VER.DI PUBLIK: Welche Idee steckt hinter dem Young Worker's Lab?

Christina Colclough: Dahinter steckt die Ausgangsfrage: Wie können Gewerkschaften und junge Beschäftigte digitale Technologien einsetzen, um die Arbeitsqualität und die Mitsprache junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der digitalen Arbeitswelt zu verbessern? Diese Frage hat sich für uns aus der Erkenntnis ergeben, dass sich die Arbeitswelt junger Menschen grundlegend von der Arbeitswelt von gestern unterscheidet. Mit dem Aufkommen prekärer Arbeitsverhältnisse, der Digitalisierung, der Globalisierung und der raschen Veränderungsgeschwindigkeit sehen sich junge Beschäftigte mit Arbeitssituationen konfrontiert, die fließender und individueller sind. Die große Frage ist, wie sie Isolation und Individualisierung überwinden können, um ihre Arbeit und ihre Arbeitsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Anstatt digitale Technologien als Bedrohung für das Wohlergehen und nachhaltige Lösungen zu betrachten, fragt das Young Worker’s Lab, wie wir Technologien nachhaltig und auf kraftvolle Weise einsetzen können, um strukturelle Hindernisse für ein gutes Leben zu überwinden.VER.DI PUBLIK: Ihr entwickelt dazu gerade eine App. Was genau kann die leisten?

Christina Colclough: Die Prototyp-App mit dem Projektnamen „Spotlight“ wird Ende Juni im Android-Store für den Beta-Test verfügbar sein. Nach dem Sommer wird es auch eine Testversion für iOS geben. Grundsätzlich zielt die App darauf ab, die derzeitige Datenasymmetrie zu beheben, bei der eine zentrale Gruppe von Arbeitgebern und Unternehmen weit mehr über uns Beschäftigte weiß als wir selbst. Dies geschieht, indem jungen Beschäftigten und Gewerkschaften Informationen, beziehungsweise Daten zur Verfügung gestellt werden, mit denen die Arbeitsbedingungen durch Verhandlungen, Organisierung von Beschäftigten und Sensibilisierung der Öffentlichkeit verbessert werden können.

VER.DI PUBLIK: Wie funktioniert das?

Christina Colclough: Gewerkschaft und Beschäftigte könnten zum Beispiel einfordern, zukünftig auch den Arbeitsweg vergütet zu bekommen. Die Arbeitswege für Beschäftigte werden immer länger, weil der Wohnraum in den städtischen Gebieten immer teurer wird. Da stellt sich tatsächlich die Frage: Sollte die Pendelzeit als Teil der Arbeit angesehen werden? Spotlight ist in der Lage, die genaue Pendelzeit jedes Arbeitnehmers zwischen zu Hause und der Arbeit zu protokollieren. Spotlight nutzt dafür die Sensoren von Mobiltelefonen, aber eben zu unserem Vorteil. Wir können uns auch vorstellen, zu messen, ob Beschäftigte während des Pendelns arbeiten: Beantworten sie zum Beispiel E-Mails, checken sie Nachrichten? Durch die Protokolle erhalten wir wichtige Informationen, die wir für Verhandlungen, Kampagnen und Ähnliches verwenden können.

VER.DI PUBLIK: Das klingt ein bisschen nach Überwachung.

Christina Colclough: Nein, Spotlight überwacht unsere Mitglieder nicht. Das ist ganz wichtig. Es ist wie mit einer Eieruhr: Wenn sie durchgelaufen ist, ist Schluss. Die Beschäftigten haben nach Ablauf des Timers auch die Wahl, ob sie ihre Daten an die Gewerkschaft weiterleiten oder löschen. Vielleicht möchten sie die Ergebnisse ja für sich behalten oder nur mit denen der Kollegen vergleichen. Wir erfassen tatsächlich nur, was Benutzer für die Freigabe auswählen, und zwar während des begrenzten Zeitraums, den sie für die Freigabe auswählen.VER.DI PUBLIK: Künstliche Intelligenz (KI), in diesem Fall das Auswerten von Daten, wird für die Zukunft der Arbeit immer wichtiger. Ihr benutzt sie mit der App auch. Gibt es für euch Grenzen für die Anwendung von KI?

Christina Colclough: In Anbetracht der Bedeutung von am Arbeitsplatz gesammelten Daten fordert die UNI Global Union, dass Beschäftigte und ihre Gewerkschaftsvertreter das Recht auf Zugang, Einfluss, Bearbeitung und Löschung von Daten haben, die im Zuge ihrer Arbeitsprozesse über sie gesammelt werden. Die Gewerkschaften müssen unbedingt auch weiterhin versuchen, über betriebliche und/oder Branchen-Tarifverträge die Rechte der Beschäftigten an ihren Daten sowie Schutzbestimmungen durchzusetzen. Ohne diese Bestimmungen werden die Machtverhältnisse in Unternehmen für immer und ewig zugunsten der mit Daten gefütterten einseitigen Managemententscheidungen ausfallen. Angesichts der relativ einfachen Kombinierbarkeit von Daten aus vielen verschiedenen Quellen durch KI, ohne Mitspracherecht und Einfluss darauf, welche Daten verwendet werden und wie, werden Beschäftigte extrem im Nachteil sein. Man kann getrost sagen, dass Arbeitnehmerdatenrechte und deren Schutz im Zuge der Herausbildung der digitalen Wirtschaft die nächste große Herausforderung für die Gewerkschaften darstellt.VER.DI PUBLIK: Kann eure App dabei helfen?

Christina Colclough: Im Prinzip ja. Viele Apps in der Gig-Economy, also dem Teil des Arbeitsmarktes, auf dem kleine Aufträge kurzfristig an unabhängige Selbstständige, Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden, erfassen eine große Menge von Arbeitnehmerdaten. Dies gilt auch dann, wenn Beschäftigte eine SMS an Freunde senden oder Facebook verwenden. Spotlight spiegelt sozusagen diese Überwachung, damit die Beschäftigten sehen können, wie sie überwacht werden. Mit diesen Aufzeichnungen können sich dann Gewerkschaften für den Schutz der Privatsphäre der Beschäftigten und somit auch für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzen.

Interview: Petra Welzel

Das Spotlight-Tool steht UNI-Mitgliedsorganisationen zum Testen zur Verfügung. Bei Interesse wendet euch bitte an Christina.Colclough@uniglobalunion.org