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Die Näherinnen in Bangladesch sind vorerst an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrtFoto: Zabed Hasnain Chowdhury/Zuma/ddp

Trotz massiv steigender Corona-Fälle sind Anfang August in Bangladesch 4.500 Textilfabriken wieder geöffnet worden. Die Nachfrage nach Textilien steigt nach eineinhalb Jahren Pandemie wieder stark an. Allein in Deutschland hat im Mai, verbunden mit den Lockerungen der Corona-Beschränkungen, der Handel mit Textilien und Bekleidung ein Plus von 72 Prozent im Vergleich zum Vormonat verbucht. Und schon während der Krise im letzten Jahr war der Umsatz im Onlinehandel allein mit Bekleidung um insgesamt knapp 15 Prozent auf 16,3 Milliarden Euro gewachsen. Nur ist davon bei den weltweit 40 bis 60 Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie nichts angekommen. Im Gegenteil: Laut einer Untersuchung der Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign, CCC) sind ihnen in der Pandemie mehr als 10 Milliarden Euro an Einkommen verloren gegangen.

Bereits seit dem vergangenen November drängt die CCC die Textilindustrie deshalb, die Beschäftigten ihrer Zulieferer zu bezahlen. Die Kampagne läuft unter dem Hashtag "PayYourWorkers". Bis heute hat sie aber noch nicht dazu geführt, dass ausstehende Löhne ausbezahlt wurden. Dabei gibt es Instrumente, die überwiegend in der Branche arbeitenden Frauen nicht allein ihrem Schicksal zu überlassen. Angefangen beim individuellen Verhaltenskodex einzelner Konzerne bis hin zu den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), auf die sich Regierungen, Unternehmen und Gewerkschaften seit 1919 einigen. 190 Übereinkommen und über 200 Empfehlungen sind auf diesem Wege schon zustande gekommen.

Wenn sich niemand an Regeln hält

Doch die besten Regeln nutzen nichts, wenn sich niemand daran hält. Zusammen mit der Kampagne für Saubere Kleidung haben Gewerkschaften 25 internationale Modekonzerne aufgefordert, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Textilarbeiter*innen ihre zurück-behaltenen Löhne aus den Lockdown-Monaten erhalten. Am Beispiel Kambodscha zeigt sich allerdings, dass weder Übereinkünfte noch ein Kodex irgendetwas ändern.

Bis heute berufen sich die Textilkonzerne darauf, dass sie im Lockdown den Entscheidungen der kambodschanischen Regierung Rechnung getragen haben. Das heißt: Ihre Zulieferer mussten ihren Beschäftigten lediglich 30 US-Dollar pro Monat zahlen, die Regierung steuerte zusätzlich 40 US-Dollar bei. Allerdings entsprechen die insgesamt 70 US-Dollar Monatslohn lediglich 36 Prozent des gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohns von 192 US-Dollar in Kambodscha. Und schon von diesem lässt sich in dem südostasiatischen Land kaum leben.

Die großen Textilkonzerne machen es sich leicht und billig, wenn sie von ihren Zulieferern nur verlangen, sich an die Regierungsverordnungen zu halten, aber selbst keinen weiteren Beitrag leisten wollen. Dabei heißt es in der ILO-Konvention C102, dass eine Unterstützung in Phasen der Arbeitslosigkeit oder der vorübergehenden Einstellung der Arbeit "ausreichen [muss], um die Familie des Empfängers in Gesundheit und Würde zu erhalten". Und sie sollte, heißt es in der Konvention C168, "in einer Höhe [sein], die das Minimum für die grundlegenden Lebenshaltungskosten gewährleistet".

"Call to Action"

Zusätzlich ins Leben gerufen hat die ILO während der Pandemie den "Call to Action", laut dem die Textilunternehmen zusammen und individuell die Einkommenssicherung der Beschäftigten in den Produktionsländern gewährleisten sollen. Und auch der "ACT on Living Wages", den viele Konzerne unterstützen und sich somit verpflichten, mit ihren Einkaufspraktiken existenzsichernde Löhne zu ermöglichen, könnte helfen, wenn die Textilkonzerne ihren Zulieferern höhere Preise zahlen würden. Durch den "Call to Action" sind in Kambodscha aber gerade einmal 1,95 Millionen Euro zusammengekommen, die noch nicht einmal 1 Prozent der geschätzten Lohnlücke schließen. Das sind alles keine guten Voraussetzungen, wenn jetzt die Fabriken in Südostasien wieder im Akkord Textilien für den europäischen Markt produzieren.

In Bangladesch läuft Ende August zudem der sogenannte "Bangladesh Accord" aus. Das zwischen Textilfabriken, großen Modeketten und Gewerkschaften rechtlich bindende Abkommen zu Brandschutz und Gebäudesicherheit wurde vor acht Jahren nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes in der Nähe von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka mit 1.135 Toten und weit über 2.000 teils schwerverletzen Arbeiter*innen vereinbart. Nach eigenen Angaben des Accords konnten in den zurückliegenden Jahren in rund 1.600 Fabriken mehr als 120.000 Sicherheitsrisiken behoben werden.

Zu befürchten ist, wo kein Geld für die Beschäftigten ist, wird es auch keines für die Fabrikgebäude geben. Daran wird auch das geplante Nachfolgeabkommen "Ready Made Garments Sustainabilitiy Council" (RCE) nichts ändern. Bei der Gewerkschaft der Textil- und Industriearbeiter ist man besorgt, dass es zukünftig keine unabhängigen Fabrikinspektionen mehr geben wird. Die nächste Katastrophe scheint programmiert.

payyourworkers.org