Es ist Zeit, die Schuhe zu ändern

Risse und Narben laufen über die Unterseiten der Finger der 45 Jahre alten Näherin aus Ambur im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Die rauen Fäden, mit denen sie seit über 20 Jahren in Heimarbeit Schuhoberleder zusammennäht, schneiden immer wieder in ihre Finger, hinterlassen Schmerzen und Narben. Schmerzen in der Schulter kommen wegen der einseitigen Belastung hinzu. Eine Näherin von 21 Jahren, die ein paar Häuser weiter wohnt, weiß von Brustkrebs-Fällen unter den Näherinnen. Es sind Chrom-Salze und Cadmium aus dem gegerbten Leder, die über Atemwegs- und Magen/Darm-Erkrankungen auch Krebs verursachen können.

Weniger als ein Cent

Die beiden Näherinnen aus der indischen Lederindustrie kommen in einem Video zu Wort, mit dem derzeit Gopinath Parakuni, Generalsekretär der südindischen Nichtregierungsorganisation CIVIDEP, und Brinda Devi, Koordinatorin von Trainingsprogrammen für Fabrik- und Heimarbeiter/innen im Schuh- und Ledersektor in Ambur, durch Europa reisen. Sie wollen auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter / innen, die Schuhe für den Weltmarkt und vor allem auch Europa produzieren, aufmerksam machen und sie verbessern.

Die Heimarbeiterinnen aus dem Video erhalten im Schnitt 15 Cent pro Oberleder, das sie vernähen. Pro Tag schaffen sie es, circa zehn Schuhleder zusammenzunähen und kommen so auf einen Tageslohn von 1,50 Euro. Die 21-jährige Näherin aber bekommt oft nicht einmal einen Cent pro Oberleder, weil sie noch so jung und unerfahren sei, sage der Zwischenhändler, der ihr das Leder bringt und die genähten Teile wieder abholt.

"Die Käufer wissen gar nichts von unseren Problemen", sagt eine andere Arbeiterin, die 40 Jahre lang Schuhsohlen in einer Fabrik geklebt hat. Sie musste mit der Arbeit schon aussetzen, weil sie bei ihr Kopf- und Halsschmerzen sowie Verdauungsstörungen auslöste. Die Gerbereien, in denen überwiegend Männer das Leder zur Weiterverarbeitung herstellen, stehen an vierter Stelle auf der Liste der Industrien, die zur größten Umweltbelastung beitragen. Nicht nur die Arbeiter, auch Anwohner/innen rund um Gerbereien leiden häufig unter Durchfall, Fieber und Hautproblemen, da die Chemikalien durch die Böden und über das Wasser in die Nahrungsmittelkette gelangen. Damit sich das ändert, haben sich das entwicklungspolitische Netzwerk Inkota und 17 weitere internationale Menschenrechts- und Arbeitsrechtsorganisationen wie CIVIDEP zur "Change your Shoes"-Initiative zusammengeschlossen. Damit neben der Textilindustrie auch die Schuhkette nachhaltiger und ethischer wird. Die Arbeitsrechtsorganisation CIVIDEP engagiert sich seit 2000 für die Rechte indischer Arbeiter / innen. Neben der Textil-, Elektronik-, Kaffee- und Teelieferkette stehen seit 2015 nun auch Leder und Schuhe in ihrem Fokus.

Verhandlungsstark in der Gruppe

"Das größte Problem der Heimarbeiterinnen neben den gesundheitlichen Belastungen ist, dass sie nur acht Monate im Jahr Arbeit haben", sagt Brinda Devi. Aufs Jahr gesehen schrumpft so der ohnehin mickrige durchschnittliche Monatslohn von 40 Euro noch mehr. Dennoch sei es schwierig, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen, so Brinda. "Sie haben Angst ihre Jobs zu verlieren, wenn die Agenten mitbekommen, dass sie mit Arbeitsrechtsorganisationen reden."

Diese Erfahrung macht auch Gopinath immer wieder. "In der Lederindustrie arbeiten die marginalisiertesten Gesellschaftsgruppen, die sogenannten Unberühr- baren und Moslems", sagt er. "Sie zählen zu den ärmsten Schichten, hinken in der Bildung hinterher, auch im Pro-Kopf-Einkommen, und haben keinerlei politischen Einfluss." Zudem: Versuchten Frauen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, würden sie oft entlassen, und das schrecke ab.

Gopinath und Brinda setzen daher vor Ort auf Frauen-Solidaritätsgruppen, die zunächst Mikrofinanzgruppen bilden, um Schulden zu vermeiden. Später klären sie die Frauen auch über ihre Rechte auf. "Als Gruppe haben sie am Ende eine größere Verhandlungsstärke", sagt Brinda. Daher sei es auch wichtig für die Frauen zu wissen, "wohin ihre Schuhe zu welchem Preis verkauft werden". Hier setzt die internationale Initiative an. Zusammen mit Inkota und den anderen NGOs soll der Druck auf die großen Unternehmen erhöht werden.

Aber auch die Konsumenten müssten hinterfragen, woher ihr Produkt kommt, sagt Berndt Hinzmann von Inkota. Noch immer weigerten sich Unternehmen wie Deichmann und Birkenstock, die in Ambur produzieren lassen, ihre Liefer- und Produktionskette offenzulegen, so Hinzmann. Schuhe sollten nicht drücken, nicht bei denen, die sie tragen, und auch nicht bei denen, die sie produzieren.

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