Als der Rentner und Publizist Krzysztof Łoziński im November seinen Aufsatz zur Wahrung der Demokratie in Polen schrieb und ins Netz stellte, war er nicht sicher, "ob das überhaupt jemand liest". Schockiert von der Umgestaltung des polnischen Verfassungsgerichts durch die neue Regierung, rief er zur Bildung eines "Komitees zur Verteidigung der Demokratie" auf. Der Informatiker und Blogger Mateusz Kijowski stieß auf den Aufruf und gründete sofort eine Facebook-Gruppe. Am nächsten Tag hatte die Gruppe schon 3.000 Mitglieder, bis Ende Januar haben sich 150.000 Menschen angeschlossen. Der Aufruf führte zur größten Protestbewegung in Polen seit der Gründung der Gewerkschaft Solidarność 1980. Mitte Januar haben in Warschau 20.000 Menschen demonstriert, Tausende protestierten zeitgleich in 35 weiteren polnischen Städten. Die Bewegung ist überparteilich, alle Teilnehmer/innen vereint die Sorge um den Rechtsstaat. Denn die nationalkonservative PiS-Regierung von Beata Szydlo gestaltet seit ihrer Wahl im Oktober im Eiltempo die gesellschaftlichen Grundpfeiler im Land zu ihren Gunsten um.

Erst wurde die Arbeit des Verfassungsgerichts durch neue Regeln erschwert, dann der staatliche Rundfunk direkt der Regierung unterstellt und ein PiS-Propagandist zum neuen Intendanten der Sendergruppe TVP (ähnlich der ARD) gemacht. Viele Führungspositionen und Moderatorenstellen wurden neu besetzt. Vier Senderchefs traten daraufhin zurück. Im nächsten Schritt werden nun alle Redakteure auf Linientreue überprüft. Die staatlichen Medien sollen als "nationale Kulturinstitute" künftig dem Kulturminister unterstellt sein und vorrangig das polnische Nationalbewusstsein fördern. Zudem tauchte eine Liste mit 47 bekannten Künstlern und Journalisten auf, die die Regierung als "Landesverräter" ansieht.

Gleichzeitig ermöglicht ein neues Polizeigesetz, jede E-Mail und Telefonrechnung unbeschränkt einzusehen und zu archivieren. Der nächste bedenkliche Schritt: Der Justizminister soll gleichzeitig Generalstaatsanwalt werden. Die polnische Regierung missbraucht ihre Macht, um die demokratischen Rechte einzuschränken. Erstmals überprüft nun die EU-Kommission die Rechtsstaatlichkeit eines Mitgliedsstaates.

Eine starke Zivilgesellschaft

Auch Adam Leszczyński, Redakteur der großen liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, ist mit seinen Kindern in Warschau beim Protest dabei - wie viele seiner Kolleg/innen. "Das Ausland sollte Polen kritisch beobachten, aber nicht überreagieren", sagt er. "Wir haben eine starke Zivilgesellschaft." Die Demonstration sei dafür ein Beleg.

Auf der Demonstration für Pressefreiheit im Dezember war Tomasz Lis der Hauptredner. Er ist Chefredakteur des polnischen Nachrichtenmagazins News-week und wohl der bekannteste polnische Journalist im Land. Sein TV-Talk wurde als erste Sendung abgesetzt. Er sagt: "Die Medien sind ja nur ein Teil. Die drei wichtigsten Institutionen einer Demokratie - Legislative, Exekutive und Gerichtsbarkeit - wurden lächerlich gemacht, abgeschafft oder lahmgelegt." Lis befürchtet, nach den öffentlichen würden nun auch den privaten Medien die Daumenschrauben angelegt, etwa über Steuererhöhungen oder eine regierungskonforme Auslegung der Straftat "Beleidigung der polnischen Nation".

Während Zehntausende bei frostigen Temperaturen seit Wochen überall in Polen für freie Medien auf die Straße gehen, verteidigt die größte Journalisten-Gewerkschaft SDP die Einschränkungen der Pressefreiheit durch die Regierung. Krzysztof Bobiński war bis vor acht Monaten Vizevorsitzender der SDP in Warschau. Er berichtet, die Organisation werde seit zwei Jahren gezielt von Mitgliedern der Regierungspartei PiS unterlaufen. Deshalb trat er aus der Gewerkschaft aus.

Renata Gluza, Redakteurin des Branchen-Magazins Press, meint, die Stimmung unter den Journalisten sei vergiftet, ein Graben habe sich gebildet zwischen den PiS-Günstlingen und den anderen. Wie die Regierung griffen auch die PiS-freundlichen Medien jeden an, der nicht ausdrücklich auf ihrer Seite stehe.

Die Regierung verschließt sich bisher jeder Kritik, auch seitens der EU. Sie weiß: EU-Sanktionen müssten einstimmig beschlossen werden, und Ungarns Regierungschef Viktor Orban kündigte bereits sein Veto für den Fall von Sanktionen gegen Polen an. Tomasz Lis sagt, die Regierung verstehe nicht, dass die EU "nicht nur aus freiem Geldfluss und Fördermitteln besteht, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist". Vielleicht zeige der Protest im In- und Ausland nicht sofort Wirkung. Aber ohne ihn hätten die PiS-Politiker das Gefühl, sie könnten machen, was sie wollen - auch alle demokratischen Barrieren einreißen.

"Wirklich beeindrucken würde die Regierung nur Kritik aus den USA", sagt Redakteur Adam Leszczyński. Entscheidend wird aber die Haltung der jüngeren Polen sein. Noch halten viele von ihnen sich bei den Protesten zurück. "Ein Teil der Jungen ist überzeugt nationalkonservativ", sagt Bobiński. "Für viele andere ist Politik ein schmutziges Spiel der Älteren. Sie wissen nicht, wie es ist, seine Meinung nicht äußern zu dürfen." Doch Krzysztof Łoziński, der den Aufruf zur Wahrung der Demokratie ins Netz gestellt hat, sagt: "Auch sie wachen langsam auf. Gerade hat sich das Junge Komitee für Demokratie gebildet." Der Publizist hat sein ganzes Leben lang für ein freies Polen gekämpft. 1983 saß er als Solidarność-Führer im Gefängnis. "Da kann ich doch jetzt nicht zusehen, wie sie es zerstören."

Florian Maaß