegen. Manche Radiomoderatoren riefen gar dazu auf, Streikende in ihren Wohnungen zu besuchen und zusammenzuschlagen. Doch es gab auch viel Unterstützung von anderen Gewerkschaften und aus der Bevölkerung. Schließlich ging es auch um die Interessen der Fahrgäste, denn Bürgermeister Johnson wollte die Nachtfahrten ohne jedes Sicherheitskonzept durchsetzen.

Für Ende August und Anfang September waren weitere Streiks vorgesehen. Doch die früheren Streiks hatten gewirkt, das Management ließ sich gerade noch rechtzeitig auf ein Schlichtungsverfahren ein. Der 12. September wurde als Einführungstermin der Nachtbahnen ausgesetzt. Auch die 28-Tage-Frist für die Einführung neuer Schichtpläne gilt wieder. Ein erster Erfolg der Streiks - und der konsequenten Interessenvertretung.