Nach der Neuausschreibung des Busverkehrs verloren 250 Beschäftigte des Stadtverkehrs Pforzheim (SVP) ihren Arbeitsplatz

ver.di fordert eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, damit auch Sozialstandards in Ausschreibungen vorgegeben werden können. Sonst drohen sinkende Tarifstandards oder gar weitere Jobverluste

Ende 2016 musste der Stadtverkehr Pforzheim (SVP) seinen Betrieb einstellen. Knapp 250 Beschäftigte verloren ihre Arbeit. Den Zuschlag für den ausgeschriebenen Busverkehr bekam der eigenwirtschaftliche Antrag der Bahn-Tochter Regionalbusverkehr Südwest GmbH. Eigenwirtschaftlich bedeutet, dass die Unternehmen keine Zuschüsse der Kommunen für ihre Leistungen in Anspruch nehmen, mit Ausnahme der Zuschüsse für den Schülerverkehr und für den Schwerbehindertentransport. Direktvergaben haben in anderen Kommunen teilweise zu einem Absinken des Tarifniveaus geführt.

Seit 2013 sind die Kommunen verpflichtet, eigenwirtschaftliche Angebote anzunehmen, das Ausschreibungsverfahren wird dann hinfällig. Das ist die Folge einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes durch die schwarz-gelbe Bundesregierung. ver.di machte die notwendigen Änderungen im Personenbeförderungsgesetz im Bundestagswahlkampf 2017 zu einem wichtigen Thema. Mit Erfolg. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD heißt es: „Im Personenbeförderungsgesetz werden wir klarstellen, dass über die Nahverkehrspläne soziale Standards zum Schutz der Beschäftigten sowie qualitative und ökologische Standards auch für eigenwirtschaftliche Verkehre gelten.“

Christine Behle ist im ver.di-Bundesvorstand für den Fachbereich Verkehr zuständig

VER.DI PUBLIK – Was hat sich nach Pforzheim getan?CHRISTINE BEHLE – Nicht wirklich viel, muss man leider sagen. Wir haben sehr viel Druck gemacht auf die Politik, sogar der Bundesrat ist unseren Interessen gefolgt. Er hatte im Frühjahr 2017 beschlossen, dass künftig im Personenbeförderungsgesetz auch bei eigenwirtschaftlichen Anträgen die Berücksichtigung von Sozialstandards bei Ausschreibungen vorgegeben werden kann.

VER.DI PUBLIK – Hat die Aufnahme der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in den Koalitionsvertrag dem Thema keinen neuen Schwung verliehen?BEHLE – Das Vorhaben ist bis heute noch nicht umgesetzt worden. Das hat natürlich auch daran gelegen, dass die Regierungsbildung so lange gedauert hat.

VER.DI PUBLIK – Aber die Zeit drängt. BEHLE – Ja. Bislang ging es im Wesentlichen um Ausschreibungen in kleineren Kommunen. Jetzt stehen insbesondere in Nordrhein-Westfalen große kommunale Betriebe vor der Direktvergabe. Für sie gilt ein Tarifvertrag, der TV-N. Er ist deutlich besser als der Tarifvertrag für das private Omnibusgewerbe. Eigenwirtschaftliche Anträge setzen in der Regel auf dem niedrigeren Tarifniveau an. Kämen sie zum Zuge, würden die Beschäftigten zumindest einen erheblichen Teil ihres Einkommens verlieren.

VER.DI PUBLIK – Wie sind die bisherigen Ausschreibungen ausgegangen?BEHLE – Oft sind die eigenwirtschaftlichen Anträge nicht durchgegangen. So ist in Leverkusen der eigenwirtschaftliche Antrag abgelehnt worden, weil die Bezirksregierung gesagt hat, dass er die Rahmenbedingungen nicht erfüllt. In einigen Fällen klagen die unterlegenen Unternehmen. Dann geht die Zitterpartie für die Beschäftigten weiter.

Droht ein Absenkungswettbewerb im Personennahverkehr?

VER.DI PUBLIK – Ist es überhaupt möglich, ein Nahverkehrsunternehmen ohne öffentliche Zuschüsse zu betreiben? BEHLE – Auch in eigenwirtschaftlichen Anträgen werden immer öffentliche Zuschüsse gezahlt, und zwar für Schülerverkehre und für den Transport von Menschen mit Behinderungen. Wenn gerade im ländlichen Bereich für bestimmte Aufgaben Vorgaben gemacht werden, ist es nicht unüblich, dass auch dafür Zuschüsse gezahlt werden. Ohne diese öffentlichen Mittel ließe sich kein Verkehr vernünftig betreiben. Deswegen sagen wir, wenn öffentliche Mittel gezahlt werden, muss es auch bei eigenwirtschaftlichen Anträgen möglich sein, Sozialstandards vorzugeben – zumal sie ja dann so eigenwirtschaftlich gar nicht mehr sind.

VER.DI PUBLIK – Wie sind die Positionen der einzelnen Regierungsparteien? BEHLE – Unsere Gespräche mit der SPD haben ergeben, dass sie ein Interesse daran hat, das, was sie prominent zu diesem Thema in den Koalitionsvertrag eingebracht hat, auch umzusetzen.

