Wiglaf Droste: Die schweren Jahre ab dreiunddreißig

Für jemanden, der sich stets jeden Anbiederns an die Öffentlichkeit erfolgreich widersetzt hat, der lieber in kleinen Zeitungen oder Verlagen veröffentlichte, als Kompromisse zu machen, und zu dessen Kernkompetenzen zählte, auch Wohlmeinende vor den Kopf zu stoßen, war das Echo auf Wiglaf Drostes Tod am 15. Mai 2019 überwältigend. Die Zahl der Nachrufe war vermutlich größer als die der Restleser, die die junge welt, in der er in den letzten Jahren täglich veröffentlichte, noch hat. Sein Einfluss auf satirisch-feuilletonistisch arbeitende Autoren war immens, und ich bin sicherlich nicht der Einzige, der beim Schreiben häufig einen kleinen Wiglaf im Kopf hat, der bei jedem Satz herumramentert, dass das alles nicht gut oder präzise oder originell genug sei.Sein langjähriger Freund und Verleger Klaus Bittermann hat nun eine Werkschau von Drostes Glossen, Polemiken und Geschichten zusammengestellt. Ausgewählt aus dem gewaltigen Fundus von 30 Büchern aus 30 Jahren wurde eine Mischung der subjektiv schönsten und objektiv wichtigsten Texte, also neben Lieblingsgeschichten der Weggefährten auch solche, für die der Autor verklagt oder mit Mahnwachen und Buttersäureangriffen überzogen wurde oder wegen derer er sich gleich zwei Mal von der taz getrennt hatte.

Mit dieser komprimierten, aber repräsentativen Auswahl versteht man sofort, dass Droste ein Monolith war: sprachlich brillant und von großer Klarheit, analytisch scharf, mit überraschendem Witz und in offener Gegnerschaft zu praktisch jedem, gegen alles Nationale, Patriotische, Rechte, Neoliberale sowieso. Aber auch auf der linken oder sich nur links empfindenden Seite holzte er ohne Rücksicht auf „Befindlichkeiten“, die er ebenso verachtete wie dieses Wattewort selbst. Wie prägend seine Formulierungen waren, merkt man beim Wiederlesen – selbst jahrzehntealte Sätze haben sich so unauslöschlich ins Hirn gebrannt, dass man sie im Original-Droste-Sound sofort mitsprechen könnte. So sind sie alle noch einmal versammelt: der Schokoladenonkel, die Nazis auf dem Seziertisch, der nicht tanzen könnende Grönemeyer, die Rolle der Frau, das tünselige Westfalen und natürlich die Kastanien, die das Glück bedeuten.Sehr gerne hätte man solche Betrachtungen auch in den nächsten 30 Jahren gelesen. So sollte es nicht sein, das Uneinverstandensein mit der Welt und der Alkohol, der wohl nötig war, es zu ertragen, standen dagegen. Wie bedauerlich das ist, wird einem mit diesen 300 traurig-schönen Seiten noch einmal schmerzlich bewusst. Heiko Werning

EDITION TIAMAT, 304 SEITEN, 18 €


Norbert Scheuer: Winterbienen

Ein deutscher Bienenzüchter, der 1944 Juden versteckt und sie nachts in Bienenstöcken über die Grenze nach Belgien bringt. Klingt nach einer fiktiven Figur, die zum boomenden Bienenthema passt. Doch sie trägt realistische Züge: Die Figur Egidius Arimond, so heißt der Mann aus Norbert Scheuers Roman, basiert auf einem echten Bienenzüchter, der in einem Dorf in der Eifel lebte. Die Handlung umspannt das Jahr 1944 und stützt sich auf Arimonds Tagebuch. Der aus dem Schuldienst entlassene Lehrer notiert Details aus dem Bienenleben, beobachtet die von ihm verhassten Nazis, hat Liebschaften mit Frauen und lässt sich den Schmuggel der Juden gut bezahlen. Arimond braucht das Geld; er ist Epileptiker, der nur mit teuren Medikamenten leben kann. Im Dorf halten ihn die wenigen verbliebenen Männer für einen Schmarotzer, der sich vor dem Fronteinsatz drückt. Norbert Scheuer beschreibt die Suche nach Normalität in Zeiten des Ausnahmezustands. Doch auch in der lange vom Krieg verschonten Eifel ist letztlich kein Platz mehr für Alltag. Bomben fallen, Häuser und Bienenstöcke explodieren, Menschen sterben. Ein kluges, spannendes Stück Zeitgeschichte. Günter Keil

C.H. BECK, 319 SEITEN, 22 €


Jana Revedin: Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus

In der Flut von Literatur zum Bauhaus-Jahr ist Jana Revedins „biografischer Roman“ über die zweite Frau des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, die Rezensentin und Schriftstellerin Ise Frank, ein ganz feiner, leuchtender kleiner Edelstein. Die Architektur-Professorin Revedin, Verfasserin von Standardwerken zur Architekturtheorie, schildert das Leben der gelernten Buchhändlerin bis zur Emigration des Paares 1934 mit großer Empathie, zeichnet liebevoll und dicht die Atmosphäre in Weimar und Dessau zwischen den revolutionären Gestaltern nach. Ja, so könnten sie gesprochen, gefühlt, gehandelt haben. Fakten und Fotos bilden den realen Rahmen, in dem Ise Frank als Sekretärin, Lektorin, Redenschreiberin, Dokumentarin des Bauhauses wirkte und, wie nahezu alle Bauhaus-Frauen, vollständig von der Nachwelt ignoriert wurde. Dabei hat sie selber das „Haushaltslabor der modernen Frau“, die Küche im „Haus der emanzipierten Frau“ designed, ließ kurz vor der Flucht das Bauhaus im Film dokumentieren, kuratierte die erste Bauhaus-Gesamtschau 1930 in Paris. Der klugen, schönen, freundschaftsbegabten Frau widerfuhr durch den Tod ihres Kindes großes Leid, wie Revedin berührend erzählt. Ohnehin liegt deren Stärke in der nie gefühligen Darstellung großer Gefühle. Man lernt zudem eine Menge über das Bauhaus, ohne auch nur die Spur von Architektur zu verstehen – genauso wie Ise Frank nichts davon verstand, als sie 1923 Walter Gropius heiratete. Ulla Lessmann

Dumont 303 S., 22 €