Nichtmal Pu der Bär ist sicher

Regelmäßig aktualisieren Exilchinesen eine Liste von "sensiblen Wörtern", welche im chinesischen Internet zu einer automatischen Sperrung führen. Wenig überraschend zählen dazu Satzglieder wie "nicht einverstanden", "unfähiger Herrscher" oder "das Gesetz ändern". Ebenfalls geblockt werden Werktitel wie "1984" oder "Schöne neue Welt". Andere Verbote wirken skurriler, etwa: "Ich schwöre, mein Leben lang vegetarisch zu essen" (weil eine berühmte Romanheldin diesen Eid im Gegenzug für den Tod des Kaisers schwört), "Pu der Bär" (aufgrund der angeblichen Ähnlichkeit der Tierfigur mit dem Präsidenten Xi Jinping) und sogar der Buchstabe "N" (das mathematische Symbol für eine unbestimmte Zahl könnte ja eine Anspielung auf die unabsehbare Amtszeitlänge Xi Jinpings sein). Es ist jedoch nicht so, dass die Liste ein für alle Mal feststünde. Eine heute gesperrte Vokabel mag morgen durchgehen, dafür eine bisher erlaubte nicht mehr. Niemand kann sicher sein, ob er mit einem gebräuchlichen Satz das ungeschriebene, sich stets ändernde Gesetz nicht verletzt. Volksrepublik China. Hierzulande gilt hingegen seit Beginn des Jahres das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches private Anbieter wie Facebook oder Twitter verpflichtet, Hetze oder Fake-News selber zu entfernen. Diese gehen mit Sperrungen nicht zimperlich um; lieber mehr Inhalte vorsichtshalber blockieren als hohe Strafen riskieren. Da Algorithmen keinen Sinn für Humor haben, verwechseln sie häufig Satire mit echten Hassreden. Vor allem darf jeder Nutzer anonym angebliche Verstöße melden, woraufhin die betroffenen Konten ohne Grundangabe zeitweilig gesperrt werden. Im Unterschied zu China werden also unerwünschte Redewendungen nicht vom Staat geblockt, sondern je nach Gefühl oder Böswilligkeit des Denunzianten entfernt. Zwar wird die endgültige Entscheidung in der Arvato-Löschfabrik getroffen, aber da die Vorschriften sich permanent ändern und jeder Mitarbeiter dort 2.000 Beiträge am Tag prüft, dürfte sich selbst Pu der Bär nicht ganz sicher fühlen. Auch hier ist er gegen seine Verbannung nicht gefeit. Guillaume Paoli