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Um die Natur als Rückzugs- und Erholungsraum zu erhalten, braucht es genug gut ausgebildetes Personal in den GrünflächenämternFoto: Michael Bause

In Deutschland kennt das durchschnittliche Kind mehr als 100 Firmenlogos, aber nur zehn Pflanzennamen. Die angehenden Gärtner mit Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau, die an einem spätsommerlichen Oktobertag im Essener Schlosspark Borbeck einen Amberbaum pflanzen, nehmen die Wiesen und Wälder anders wahr: Rund 350 Pflanzennamen müssen sie für ihre Abschlussprüfung kennen – auf Deutsch und Lateinisch. Sie lernen, welcher Baum welche Bodenart bevorzugt, wie Pflanzen mit Trockenheit und Hitze zurechtkommen, welche Arten gefährdet sind durch den Klimawandel und welche nicht. Sie wissen, was getan werden muss, um den Wald als wichtigsten Kohlendioxid-Speicher zu erhalten und warum Artenvielfalt für ein lebenswertes Leben so wichtig ist.

"In den nächsten Jahrzehnten müssen wir die Baumvielfalt stark erhöhen, damit die Wälder gesund bleiben", sagt Pascal Jobke, Auszubildender im zweiten Lehrjahr. "Der Amberbaum kommt aus dem Südosten Nordamerikas und ist sehr wetterbeständig. Er wird bei uns an Bedeutung gewinnen." Man würde sich nicht wundern, wenn die Lehrlinge jetzt noch erzählen würden, dass der Stamm des Baumes ein süßlich duftendes Harz enthält, der als Rohstoff zur Kaugummiherstellung dient – und die Amerikaner den Baum deswegen "sweet gum" ("Süßgummi") nennen. Jobke weist stattdessen auf die schöne Färbung der Bäume hin. In der Nachbarschaft des frisch gepflanzten Baums steht ein gut 15 Meter hohes Exemplar, dessen ahornähnliche Blätter im Herbst weinrot leuchten.

Das Wissen der Azubis passt zur ver.di-Aktion im Schlosspark: Die Landesgruppe NRW Gartenbau, Friedhöfe und Forsten spendet der Stadt Essen einen Amberbaum – und nutzt die symbolische Übergabe an Andreas Bergknecht, Leiter der Essener Grünflächenbetriebe, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen: Dazu gehören Erhalt und Ausbau städtischer Grünräume genauso wie die Förderung der Ausbildung im Bereich Garten und Grünpflege sowie der Stopp des Trends, Grünflächenpflegearbeiten vermehrt an private Unternehmen zu vergeben.

"Menschen brauchen die Natur als Rückzugs- und Erholungsraum – um sie zu erhalten, brauchen wir genug kompetentes Personal."
Ralf Nix, ver.di-Bundesfachgruppenleiter Gartenbau, Friedhöfe und Forsten

Beruf mit Zukunft

"Die Corona-Krise hat den Wert städtischer Parks und anderer Grünflächen eindrucksvoll gezeigt", sagt Ralf Nix, ver.di-Bundesfachgruppenleiter Gartenbau, Friedhöfe und Forsten. "Menschen brauchen die Natur als Rückzugs- und Erholungsraum – um sie zu erhalten, brauchen wir genug kompetentes Personal." Zumal der Pflegebedarf und die Schutzanforderungen durch den Klimawandel steigen: Wegen abnehmender Niederschläge im Sommer muss mehr gewässert werden, Hitze- und Dürreperioden machen häufigere Nachpflanzungen nötig. Wenn Parks wie in der Corona-Zeit stärker vom Menschen genutzt werden, müssen sie auch intensiver gepflegt werden. Diesen Entwicklungen zum Trotz ist in vielen städtischen Grünflächenämtern in den vergangenen Jahren Personal eingespart worden.