VER.DI PUBLIK – Warum passiert dann nichts? BEHLE – Sie stoßen auf eine CDU und auf ein CSU-geführtes Verkehrsministerium, für die das Thema nicht so präsent ist. Die Union will das Thema verknüpfen mit der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes für Plattformen.

VER.DI PUBLIK – Was sind Plattformen? BEHLE – Es gibt Unternehmen wie Moia, das zum Volkswagen-Konzern gehört. Moia bietet Plattform-basierte zusätzliche Verkehrsangebote. Über eine App kann jeder seinen Transportwunsch eingeben. Moia kommt dann mit seinen Bussen und macht sowohl dem Taxigewerbe als auch dem Öffentlichen Personennahverkehr, ÖPNV, Konkurrenz. Bislang gibt es im Personenbeförderungsgesetz eine Experimentierklausel, die das möglich macht. Aber die CDU will solche alternativen Transportmodelle langfristig etablieren.

VER.DI PUBLIK – Was stört ver.di daran? BEHLE – Aus unserer Sicht ist das gar nicht zu beanstanden, wenn das unter bestimmten Rahmenbedingungen geschieht. Das Problem ist aber, dass die CDU hier ein ganz eiliges mit einem sehr grundsätzlichen Thema verknüpfen möchte. Denn dann stehen wir vor einem langen Prozess mit Anhörungsverfahren und allem weiteren, der bis zu zwei Jahre dauern kann.

VER.DI PUBLIK – Zeit, die nicht da ist...BEHLE – In zwei Jahren wären viele Ausschreibungen schon durch, bei denen jedes Unternehmen um sein Überleben kämpft. Wir kommen dann in eine Situation, in der möglicherweise ein Absenkungswettbewerb losgeht. Oder die Menschen wie in Pforzheim ihren Arbeitsplatz verlieren. Ich glaube, ein zweites Pforzheim will keiner.

VER.DI PUBLIK – Was hat ver.di nun vor?BEHLE – Wir können uns auch eine neue Bundesratsinitiative vorstellen. Wir wollen jetzt insbesondere auch die Unionspolitiker in den Regionen dafür sensibilisieren, diese Initiative noch mal zu unterstützen.

VER.DI PUBLIK – Zeigen sie sich offen?BEHLE – Das ist schwierig. Es kommt oft darauf an, aus welchem Wahlkreis sie kommen. In ländlichen Regionen ist oft das Omnibusgewerbe ganz stark. Da gibt es eine große Nähe zum Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer, dem Interessenverband der privaten Anbieter. Dort stoßen wir auf großen Widerstand.

VER.DI PUBLIK – Ist es heute denn schon möglich, Sozialstandards in den Ausschreibungen unterzubringen? BEHLE – Es gibt eine EU-Verordnung, die sagt, man kann das unterbringen. Dagegen spricht aber das Personenbeförderungsgesetz, das eigenwirtschaftlichen Verkehren grundsätzlich einen Vorrang einräumt. Einige CDU-Politiker haben uns gegenüber argumentiert, dass man trotzdem in Nahverkehrsplänen solche Vorgaben geben könnte. Das ist aber eine große Rechtsunsicherheit. Im Zweifel verliert man so ein Verfahren.

VER.DI PUBLIK – Was will ver.di erreichen? BEHLE – Unser Ziel ist es, Vorgaben im Gesetz unterzubringen. Wir wollen nicht, dass diese Vorgabe zwingend ist, sondern dass diejenigen, die die Ausschreibung machen, entscheiden können, ob sie Sozialstandards vorgeben wollen oder nicht. Heute ist das aus unserer Sicht nur mit großen Rechtsuntersicherheiten möglich.

VER.DI PUBLIK – In den nächsten Jahren werden im ÖPNV rund 30.000 Busfahrer/innen gesucht. Macht so eine unsichere Situation es nicht noch schwieriger, neues Personal zu gewinnen?BEHLE – Schon heute ist es unheimlich schwer, Leute zu finden. Es ist nicht so ein attraktiver Beruf, wenn ich Schichtdienst machen muss, wenn ich wenig Ruhezeiten habe, und auch die Einkommensbedingungen sind nicht so rosig. Das Thema Arbeitsplatzunsicherheit kommt nun noch oben drauf. Die Arbeitgeber haben das Problem erkannt und werben mit einer großen Imagekampagne für Jobs im ÖPNV. Das hilft nur nicht, wenn man an die Ursache nicht rangeht.

VER.DI PUBLIK – Was erwartest Du jetzt von den Politiker/innen? BEHLE – Wir haben keine Zeit für lange Beratungen. Die Politik muss jetzt handeln. Sie muss jetzt das, was sie im Koalitionsvertrag zugesagt hat, schnell umsetzen. Das geht völlig unproblematisch, jederzeit.

Interview: Heike Langenberg


QR-Code einfach scannen und sich den ver.di TV-Beitrag „Nahverkehr in Gefahr“ ansehen.

„Die Politik muss jetzt handeln. Sie muss jetzt das, was sie im Koalitionsvertrag zugesagt hat, schnell umsetzen.“