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Umso rätselhafter wirkt die Parole, die seit kurzem auf großen Plakaten, Kundenstoppern und Straßenbahnen die Menschen auffordert: "Kauf weniger." Sie stammt nämlich von keiner konsumkritischen Organisation, sondern von einer der führenden Bio-Supermarktketten Deutschlands. Was will sie uns damit sagen? Klau mehr? Möchte ein müder Unternehmer in die Insolvenz getrieben werden? Nein, offensichtlich wird hier ein neues Marketingkonzept angewandt, "Anti-Branding" nennt sich das. Die Botschaft lautet: Ja, wir werben für unsere Produkte, weil wir der Meinung sind, dass sie gut für Dich sind, dabei erzählen wir keinen Stuss, sondern teilen Deine tiefste Lebenseinstellung. Obendrein wird das schlechte Gewissen des ökobewussten Konsumenten gekitzelt, der sich schämt, mitzutun bei der Umweltzerstörung, sich aber wohl doch irgendwie ernähren muss. Vor allem wird sein Wunsch nach Exklusivität angesprochen. Wer mehr kauft, das sind die Proleten im Discountsupermarkt, die ihre Einkaufswagen mit Tiefkühlpizzas und Industriefleisch füllen. "Kauf weniger" heißt nicht "Gib weniger aus", sondern "Kauf teurere Waren". Das "Preisbewusstsein" des Konsumenten wollte dieselbe Bio-Supermarktkette mit einer Aktion "Was ist es dir wert?" anregen. In einer ihrer Filialen hingen in den Regalen keine Preisschilder, an der Kasse mussten die Kunden den Wert ihres Einkaufs selbst schätzen. War der geschätzte Betrag zu hoch, musste die Differenz nicht gezahlt werden. Wer den Preis zu niedrig ansetzte, durfte ihn ohne weiteres zahlen und seine Ware mitnehmen. Das Experiment wurde schnell beendet. Zwei Drittel der Kunden hatten nämlich weniger als den vorgesehenen Preis angegeben. Sie hätten "das Gefühl für eine faire Preisgestaltung" verloren, seufzte der Geschäftsleiter. Da möchte man ein anderes Experiment vorschlagen. Bekanntlich wird die Belegschaft von Bio-Supermärkten untertariflich bezahlt. Auch sie sind für den Einkauf auf Discountläden angewiesen. Wie wär's also mit einer Aktion: Was ist deine Arbeit dir wert? Weniger verdienen müsste natürlich niemand, doch wer eine höhere Bezahlung verlangt, müsste sie auch erhalten. Das würde das Gefühl für eine fairere Lohnpolitik womöglich deutlich stärken.

Guillaume Paoli