15 lange Jahre hat es gedauert, nun sind vier ranghohe hessische Steuerfahnder in letzter Instanz endgültig rehabilitiert worden. Falsche Gutachten hatten sie für verrückt erklärt und sie beruflich aus dem Verkehr gezogen. Von einer Anerkennung des Unrechts durch die Verantwortlichen fehlt allerdings bis heute jede Spur

"Es steht die Frage im Raum, ob hier nicht Veruntreuung von Steuergeldern erfolgt." Sagt Rudolf Schmenger, einer der vier Ex-Steuerfahnder

Da hätte manch einer wahnsinnig werden können: 15 Jahre Kampf gegen Entwürdigung und Existenzzerstörung. Jetzt endlich, zum Jahresende 2015, ist die höchstrichterliche Bestätigung des Frankfurter Oberlandesgerichts (OLG) gefallen: Vier Frankfurter Steuerfahnder sind nicht verrückt, sondern völlig bei Sinnen, das heißt geistig vollkommen gesund. 15 Jahre lang stand das in Frage. Das OLG stützte sich nun auf ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Gutachten des renommierten Münchner Psychiatrieprofessors Norbert Nedopil.

Seinen Anfang hatte alles 2001 genommen. Rudolf Schmenger, Marcus Wehner und Tina und Heiko Feser, die vier Steuerfahnder, wehrten sich gegen eine Verordnung, die ihrer Ansicht nach zur Schonung reicher Steuersünder führte. Bis dahin hatten sie dem Fiskus hohe Millionenbeträge hinterzogener Steuern zurückgeholt. Sie spielten in der Abteilung Steuerfahndung im Finanzamt V, in Frankfurt am Main, in der obersten Liga.

Gegenstand ihrer Ermittlungen waren damals vor allem Großbanken, die ihre Kunden deckten, aber auch die Liechtensteiner Stiftung Zaunkönig, in der Schwarzgeld der CDU illegal gebunkert worden war. Es drängte sich der Verdacht auf, dass die 1999 ins Amt gewählte Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zumindest nichts dagegen hatte, dass gut betuchte Steuersünder fürderhin nicht mehr verfolgt werden sollten. Ganze Abteilungen im Finanzamt rebellierten, unterschrieben Protestbriefe, versuchten, den Erlass intern zu revidieren. Vergeblich. 2001 nahm eine Welle von Versetzungen und Schikanen ihren Lauf. Viele resignierten. Nur die vier gaben nicht auf.

Einfach kaltgestellt

Sie wurden zwangsversetzt, kaltgestellt, gemobbt und mussten sich im Auftrag der Oberfinanzdirektion sogar einem psychologischen Gutachten unterziehen. Der Neurologe Thomas H. erklärte die Fahnder damals unisono und mit fast gleich lautenden Gutachten für verrückt. Angeblich litten sie alle, so der Neurologe H., an unheilbarer "paranoid-querulantischer Entwicklung" und dauerhaftem "Realitätsverlust" ohne "Krankheitseinsicht". Zwischen 2007 und 2009 wurden sie wegen dauerhafter Dienstunfähigkeit zwangsweise in den Ruhestand versetzt.

Dass der Arzt, der bereits vom Berufsgericht der Landesärztekammer wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt worden war, nun auch eine Entschädigung von insgesamt über 226.000 Euro an die vier geschassten Steuerfahnder zahlen muss, ist immerhin eine Genugtuung. Noch 2012 hatte die Entscheidung eines Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags mit den Stimmen von CDU und FDP für sie ein deprimierendes Ergebnis gebracht. Mobbing habe nicht stattgefunden. Sie könnten, so das Ergebnis, auch wieder arbeiten, wenn sie sich noch einmal im Landesauftrag begutachten ließen. Alle vier empfanden das als unzumutbar.

Falschgutachter wird weiter beauftragt

Frankfurt, Flughafen - Terminal 2. Schmal und energisch kommt Rudolf Schmenger am frühen Januarmorgen dieses Jahres kurz vor seinem Abflug nach Berlin zum Gespräch. Sein Terminkalender ist voll. Dass er gerichtlich rehabilitiert ist, das ist ihm wichtig. Aber man merkt, ihm wäre die Anerkennung des Unrechts, das ihm und seinen Kollegen widerfahren ist, ebenso wichtig gewesen. Dabei wäre es gar nicht so schwer gewesen, sich auf einen Kompromiss zu einigen, bei dem auch eine Wiedereinstellung möglich gewesen wäre, allerdings nicht am Katzentisch in einer Behörde, in der sie einmal die Spitzenkräfte gewesen waren.

