Berlin, 9. November 1918: Demonstrationszug Unter den Linden

In der deutschen Bevölkerung grassierte die Spanische Grippe, Hunger lähmte das Leben, an der Front starben Soldaten in sinnlosen Schlachten: Der erste Weltkrieg war für die Deutschen verloren. Das hatten Ende Oktober 1918 auch die deutschen Militärs erkannt. Dennoch befahl die Seekriegsleitung das Auslaufen der Flotte zu einem letzten „ehrenvollen“ Gefecht gegen britische Verbände. Die Marinemannschaften jedoch, die Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel, verweigerten den Befehl.

Wie ein Flächenbrand weitete sich der Matrosenaufstand innerhalb weniger Tage über Deutschland aus, wurde zur Revolution 1918/19. Am Morgen des 9. Novembers zogen hunderttausende Arbeiter in gewaltigen Demonstrationszügen durch das Zentrum der Reichshauptstadt Berlin.

Der monarchische Obrigkeitsstaat zerfiel ohne Gegenwehr, der sich abzeichnende Frieden, der erzwungene Thronverzicht von Kaiser Wilhelm II. und die Ausrufung der Republik am 9. November entsprachen den Wünschen, ja der Sehnsucht vieler Deutscher. Die Matrosen hatten mit ihrer mutigen Befehlsverweigerung, mit ihrem Aufstand gegen den Krieg zugleich den Weg geöffnet für die Durchsetzung fundamentaler Rechte: für das Frauen-Wahlrecht, den Acht-Stunden-Tag, das Betriebsrätegesetz.

Arbeiter- und Soldatenräte

Ausgehend von dem Matrosenaufstand Anfang November 1918, bildeten sich zu Beginn der Revolution von 1918/19 in nahezu sämtlichen deutschen Städten Räte von revolutionär gesinnten Arbeitern und Soldaten. Sie stellten sich gegen die lokalen politischen Gewalten, die sie als nicht mehr legitimiert ansahen.

Allerdings verfügten sie weder über eine einheitliche Zielsetzung noch über eine übergeordnete Zentrale. Auf Initiative des Berliner Vollzugsrats tagten vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin rund 500 Delegierte aller deutschen Arbeiter- und Soldatenräte. Zwei Drittel von ihnen waren in der SPD organisiert. Am 19. Dezember votierten die vertretenen Arbeiter- und Soldatenräte mit 344 gegen 98 Stimmen für baldige Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung und damit gegen eine Räterepublik. Die zum 1. Januar 1919 gegründete KPD rief zum Boykott der Wahlen auf. Der Konflikt entlud sich in den Januarkämpfen, in deren Folge Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verhaftet und ermordet wurden.

Die Nationalversammlung

Die Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 fanden dennoch statt. Sie stellten die Weichen für eine demokratisch-republikanische Entwicklung in Deutschland. Frauen durften dabei erstmals wählen und gewählt werden und so an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Die aus den Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung trat am 6. Februar zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Berlin war nicht der Tagungsort, weil dort Unruhen die Unabhängigkeit und Sicherheit der Abgeordneten hätten gefährden können. Deswegen tagte sie in Weimar.

Berlin, 5. Januar 1919: Revolutionäre im Zeitungsviertel hinter Barrikaden aus Papierrollen und Zeitungsbündeln

Die SPD stellte die stärkste Fraktion mit 165 von 423 Mandatsträgern. Zweitstärkste Partei war das katholische Zentrum mit 91 Abgeordneten. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) errang 75 Mandate. Die von den drei Parteien gebildete Regierung, die „Weimarer Koalition“, verfügte über eine Dreiviertel-Mehrheit.

Die Nationalversammlung wählte Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten und erarbeitete eine Verfassung. Sie trat am 14. August 1919 in Kraft. Die Weimarer Verfassung legte mit ihren Bestimmungen zu Grund- und Freiheitsrechten die Grundlage für die erste Demokratie in Deutschland. HS

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