Ort der Täter

Das Gelände

Seit den achtziger Jahren zog es einen jungen Mann immer wieder mit seiner Filmkamera an einen vergessenen Ort von Westberlin, gleich an der Sektorengrenze. Hinter dem Martin-Gropius-Bau und gegebenüber dem Preußischen Landtag, dem heutigen Abgeordnetenhaus, lagen die Ruinen des früheren Prinz-Albrecht-Palais, in dem sich das Reichssicherheitshauptamt, die Zentrale von SS und Gestapo befand. Hier verhörten, folterten und töteten die Nazis mitten in der Stadt und absichtlich unter aller Augen; hier wurden Judenvernichtung und Völkermord erdacht, konzipiert und von gewieften Anwälten, Richtern und sonstigen Akademikern nach ganz Europa exportiert. Heute zieht dort die Dauerausstellung Topographe des Terrors Touristen aus aller Welt an.

Dem jungen Filmer Gressmann und den Westberlinern bot sich damals ein ganz anderes Bild. Das Gelände war eine Brache, auf dem die Schuttreste der Kreuzberger Sanierungsphase aufgehäuft worden und mit Unkraut überwuchert waren. Im kleinen ehemaligen Wäldchen des Palais-Gartens hatte sich Spontanwuchs breitgemacht: Westberliner holten sich hier mal einen Apfel oder eine Birne von den Bäumen, zu Weihnachten lieh man sich auch mal eine kostenlose Tanne vom Gelände aus. Im legendären Autodrom des Frontstadt-Originals Strapsharry, dem die Brache vorübergehend verpachtet worden war und der einst selbst in den Kellern darunter von der Gestapo verhört worden war, konnte jeder auf einem Opel das Fahren ohne Kennzeichen erlernen.

Später zog es ein paar Studenten mit Spaten hierhin, sie begannen aus Interesse zu buddeln und staunten nicht schlecht über schnell gemachte Funde. Erst mit der Wende und ihrem Immobilienrausch rückte das Gelände in der Niederkirchnerstraße ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Mit dem Wechsel zur Bundeshauptstadt Berlin war klar - es muss einen Ort der Erinnerung geben. Die Idee zur Ausstellung Topographe des Terrors war geboren. Martin Gressmann zeigt das Werden, Wachsen und Wechseln dieses Geländes und seiner historisch aufgeladenen Umgebung in einer fast meditativen Langzeitbeobachtung. Folgt man seinen oft grobkörnigen frühen Aufnahmen, ertappt man sich beim Versuch der Orientierung, die Perspektiven wechseln und beziehen das ganze Karree mit in die Geschichtssuche ein. Stimmen diverser Zeitzeugen liegen im Off und ergänzen mit vielschichtigen Erfahrungen und Erinnerungen die regelrecht sinnlichen Bilder von Schutt und Asche. Jenny Mansch

Dok 2016 von Martin Gressmann, Schnitt: Bettina Böhler, Kinostart: 9. November


Gleißendes Glück

Der Neuropsychologe im Fernsehen stimmt hoffnungsvoll: Das Leben ließe sich so gestalten, wie man es haben möchte, man müsse nur das Gehirn entsprechend konditionieren. Also macht sich Helene Brindel auf den Weg zu dem Experten, um sich von ihrem gewalttätigen Mann und ihren lästigen Schlafstörungen zu befreien und den Glauben an Gott wiederzufinden. Mit Religion hat dieser Eduard Gluck nicht viel am Hut, aber irgendwas reizt ihn an der etwas altmodischen Frau aus der Provinz. An seinem freien Abend gibt er den Kavalier. Man ahnt es, daran ist etwas faul. Aber wer hätte gedacht, dass eine zwanghafte Porno-Sucht des Professors die sich anbahnende zarte Beziehung empfindlich stören würde? Aber das ist noch nicht das Ende. Er bittet darum, ihr schreiben zu dürfen, sie ringt sich zu einem Striptease durch, um ihn zu kurieren. Dann nimmt die zarte Romanze zwischen der mit unverwechselbarem Schleierblick aufspielenden Martina Gedeck und dem mit liebenswertem Charme brillierenden Ulrich Tukur unvorhersehbare, aberwitzige Wendungen. Schwarzhumorig, tiefgründig, temporeich: Diese Komödie hat es in sich! Kirsten Liese

D 2016. R: Sven Taddicken. D: Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Johannes Krisch u.a. 102 Min. Kinostart: 20. Oktober


Nebel im August

Schon fies, einen so sympathischen Schauspieler wie Sebastian Koch in der Rolle eines gewissenlosen Arztes zu erleben. Scheinbar fürsorglich nimmt er sich eines unangepassten Jungen an, den Kinderheime in seine Nervenheilanstalt abgeschoben haben. Man will ihm vertrauen. Aber der Psychiater entpuppt sich als ein Verfechter der Euthanasie. Im Auftrag der Nazis entwickelt er perfide Methoden, um die Behinderten zu "erlösen". Nach und nach verhungern Patienten, sterben die Kinder an einer tödlichen Medizin. Der Horror beruht auf wahren Ereignissen in einer Anstalt in Kaufbeuren Anfang der 1940er Jahre. Der aufwühlende, Oscar-verdächtige Film geht an die Nieren, berührt aber auch mit großer Menschlichkeit. Immerhin versteckt eine katholische Schwester ein Mädchen in ihrem Zimmer. Der eigentliche Held ist der 13-jährige Ernst Lossa. Der clevere, verwaiste Sohn fahrender Händler riskiert viel, um Mitpatienten zu retten, und sorgt für ein bisschen Spaß in der Schreckensanstalt, wenn er die stinkenden, ungenießbaren Fische auf seinem Teller durch die Luft wirbelt, bis sie an der Decke kleben. Kirsten Liese

D 2016. R: Kai Wessel. D: Sebastian Koch, Ivo Pietzcker, Fritzi Haberlandt, Henriette Confurius; 120 Min. Kinostart: 29. September.