Es war der Tabubruch schlechthin, als im März 2013 erstmals hunderte indische Witwen in Vrindavan das Holi-Fest, das höchste hinduistische Glaubensfest einfach mitfeierten. Hatte die indische Gesellschaft jahrhundertelang nicht mehr als den Scheiterhaufen für Witwen übrig, findet ihr Leben seit einigen Jahren in dem im nördlichen Indien gelegenen kleinen Städtchen wieder einen Sinn. Der indische Sozialreformer Bindeshwar Pathak hat dort in der Ghost Street, der Geister Straße, wo der Mythologie nach Gott Krishna geboren und als Kuhhirte aufgewachsen ist, ein Haus eröffnet, in das viele mittellose, von der Familie verstoßene, hinduistische Witwen kommen, um dort den Rest ihres Lebens zu verbringen. Frauen, die in ihrem Leben meist nie eine Schule von innen gesehen haben, können dort lesen und schreiben lernen, und wenn sie mögen, auch einen Beruf erlernen. Die Bilder von den befreit lachenden, fröhlich feiernden Frauen gehen seither jedes Jahr durchs ganze Land, von Witwenverbrennungen wird nur noch in der Vergangenheit geredet. Heute bekennen indische Witwen zum Holi-Fest - wie es sich gehört - Farbe. Ihren Rausch in Farben und ihren Spaß beim Lernen hat der französische, vielfach ausgezeichnete Fotograf Xavier Zimbardo festgehalten, der im Jahr 2006 "photsoc" gründete, ein internationales Festival für sozial engagierte Fotografie.

Angel of Ghost Street, Hrsg. Xavier Zimbardo und Bindeshwar Pathak, Englisch. Erschienen bei Edition Lammerhuber. 24 x 30 cm, 168 Seiten, 92 Fotos, 59 €, ISBN 978-3-901753-86-2