Fragiler Frieden

Irgendwann wird Christian sich durch einen Müllberg wühlen. Was für ein Bild. Was für eine Symbolkraft. Wie überhaupt The Square voller Metaphern steckt. Aber erst einmal zum Anfang, erst einmal zu Christian: Der ist Kurator in einem Museum für zeitgenössische Kunst in Kopenhagen. Aber Christian könnte auch in Paris oder New York leben, sein Museum in Mailand oder Berlin stehen. Christian sieht gut aus, ist gebildet, trinkt rote Weine und trägt seine feinen Anzüge mit selbstsicherer Lässigkeit. Er fährt einen Tesla, kauft der Obdachlosen ein Sandwich und müht sich, ein netter Chef zu sein. Doch während er eine Ausstellung vorbereitet, werden ihm Handy und Brieftasche gestohlen. Es ist die Initialzündung für eine Kettenreaktion, in deren Folge nicht nur die Pressekampagne für die neue Ausstellung und mit ihr auch Christians Leben immer mehr aus den Fugen geraten. Oberflächlich betrachtet ist The Square eine Satire auf den institutionalisierten Kunstbetrieb, dessen absurde Rituale seziert werden. Andererseits feiert der Film des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund aber auch die Irritationskraft der modernen Kunst, wenn die Installationen in Christians Museum zusehends die Abwärtsspirale in seinem Leben spiegeln und kommentieren, wenn am symbolträchtigen Höhepunkt des Films eine Ausstellungseröffnung aus den Fugen gerät, weil die Grenze zwischen der Kunst und der Realität, die diese Kunst kritisiert, für einen schmerzhaft langen Augenblick aufgelöst wird.

The Square hat auch keine Antworten auf diese komplexen Fragestellungen, aber er führt uns - und das auf wundersame Weise sowohl lustig und spannend wie bedrückend und berührend - vor Augen, dass wir nicht weiter nur wegsehen können, wenn wir auch in Zukunft nicht nur gut, sondern auch richtig leben wollen. Thomas Winkler

SWE/D/F/DNK 2017, R: RUBEN ÖSTLUND, D: CLAES BANG, ELISABETH MOSS, DOMINIC WEST U. A., 145 MINUTEN


Berlin, 1943. "Schlank wie ein Reh und so hübsche dunkle Augen. Wie bei einer Jüdin", sagt der glatzköpfige Wehrmachtsoffizier zur jungen Arzttochter Ruth Arndt, gespielt von Ruby O. Fee. Sie soll ihm Wein nachschenken. Die Stimmung ist ausgelassen. Die SS-Schergen haben ihre Hemdkragen geöffnet, paffen Zigarren. Der angespannte Moment verstreicht. Dann antwortet Ruth geistesgegenwärtig: "Ich dachte, es gibt keine Juden mehr in Berlin." Die Runde lacht. Erschreckt verfolgt ihre Freundin Ellen die Szene. Beide sind Jüdinnen, die sich der Deportation widersetzen konnten, die Identität wechselten, zu Unsichtbaren wurden. Aufwühlend erzählt Regisseur Claus Räfle mit seinem ungewöhnlichen Dokudrama die wahre Geschichte von vier jüdischen Jugendlichen, die während der NS-Zeit in Berlin untertauchten. Meisterhaft verknüpft sein mutiges Historienkino Interviews der überlebenden Zeitzeugen mit fesselnden Spielfilmszenen. Eine Riege von Nachwuchstalenten, von Max Mauff über Alice Dwyer bis hin zu Ruby O. Fee, machen das wenig bekannte Kapitel jüdischen Widerstands zusätzlich sehenswert. Luitgard Koch

D 2017. R: CLAUS RÄFLE D: MAX MAUFF, ALICE DWYER RUBY O. FEE, U. A, L: 110 MIN., KIN0START: 26. OKTOBER 2017


Jetzt.Nicht.

Scheitern als Chance, ja, das kann man so sehen. Allerdings ist es das Letzte, was man am Tage seiner Kündigung hören möchte, die ist auch für den Marketing-Direktor Walter ein traumatisches Erlebnis. Dabei hatte er gerade noch in einem Pitch von der Jugendsprache gesprochen, mit der er die neue Anti-Aging-Crème an die Frau bringen will: Yolo. Du lebst nur einmal! Und da der Werber nicht in der Gewerkschaft ist, begeht er den klassischen Fehler und unterschreibt einen Aufhebungsvertrag. Doch seine Frau sieht das anders mit der Chance; sie will nichts hören vom alternativen Leben in Schweden, wo der Mann ja auch Holz hacken könnte. Also flieht der Mittvierziger in die Disco, er lässt sich gehen, nimmt vorübergehend die Identität des Mannes an, der ihn mit dem Auto mitnimmt - Hauptsache weg. Doch der Fahrer, selbst ein Berufsopfer der Werbewelt, nimmt zu viele Tabletten und verstirbt klanglos auf dem Beifahrersitz. Regisseurin Julia Keller entlässt den aus seiner Komfortzone geschubsten Werber auf eine schräge Reise der Selbstfindung, an deren Höhepunkt mit einem Eisbären zu rechnen ist. Jenny Mansch

D 2017, R: JULIA KELLER. D: GODEHARD GIESE, LORETTA PFLAUM. L: 90 MIN., KINOSTART: 9. NOVEMBER 2017