Streik der Pflegekräfte an der Berliner Charité für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz, September 2017

Fast täglich gibt es Versuche, aktive Betriebsräte und kritische Beschäftigte mit juristischen und häufig auch unlauteren Mitteln loszuwerden - Union Busting. Auch in Krankenhäusern. Die Bewegung für mehr Personal in den Kliniken wird offiziell von politischer Seite als wichtig und richtig bezeichnet. Doch die Verantwortung, etwas zu ändern, wird von den Ländern an den Bund weitergereicht. Und die Arbeitgeber rüsten mit Union-Busting-Kanzleien gegen Gewerkschaften auf. Dabei sind Anwaltskanzleien am Werk, die weltweit agieren und sich auf die Gewerkschaftsvermeidung spezialisiert haben. Gewerkschaftsfeindliche Unternehmen versprechen Prämien für den Gewerkschaftsaustritt, verwehren Gewerkschaften Zugangsrechte zum Betrieb, behindern Betriebsratswahlen, erpressen, schikanieren, mobben oder bekämpfen das Recht zu streiken.

Juristische Keule

Privatunternehmen und auch kommunale Kliniken mischen beim Union-Busting in Deutschland rege mit. Beispielsweise versuchten Ende 2017 die Arbeitgeberverbände der vier baden-württembergischen Unikliniken, Tübingen, Freiburg, Heidelberg und Ulm, mittels einstweiliger Verfügung Streiks für einen Tarifvertrag zur Entlastung des Personals zu verhindern. Inzwischen gibt es eine Einigung, doch bis dahin war es ein steiniger Weg. Das Vorgehen der Unikliniken gegen die Beschäftigten bekam vor allem deshalb eine ungewohnte Schärfe, weil dort zum ersten Mal einschlägige Juristen mit an Bord waren. Die Kanzlei Allen & Overy, die sich im Internet rühmt, schon zahlreiche Streiks verhindert zu haben, beriet die Arbeitgeber. Und die fühlten sich bestärkt und gaben selbst dann nicht auf, als das Reutlinger Arbeitsgericht dem Streikverbot eine Abfuhr erteilte. In einem Turboverfahren versuchten sie erneut, in zweiter Instanz die Streiks zu verhindern, und scheiterten "krachend", wie es ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross anschließend ausdrückte.

Die bisherige konstruktive Sozialpartnerschaft sei durch das Verhalten der Arbeitgeber "massiv erschüttert" worden, sagte die Leiterin des ver.di-Landesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in Baden-Württemberg, Irene Gölz. Und die Tübinger Personalratsvorsitzende Angela Hauser nannte es "ein Politikum", dass öffentliche Kliniken mit Hilfe einschlägig bekannter Kanzleien versuchten, das Grundrecht auf Streik zu beschneiden. Die Personalratsvorsitzende ist seit 2005 bei Tarifverhandlungen dabei. So etwas habe sie noch nicht erlebt. "Es fehlt an Personal, die Leute werden krank, können ihre Pausen nicht nehmen, müssen aus dem Frei einspringen. Doch darauf gehen die Arbeitgeber nicht ein, sondern brechen eine juristische Auseinandersetzung vom Zaun", sagt Hauser.

Vorbild USA

Herübergeschwappt ist Union Busting aus den USA. Dort sind Gewerkschaften schwächer, und das nutzen auch global agierende deutsche Konzerne aus. So berichteten Gewerkschafterinnen aus den USA 2017 gegenüber ver.di von gewerkschaftsfeindlichen Praktiken des deutschen Konzerns Fresenius in Kalifornien. Dort herrsche eine Atmosphäre der Angst, sagte Cass Cualvez vom Vorstand der US-Gewerkschaft SEIU-United Healthcare Workers bei einem Besuch in Deutschland. Die 3.000 Beschäftigten in den 185 Dialyse-Kliniken in Kalifornien hätten keinen Schutz durch Tarifverträge. Einige Pflegekräfte wollten das ändern und hätten sich der Gewerkschaft angeschlossen, als der Konzern die Schichtpläne ändern wollte - die Beschäftigten sollten statt zehn zwölf Stunden am Tag arbeiten. Fresenius reagierte mit Union Busting und Schikanen.

Die Pflegehelferin Asra Abbasi berichtet von ständigen Kontrollen, seit sich gewerkschaftlicher Widerstand in den Dialyse-Kliniken rege. Die Botschaft: Wer sich in der Gewerkschaft engagiere, dürfe sich keine Fehler erlauben. Das sollte die Aktivisten isolieren und andere davon abhalten, die Gewerkschaft zu unterstützen, ist Abbasi überzeugt. Zudem sei, Berichten zufolge, Neueingestellten ein Video vorgespielt worden, das vor der Gewerkschaft warnt. Und neue Beschäftigte seien aufgefordert worden, Vorgesetzten zu melden, wenn Kolleg/innen über die Gewerkschaft sprechen. Auch von Gewaltandrohungen und negativen Gerüchten über Gewerkschaftsaktive ist zu hören.

