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QUELLE: DESTATIS

"In zehn Jahren wird es den Beruf der Tourismuskauffrau vielleicht schon nicht mehr geben", sagt Melanie Müller. Sie ist Tourismuskauffrau, 44 Jahre alt. Ihr Blick in die Zukunft hat aber nichts mit den zurückliegenden eineinhalb Jahren zu tun, in dem das Reisen kaum möglich gewesen ist wegen der Corona-Pandemie. Inzwischen zieht der Reiseverkehr längst wieder an, auch in die Ferne fliegen Urlaubshungrige vermehrt. Doch selbsterklärende Systeme werden eines Tages Melanie Müller in ihrem Beruf ersetzen, da ist sie sich sicher. Algorithmen, künstliche Intelligenz werden ihre Arbeit überflüssig machen. Auch der aktuelle Branchenmonitor "Reisebüros und Reiseveranstalter" der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung sieht das so kommen. Der Trend zur digitalen Buchung führt schon heute zu einem sinkenden Bedarf für gut ausgebildete Tourismusfachkräfte, heißt es in dem Branchenbericht.

Der "Greta-Effekt"

Dennoch blickt die Tourismuskauffrau zuversichtlich in ihre berufliche Zukunft. Und das hat wiederum mit der Pandemie zu tun. Melanie Müller hat alles durchgemacht in den vergangenen Monaten. Kurzarbeit 100, Kurzarbeit 50, Kurzarbeit 80, Kurzarbeit 50, immer den Covid-Wellen angepasst, Homeoffice, Homeschooling mit zwei Kindern, alleinerziehend dazu. Als sie vor 26 Jahren ihre Ausbildung in einem Reisebüro machte, hieß ihr Beruf noch Reiseverkehrskauffrau. Frühzeitig hat sie sich auf den Geschäftsreisebereich spezialisiert und hat seither einige Übernahmen erlebt. Inzwischen arbeitet sie schon viele Jahre bei BCD Travel Deutschland, dem Branchenprimus im Geschäftsreisebereich. "Ich weiß gar nicht, wer nicht mit uns Geschäftsreisen plant", sagt sie.

Dass der Geschäftsreisebereich nicht wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehren wird, davon zeugen nicht nur die Zahlen des Branchenmonitors. Insbesondere der Geschäftsreisemarkt leidet stark unter der Corona-Pandemie und dem sogenannten "Greta-Effekt". Viele Unternehmen haben bereits vor der Pandemie wegen des Klimas auf Geschäftsreisen zugunsten von Videokonferenzen verzichtet. Jetzt mussten sie ohnehin umsteigen.

Im Jahr 2019 erwirtschafteten Reiseveranstalter 80 Prozent des Branchenumsatzes mit 41 Prozent der Beschäftigten und Reisebüros 20 Prozent des Branchenumsatzes mit 59 Pozent der Beschäftigten. Corona hat der positiven Branchenentwicklung ein Ende gesetzt.

Laut dem Barometer des Verbandes Deutsches Reisemanagement (VDR) vom April 2021 erwarten nur noch 17,4 Prozent der Geschäftsreiseanbieter in Deutschland einen Anstieg der Geschäftsreisen auf Vorkrisenniveau. 82,6 Prozent gehen hingegen von einem dauerhaften Rückgang aus, die Mehrheit von bis zu 30 Prozent. Melanie Müller glaubt, dass vor allem innerhalb Deutschlands der geschäftliche Flugverkehr keine Rolle mehr spielen wird, "der wird auf die Schiene verlegt werden".

Aber eine Welt ohne Geschäftsreisen, die ist nicht denkbar. "Auch während der Krise haben die stattgefunden", sagt die Fachkraft für den Geschäftsreisebereich. Vor allem Monteure oder Krisenbeauftragte sind unterwegs gewesen. "Wenn irgendwo eine Maschine kaputt geht, die hier gefertigt wurde, muss ein Monteur eingeflogen werden", so Müller. Krise hin oder her.

Und dennoch hinterlässt die Corona-Krise tiefe Spuren in der Branche. Bis 2019 war die Reisewirtschaft ein wachsender Bereich. Zwischen 2010 und 1019 entstanden in Reisebüros und bei Reiseveranstaltern rund 15.100 neue Arbeitsplätze, 9.600 bei den Veranstaltern, 5.500 in Reisebüros. Doch von den insgesamt 83.600 Arbeitsplätzen in der Branche wurden 2020 in der Krise bereits 8.000 Stellen abgebaut.

