Die Arbeitsbedingungen in Kindertagesstätten sind mangelhaft. Das hat eine Befragung von ver.di in Kooperation mit der Hochschule Fulda ans Licht gebracht. Über 19.000 Beschäftigte aus allen Arbeitsbereichen in Krippen, Kindergärten und Horten wurden von Mai bis Juni 2021 angehört. 40 Prozent der Befragten denken über einen Stellenwechsel nach, rund 25 Prozent überlegen, ganz aus dem Beruf auszusteigen.

173.000 Kräfte fehlen

Drei Viertel der Fachkräfte, die Kinder unter drei Jahren in Kitas und Horten betreuen, gaben an, für mindestens fünf und bis zu 12 Kinder gleichzeitig verantwortlich zu sein. Bei den über dreijährigen Kindern waren die Fachkräfte meist für 13 bis 24 Kinder zuständig; 44 Prozent von ihnen mussten zu Spitzenzeiten an einem Arbeitstag mehr als 17 Kinder gleichzeitig betreuen, knapp ein Viertel war für mehr als 21 Kinder zur gleichen Zeit verantwortlich.

"Ich betreue Kleinkinder zwischen einem und drei Jahren. Oft sind wir wegen Urlaub, Fortbildung oder Krankheit weniger als die vorgesehenen drei Betreuerinnen, was im offenen Betrieb mit drei Gruppen nur nicht so auffällt. Seit ich hier arbeite, weiß ich, warum ich das mache: Die Kinder kommen aus einem Brennpunktviertel, sie brauchen mich, aber auch die Eltern, die wir unterstützen. Als Personalrätin bin ich an drei Tagen die Woche freigestellt. Ich hoffe, die Arbeitssituation für alle verbessern zu können, etwa durch bessere Personalschlüssel und schnellere Verwaltungsabläufe. Das ist nötig, denn die Belastung ist sehr hoch. Wie acht Stunden Kindergeburtstag täglich mit Geschrei und Lärm."
Sina Hermann, 31 Jahre, seit 10 Jahren Erzieherin einer Kindertagesstätte in Hannover

Zum Vergleich: In einem von ver.di erarbeiteten Konzept für ein gutes Kita-Gesetz schlägt die Gewerkschaft bei Kindern bis zum ersten Lebensjahr eine Fachkraft für 2 Kinder, im Alter zwischen einem und drei Jahren eine Fachkraft für 3 Kinder und im Alter zwischen drei und sechs Jahren eine Fachkraft-Kind-Relation von 1 zu 7,5 vor. Im Durchschnitt fehlen pro Kita-Team drei Vollzeitkräfte, um gut arbeiten zu können. Bei rund 57.600 Kitas in Deutschland sind das knapp 173.000 fehlende Fachkräfte.

In einer Online-Konferenz erläuterten Elke Alsago von ver.di und der Sozialpädagoge Nikolaus Meyer von der Hochschule Fulda, die die Befragung durchgeführt hatte, die Ergebnisse und die Auswirkungen des Personalmangels auf den Kita-Alltag. Für die Planung, Vorbereitung, Entwicklungsdokumentation und für Elterngespräche fehle oft die nötige Zeit, beschrieb Alsago das Dilemma, in dem die Kitas stecken. Nur jeder zweiten Fachkraft stehe laut Dienstplan Zeit für Aufgaben außerhalb der direkten Kindbetreuung zur Verfügung. Als Folge arbeiteten die Fachkräfte häufig in ihrer Freizeit, um die notwendigen Elterngespräche führen zu können oder Vor- und Nachbereitungen zu machen. Meyer ergänzte, als Folge des Personalmangels würden auch Leitungsaufgaben oft in die Freizeit verlagert und Leitungskräfte in die Arbeit mit Kindern eingebunden. Die Zeit fehle ihnen dann für die Leitungsaufgaben.

Leidtragende sind auch die Kinder. Die pädagogischen Anforderungen würden von der Politik nicht ernst genommen, kritisierte Alsago. Im Ergebnis werde immer etwas vernachlässigt. "Entweder kommen die Kinder, die Qualität der Arbeit oder die Fachkräfte zu kurz." Das wirke sich auf die pädagogische Arbeit aus. So gaben 43 Prozent der Befragten an, dass sie aus Zeitgründen häufig nicht auf die Wünsche oder Probleme der von ihnen betreuten Kinder eingehen können. Über 30 Prozent sind der Meinung, dass sie ihren eigenen pädagogischen Ansprüchen im Arbeitsalltag nicht gerecht werden können. Die Erfahrung, aufgrund schlechter Rahmenbedingungen keine gute Arbeit leisten zu können, sei ein weiterer Stressfaktor.

"In meiner Gruppe sind 20 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Meine Kita liegt in einem Stadtteil, der sehr von Armut geprägt ist. Wir haben viele Familien mit Migrationshintergrund und auch mit traumatischen Fluchterfahrungen. 75 Prozent unserer Kinder benötigen vor ihrem Start in der Schule eine gezielte Sprachförderung. Als die Gruppen wegen Corona plötzlich kleiner wurden, war das ein Segen. Kinder, die bislang wenig bis nahezu gar nicht gesprochen haben, sprachen plötzlich. Eine auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnittene Betreuung und Bildung ist nur in kleinen Gruppen zu gewährleisten. Manche brauchen Ruhe, andere Bewegung und alle brauchen Aufmerksamkeit."
Sandra Behrmann, 48 Jahre, seit 25 Jahren Erzieherin bei der Stadt Bremen

Auch die Aus- und Weiterbildung ist unbefriedigend für die Beschäftigten und uneinheitlich geregelt: So ist die Mehrzahl der Fachkräfte zwar für die Begleitung von Praktikant*innen zuständig, hat aber für deren Ausbildung keine Zeit und ist auch nur selten dafür qualifiziert. 94 Prozent der befragten Fachkräfte gaben zudem an, dass sie keine Qualifizierungsmaßnahmen genehmigt bekommen, um durch einen höheren Berufsabschluss beruflich weiterzukommen. Dies gilt insbesondere für Quereinsteiger*innen ohne einschlägige Berufsausbildung. Auch das mache unzu- frieden und wecke den Wunsch, den Beruf zu wechseln, so Elke Alsago.

Die Zahlen sind alarmierend, sagt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle. Die Befragung zeige deutlich, wo die Probleme in den Kindertageseinrichtungen liegen. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, um die Situation zu verbessern. ver.di will in der Tarifrunde für den Sozial- und Erziehungsdienst, die im Januar 2022 startet, deutliche Verbesserungen erreichen. "Neben der Erhöhung der Löhne werden wir auch gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und damit auch für bessere Bedingungen für Kinder und Eltern kämpfen", so Behle. ver.di streitet zudem für ein bundeseinheitliches Ausbildungsgesetz für den Beruf staatlich anerkannter Erzieher*innen, damit die Ausbildung attraktiver und angemessen vergütet wird.

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