Schmenger, der sich ohnehin noch einmal begutachten ließ, um die Zulassung zum Steuerberater zu bekommen, erhoffte sich zwischendurch zumindest Gerechtigkeit. Er wäre bereit gewesen, wieder in die Landesdienste zu treten, fuhr nach dem Angebot von Reaktivierungsgesprächen seine Klientenliste herunter und reduzierte seine Lehraufträge, machte Vorschläge. Das Angebot des Landes sei jedoch, so vermutet er, nur zum Schein erfolgt und "im Endeffekt unehrlich" gewesen: "Die dachten wohl, wir kommen gar nicht." Das sei jetzt fast zwei Jahre her und es habe sich "null, aber auch nichts bewegt": "Dadurch ist mir wieder nur finanzieller Schaden entstanden."

Bis heute verstehe er nicht, sagt Schmenger, warum das Land der Klage gegen den Falschgutachter seinerzeit nicht beigetreten sei. Durch die Zwangspensionierung und die wegen der Entlassung entgangenen Einnahmen und die Ausbildung neuer Kräfte sei ein Millionenschaden entstanden. Das Land sei den Bürgern verpflichtet und müsse sich eigentlich, so Schmenger, den entstandenen Schaden von dem Schuldigen ersetzen lassen: "Es steht die Frage im Raum, ob hier nicht Veruntreuung von Steuergeldern erfolgt." Wenn der Arzt nicht zahlen könne, werde das Land vermutlich ohnehin wieder in die Pflicht genommen werden müssen. Thomas H. aber werde trotz Verurteilung weiter, zum Beispiel von Gerichten, als Gutachter herangezogen.

Schmengers Kollege Marco Wehner (45) ist erst einmal froh über das OLG-Urteil: "Da ist eine Zentnerlast abgefallen. Es hat einfach gut getan. Wir sind doch irgendwie ein Rechtsstaat!" In einem ersten Prozess vor dem Landgericht war ihm als einzigem der vier keine Entschädigung zugesprochen worden: "Das habe ich gar nicht verstanden." Alle vier waren in Berufung gegangen. Das neue Urteil schaffe endlich auch für ihn einen, "wenn auch kleinen" Ausgleich, sagt Wehner.

Zurück in den Dienst nicht um jeden Preis

Er hatte im Zwangsruhestand, unter dem auch die Familie, sein soziales Leben und seine Gesundheit gelitten hatten, die Fahrlehrerprüfung gemacht und in Fulda gearbeitet. Der Fahrschule, die ihn damals aufgefangen habe, sei er noch heute sehr dankbar. "Man ist ja aus dem Leben gerissen worden. Ich war damals erst 39 Jahre alt." In der Fahrschule hilft der frühere Steuerrückholexperte heute noch aus, hat sich aber ansonsten mit Buchhaltung und Büromanagement langsam selbstständig gemacht. Er hat seine Rückkehr in den Landesdienst ebenfalls erwogen, aber "nicht um jeden Preis". Wenn das schief gehe, sagt er, "dann ist wieder alles weg, was ich aufgebaut habe, und dann wird das wieder zu unserem Problem gemacht". Die "Funkstille" nach den Reaktivierungsgesprächen habe ihn enttäuscht: "Es gibt keine Verantwortlichen."

Wehner hat den Eindruck, "dass alle heilfroh sind, wenn nichts mehr passiert". Ihm fehlt mittlerweile das Vertrauen. Er hält eine finanzielle Entschädigung des Landes für einen angemessenen Ausgleich: "Eigentlich gehört es sich, dass man eine vernünftige Lösung findet."

Das Berufsbild muss sich gewaltig ändern

Heiko und Tina Feser, die beiden anderen Ex-Steuerfahnder, haben sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Tina Feser arbeitet nach einer neuen Ausbildung im Frankfurter Ostend als bildende Künstlerin, verbindet in ihren Objekten Malerei, Bildhauerei und Fotografie. Auch Rudolf Schmenger hat für sich entschieden: "Ich gehe jetzt meinen eigenen Weg und baue meine Kanzlei erneut aus." Seit er 2009 den Whistleblower-Preis erhielt, hat er gute Kontakte: "Die Leute wenden sich an mich." Heute hilft er auch Steuersündern "wieder zurück auf den Weg der Legalität".

Ohne Entschuldigung und Entschädigung durch das Land Hessen ist für ihn aber "die Steuerfahnderaffäre noch nicht zu Ende". Es geht ihm in dem langen Kampf längst nicht mehr nur um Rehabilitation und Entschädigung. Er kritisiert die Steuerverwaltung insgesamt, deren Beamte "mit Ärmelschonermentalität" den internationalen Tricks der Steuerflüchtlinge längst nicht mehr gewachsen seien. Es brauche dringend langfristiges Vorausdenken und eine internationale Vernetzung: "Das Berufsbild des Steuerfahnders muss sich gewaltig verändern." Sein Fazit "nach 15 Jahren Odyssee": "Nicht wir Steuerfahnder sind die wahren Verlierer. Wir haben mit Beharrlichkeit unseren Weg gefunden und Fehlverhalten aufgedeckt." Verlierer seien "die Beamten, die jahrelang geschwiegen haben. Und die Steuerzahler."