Der Standort-Effekt

Bei BCD Travel lief der Stellenabbau allein über freiwillige Angebote. Bisher. Geld eingespart wird auch durch das Auflösen von Standorten. Seit Oktober 2020 ist Melanie Müller dauerhaft ins Homeoffice gegangen. "Als Teilzeit-Mama bin ich eine Verfechterin des Homeoffice, das spart mir einfach Wege und Zeit", sagt sie. Wie alle anderen am Standort Nürnberg hat sie ihren Büroplatz aufgelöst.

Corona hat dem Auflösen, aber auch dem Schließen von Reisebüros einen gewaltigen Schub verliehen, denn schon vor der Pandemie war der Geschäftsreisebetrieb konjunkturbedingt rückläufig, im reinen Tourismus wandern die Kund*innen zum Online-Buchen ab. DER Touristik hat im Februar dieses Jahres die Schließung von 40 ihrer rund 500 Filialen angekündigt. Das sind 8 Prozent. Parallel werden die Vollzeitstellen um 6 Prozent abgebaut. TUI kündigte Ende 2020 an, 15 Prozent ihrer Filialen, 60 von 450, schließen zu wollen. Rund 450 Stellen will TUI vor allem am Hauptsitz in Hannover streichen, das kündigte der Reisekonzern bereits im Sommer 2019 an.

Der Digitalisierungs-Effekt

Ellen Sommer* ist seit 11 Jahren bei TUI beschäftigt. Seit März 2020 befindet auch sie sich dauerhaft im Homeoffice. "Die Stimmung ist gemischt. Verständlicherweise gibt es immer Unmut über Stellenabbau", sagt sie. Aber sie sieht auch viele Möglichkeiten für eine berufliche Zukunft bei der TUI, gerade wegen der fortschreitenden Digitalisierung. "Die Tourismusbranche wird und muss sich verändern. Der Trend zu Online- Buchungen gewinnt aufgrund der Pandemie noch mehr Attraktivität und die TUI ist genau auf dem richtigen Weg, dieses Potenzial zu nutzen", ist sich die 30-jährige Tourismuskauffrau sicher.

Sicher ist im Moment tatsächlich aber nur, dass die gesamte Branche noch nicht wirklich sieht, wohin die Reise gehen wird in der Zukunft. Auch wenn die Buchungen aktuell enorm zugelegt haben, das Abflauen der Pandemie zumindest in Europa, den USA und anderen Teilen der Welt Hoffnung macht, dass das Tal durchschritten ist und es jetzt wieder aufwärts geht mit dem Tourismus, bleiben Unsicherheiten. Die Reisebranche ist ohnehin "hochgradig konjunktur- und saisonabhängig und insbesondere krisenanfällig", wie es der Branchenmonitor formuliert. Ob Umweltkatastrophen, Finanzkrisen, Epidemien, Pandemien oder auch plötzlich ausbrechende Kriege – den Tourismus trifft es immer besonders hart. Krisenstäbe in Tourismusunternehmen sind längst Standard. Und längst wird an allen Stellschrauben gedreht, um Gelder einsparen zu können. Neben Standortschließungen und Stellenabbau betreiben immer mehr Unternehmen durch Ausgründungen auch Tarifflucht, um Löhne und Gehälter zu senken.

Und Stellen werden auch bei Online-Reiseportalen abgebaut. Bei Booking pandemie-bedingt ein Viertel aller Stellen, das sind 4.250 Stellen. Auch Airbnb hat ein Viertel aller Stellen gestrichen (1.900). Und Expedia hat 3.000 Stellen (12 Prozent) abgebaut, um nur die größten Online-Portale zu nennen.

Andererseits: In den USA ist der inländische Flugverkehr bereits wieder auf Vorkrisenniveau zurück. Die ersten Kreuzfahrtschiffe sind wieder in See gestochen. Und Ellen Sommer ist zuversichtlich: "Ich hoffe sehr, dass wir mit einem blauen Auge aus der Krise herauskommen. Ich glaube an die Zukunft der Branche, denn es gibt nichts Schöneres als dem Alltag zu entfliehen und neue Länder zu entdecken."

*Name geändert

Im Europavergleich

In Europa lag Deutschland im Jahr 2018 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) laut Eurostat auf Platz 3 gemessen an der Zahl der Reiseveranstalter und Reisebüros:

1. Italien 17.579

2. Spanien 14.465

3. Deutschland 13.145

Den Spitzenplatz im europäischen Vergleich belegte Deutschland 2018 hingegen bei der Zahl der Beschäftigten in der Branche:

1. Deutschland 115.300

2. Großbritannien 98.600

3. Spanien 62.300

Beim Umsatz kam Deutschland auf den mittleren Platz:

1. Großbritannnien 52,2 Milliarden Euro

2. Deutschland 35,2 Milliarden Euro

3. Spanien 24,0 Milliarden Euro