Rauschhafte Optik

Comictipp I – Beim Thema Familie in Gefühlsseligkeit zu versacken, kommt vor. Geht es zudem um das langsame Dahinscheiden eines Familienmitglieds durch Kehlkopfkrebs – hier Vater und Ehemann David – besteht Gefahr im Kitsch abzusaufen. Judith Vanistendael umgeht diese Falle in konzentrierter Beiläufigkeit und fokussiert sich lieber auf die konkrete Ausgestaltung der Visualisierung von Ängsten, Trauer, aber auch Freude in sacht hingetupften Wasserfarben.

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Selten wird diese Technik derart perfekt wie im vorliegenden Werk angewandt, und höchstens Comic-Aquarellmeisterinnen wie Aidan Koch und Catherine Meurisse kommen einem als Vergleich in den Sinn. So zeigt Vanistendael Belastendes wie die zunehmende Unmöglichkeit von Kommunikation als Folge palliativer Schmerztherapien oder Sterbehilfe in zum Teil rauschhafter Optik. Auch obligatorische Fluchten aus derartig harscher Realität erfahren verblüffend andere Zusammenhänge: Beispielsweise mittels Meerjungfrauen, die Trost durch herrliches und sich der Vernunft verweigerndes Verhalten bewirken – was dem Wasserfarben gehorchenden Szenario besonders entgegenkommt. Oliver Ristau

Judith Vanistendael, Als David seine Stimme verlor, Übersetzung Ruth Notowicz, Reprodukt, 280 Seiten, 34 €

Nicht totzukriegen, dieser Humor

Comictipp II – Der Tod, unerwünschter Schandfleck in unserer hoch-technologisierten Medizin, nimmt Menschen auf den letzten Metern des Lebenswegs jede Selbstständigkeit. Poröse Knochen, die bei Stürzen sofort brechen, die so wichtige selbstständige Bewegung und somit Unabhängigkeit unmöglich machen – von Kontrollverlusten über den Schließmuskel gar nicht erst anzufangen.

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Womit wir bei der Würde wären. Wie ist diese zu bewahren, insbesondere im künstlerischen Umgang damit? Roz Chast, langjährige Karikaturistin für den New Yorker, hat einen angemessenen Weg gefunden. In ihrem Comic über ihre alternden Eltern lässt sie keine unschöne Begebenheit aus, weder Demenz noch Inkontinenz. Was sonst begierig und vermeintlich authentisch zu Tode vermarktet wird, oft unlesbar auf Grund beschönigender Ästhetik, tritt hier angemessen durch einfühlsamen, aber präzise sezierenden Humor auf, der einen selbst härteste Einschnitte bewältigbar erscheinen lässt. Roz Chast baut so viele Ängste ab, den Rest besorgen lebensbejahende Farben. Ihr nicht totzukriegender Humor illuminiert noch die größte Düsternis. Oliver Ristau

Roz Chast, Können wir nicht über was Anderes reden?, Übersetzung Marcus Gärtner, Rowohlt, 240 Seiten, 19,95 €