Perfide Methoden

Wenn Einzelne angegriffen werden, ist das besonders perfide. Das hat hierzulande die langjährige Gewerkschafterin Charlotte Matheis erlebt. Die Fachkrankenpflegerin in der Anästhesie ist Mitglied der ver.di-Bundestarifkommission und der Tarifkommission Entlastung im Saarland. In dieser Position hat sie eine hervorgehobene Rolle bei der bundesweiten Bewegung für Entlastung gespielt. Ihr Arbeitgeber, das Universitätsklinikum des Saarlands, wollte ihr außerordentlich und fristlos kündigen. Angeblich sei Matheis ihrer Arbeitsverpflichtung nicht nachgekommen, hieß es in einem Schreiben an den Personalrat. Der verweigerte seine Zustimmung zum Kündigungsbegehren.

ver.di-Sekretär Michael Quetting betrachtet den Angriff auf Charlotte Matheis als Angriff auf die gesamte Gewerkschaftsbewegung. Der Klinikleitung gehe es darum, eine unbequeme und engagierte Gewerkschafterin loszuwerden. Einen geradezu bitteren Beigeschmack hat das gewerkschaftsfeindliche Handeln des Arbeitgebers von Charlotte Matheis auch deshalb, weil es sich um eine Uniklinik handelt und ausgerechnet die damalige Ministerpräsidentin des Saarlands, Annegret Kramp-Karrenbauer, heutige Generalsekretärin der CDU, diejenige war, die feste Schlüssel für das Pflegepersonal an Krankenhäusern gefordert hat.

Der Alltag in den Kliniken zeigt: Solange es keine Mindestbesetzung für alle Bereiche gibt, werden immer wieder Arbeitgeber versuchen, mit zu wenig Personal möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Und dabei investieren sie offenbar lieber in gewerkschaftsfeindliche Kanzleien als in die Menschen, die die ganze Arbeit machen - die Beschäftigten. Respekt geht anders.

Doch wo Schatten, da auch Licht. Es gibt auch Arbeitgeber, die inzwischen mit ver.di über mehr Personal und eine Entlastung der Beschäftigten verhandeln: An der Charité in Berlin gibt es einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz zur Entlastung der Beschäftigten. Das Team der Intensivstation im Kreiskrankenhaus St.Ingbert hat Neueinstellungen per Ultimatum erwirkt. Und die Saarland-Heilstätten in Völklingen haben mit ver.di vereinbart, dass keine Pflegekraft nachts mehr allein arbeitet.

Politik ist gefordert

Im Wahljahr 2017 gab es vollmundige Versprechungen für eine bessere Pflegeversorgung: Nicht nur Annegret Kramp-Karrenbauer als Ministerpräsidentin des Saarlands forderte 2017 feste Schlüssel für das Pflegepersonal an Krankenhäusern für alle Bereiche. Auch der niedersächsische Landesvorsitzende der SPD, Stephan Weil, kündigte 2017 an, sollte er wiedergewählt werden, dann wolle er feste Untergrenzen für das Krankenhauspersonal gesetzlich festschreiben. Doch nach der Wahl blieben die Länder untätig und verwiesen auf die Bundesregierung und auf eine bundeseinheitliche Regelung. Inzwischen gibt es einen Bundesratsbeschluss, der es begrüßt, die Situation der Pflege durch Pflegepersonaluntergrenzen spürbar verbessern zu wollen. Unter anderem hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, gesetzliche Personalschlüssel für stationäre Pflegeeinrichtungen bundeseinheitlich einzuführen.

Wie es vereinzelt schneller mit der Entlastung gehen kann, zeigt die rot-grüne Landesregierung in Hamburg. Sie hat die Krankenhäuser per Rechtsverordnung dazu verpflichtet, zumindest auf Intensivstationen der Herz- und Kinderherzchirurgie ab 1. Juli 2018 eine Pflegekraft für je 2,5 Patient/innen vorzuhalten und die Anzahl der Patienten pro Pflegekraft stufenweise weiter zu senken. Das ist ein Anfang.

Personal fehlt weiterhin

Die meisten Beschäftigten lieben ihren Beruf. Trotzdem geben viele nach ein paar Jahren auf, weil sie mit ihren Kräften am Ende sind. Insgesamt fehlen 162.000 Stellen in deutschen Krankenhäusern, davon 70.000 allein in der Pflege, wie ver.di in einer bundesweiten Umfrage 2013 festgestellt hat. Das lässt sich auch mit noch so viel Engagement des Personals nicht auffangen. "Die Arbeitgeber müssen endlich einsehen, dass die Kliniken nur deshalb noch einigermaßen funktionieren, weil die Beschäftigten an die Belastungsgrenze gehen und mit individuellem Engagement versuchen auszugleichen, was an Personal fehlt", erläutert Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand für Gesundheitspolitik zuständig.

Solange die Politik keine verbindlichen Vorgaben macht, wie viele Menschen für eine gute Gesundheitsversorgung in den Kliniken benötigt werden, solange wird der Personalmangel weiterhin allein auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Und immer öfter greifen die Arbeitgeber dabei zu gewerkschaftsfeindlichen Methoden. Deshalb bleibt die Bewegung von ver.di für mehr Personal auch weiterhin aktuell.