„Hört zu, wir weichen nicht von der Stelle“, beschwört der altgediente Gewerkschafter Laurent Amédéo die streikenden Arbeiter*innen des Autozulieferers Perrin im strukturschwachen südwestfranzösischen Agen. Trotz Rekordgewinnen will die Firma, die inzwischen einem deutschen Konzern gehört, das Werk dichtmachen. Und das, obwohl die gut tausend Mitarbeiter*innen Zugeständnisse bei Lohn und Arbeitszeiten gemacht hatten, um ihre Jobs zu erhalten. Denn in Rumänien können die Bosse billiger produzieren. Die Streikenden fordern sowohl die französische wie die deutsche Geschäftsleitung zu Gesprächen auf. Vor allem der Vorstand der deutschen Holding Martin Hauser aber verschanzt sich. Dank ihrer Hartnäckigkeit gelingt es den Beschäftigten jedoch, immer wieder Teilsiege zu erringen. Der nervenzehrende Existenzkampf sät freilich auch Zwietracht. Die einen verhandeln über eine Abfindung, die anderen wollen weiterkämpfen. Glaubhaft verkörpert der französische Charakterdarsteller Vincent Lindon den kämpferischen Gewerkschafter, der anpackt, austariert und vermittelt. Und allein, wie er das tut, macht das beinahe dokumentarische Sozialdrama zum Ereignis. Obwohl der 59-Jährige aus einer wohlhabenden Familie stammt, spielt er nicht selten Vertreter der Arbeiterklasse – oft Männer mit rauer Schale und weichem Kern.

Erneut findet Regisseur Stéphane Brizé, wie bereits in seinem Drama Der Wert des Menschen, effektvoll überzeugende Bilder für die ökonomischen Macht- und Missverhältnisse. Er verleiht den Akteuren im Kampf gegen die angeblich unumstößlichen Gesetze des Marktes ein Gesicht. Und auch diesmal hat Brizé neben Vincent Lindon die meisten Rollen mit Laien besetzt, darunter echte Gewerkschafter*innen, was sein aufreibendes Sozialdrama noch authentischer macht. Für die fiktive Fabrik im Film gibt es in Frankreich zahlreiche Beispiele aus den vergangenen Jahren. Vor allem die Konflikte bei den Unternehmen Continental und Goodyear sorgten für Schlagzeilen. Getreu dem Brecht-Zitat: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat bereits verloren“, wirkt seine drastische Inszenierung vor allem durch die unnachgiebige Haltung. Sein eindringliches Lehrstück über die zynische Logik des globalisierten Kapitalismus macht wütend und rüttelt auf. Nicht umsonst gab es dafür beim Filmfest in Cannes Standing Ovations. Luitgard Koch Frankreich 2018, R. Stéphane Brizé, D: Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie, David Rey u. a., 110 Min., Kinostart: 25.4.19


Border

Ein so missgestaltetes, weibliches Wesen hat man noch nicht gesehen. Knollig ist ihr Gesicht, runzlig die Haut, verwahrlost die Zähne, kalt ihr Blick. Was für eine Maske! Doch verbirgt sich hinter dem Anblick dieser Zollbeamtin Tina eine hypersensible Natur: Mit ihrer außergewöhnlichen Spürnase kann sie Gier, Angst und Skrupellosigkeit erschnüffeln. An der schwedischen Grenze ertappt sie jeden Schmuggler, die Machenschaften eines Kinderpornorings gehen ihr wie Beifang ins Netz. Skurril wird es aber erst, als ein männliches Pendant ins Spiel kommt, das Tina in seiner Physiognomie verblüffend gleicht und ihre animalischen, exzentrischen Vorlieben teilt. Der zwischen Krimi, Komödie, Märchen und Thriller fantasiereich changierende Film strotzt nur so vor utopischen Wendungen und bizarrem Humor. Noch dazu sinniert Regisseur Abbasi facettenreich über den Titel seines Films – reale und symbolische Grenzen und die im Kopf. Kirsten Liese

S/Dk 2018, R: Ali Abbasi, D: Eva Melander, Eero Milonoff. 110 Min., Kinostart: 11.4.19


Frau Mutter Tier

Den Höhepunkt erreicht dieser Film über den alltäglichen Wahnsinn der Mutterschaft im Biosupermarkt. Bei Marie, Mutter von zwei kleinen Kindern und verheiratet mit einem um die Welt reisenden Manager, liegen zum ersten Mal die Nerven blank, als sie mit dem breiten Doppelbuggy nicht durch die Gänge des Markts zu den Babygläschen gelangt. Und es kommt, wie es kommen muss: Wie Rambo boxt sie den Buggy an einer Beauty-Pyramide vorbei, die das natürlich umhaut, was wiederum die Marktleiterin auf den Plan ruft. Es entspinnt sich der böseste Dialog in diesem Film, in dessen Folge Marie aus dem Laden hinauskomplementiert wird, einschließlich „dem kleinen Scheißerchen, das Sie kurz vor Schluss noch rausgedrückt haben“. Frau Mutter Tier nimmt in der ersten Hälfte Fahrt zu einer bitterbösen Satire auf, um es sich dann aber in der zweiten Hälfte nicht mit allen Müttern zu verderben. Das kann man ein bisschen schade finden, doch die Komödie würde sonst wohl gleich alle Mütter verprellen, die diesen Film aber selbstverständlich auch ansehen sollten. Denn am besten lacht frau immer noch über sich selbst. Petra Welzel

D 2018, R: Felicitas Darschin, D: Julia Jentsch, Alexandra Helmig, Annette Frier, 92 Min., Kinostart: 21.3.19