Die Nachfrage nach dem körperlich anstrengenden Ausbildungsberuf Gärtner*in mit Richtung Garten- und Landschaftsbau ist in Essen – und nicht nur in Essen – groß. Ausbildungsleiterin Leonie Junggebauer hat stets mehr als genug Bewerbungen für die insgesamt 20 Plätze auf dem Schreibtisch. "Die sechs neuen Stellen sind jedes Jahr schnell neu besetzt", sagt sie. Viele Auszubildende finden wie Pascal Jobke über ein freiwilliges ökologisches Jahr den Weg zur Ausbildung. Es gibt auch Quereinsteiger wie Andreas Schmitt, der zwölf Jahre bei der Bundeswehr gedient hat, mit dem Wachbataillon Barack Obama und Angela Merkel mit militärischen Ehren empfing, und jetzt, mit 33, Erfüllung in der Gärtnerausbildung findet. "Wir müssen jetzt handeln, damit unsere Kinder und Enkelkinder noch eine gesunde Erde vorfinden", sagt Schmitt. "Jeder sollte da seinen Beitrag leisten, in dem er viel Rad fährt oder seinen Vorgarten begrünt. Wenn ich mit meiner Arbeit ein bisschen zum Klimaschutz beitragen kann, umso besser."

Wenn ich mit meiner Arbeit zum Klimaschutz beitragen kann, umso besser."
Andreas Schmitt, Gärtner in Ausbildung

Joris Breielmann studiert parallel zur Ausbildung Landschaftsbau und Grünflächenmanagement. Auch für den 19-Jährigen spielt das Thema Klimawandel eine große Rolle. Erschreckt von den menschen- wie tierverachtenden Zustände in der Fleischindustrie, hat er schon mit zwölf entschieden, Vegetarier zu werden. "Für junge Leute wie mich ist das Thema Klima- und Naturschutz das wichtigste überhaupt", sagt er. Und natürlich, sagt Breielmann, während er die Erde rund um den Amberbaum mit der Schaufel bearbeitet, "ist Grünflächenmanagement ein Beruf mit Zukunft".

Einen Beitrag zum Kampf gegen den menschenverursachten Klimawandel zu leisten – das ist für viele junge Menschen ein gutes Argument, um Gärtner zu werden. Achim Kraus beschäftigt sich mit seiner Landesfachgruppe Gartenbau, Friedhöfe und Forsten ver.di NRW seit den Verheerungen des Sturms Ela im Juni 2014 intensiv mit dem Thema Klimawandel. Die Verbreitung des Eichenprozessionsspinners und das massive Fichtensterben durch Borkenkäferbefall führen den Angestellten der Grünflächenbetriebe immer wieder die Folgen durch den Klimawandel vor Augen.

Vor drei Jahren hat die Landesgruppe einen Flyer entworfen, um die Ziele der Gewerkschaft zu verdeutlichen: Neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der Grünflächenunterhaltung, Weiterbildung des Personals, Outsourcing an private Unternehmen stoppen, Beiträge leisten zur Flächenentsiegelung, Aufforstung und Begrünung von Städten. Kraus, der mit einem umgebauten Post-Anhänger zu Gartenbauämtern in ganz NRW fährt, um Informationsmaterial zu verteilen und Mitglieder zu werben, kündigt weitere Aktionen zum Klimaschutz an: "Die Corona-Krise hat uns da etwas gebremst – und andererseits das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Grünflächen sensibilisiert."

Der Student Joris Breielmann fände es gut, "zum Beispiel die Versiegelung von Vorgärten gesetzlich zu verbieten. Einige Städte tun das ja schon", sagt er. "Wir müssen in jede Richtung darüber nachdenken, was wir gegen den Klimawandel tun können, dazu gehört auch die Begrünung von Dächern und von Schottergärten."

Klimaschutz geht nur gemeinsam

Im Essener Schlosspark zeigt ver.di, dass Klimaschutz nur gemeinsam geht: Aus Düsseldorf, Münster, Essen, Bochum, Köln, Dortmund, Duisburg, Bielefeld, Solingen und Mülheim sind Mitglieder gekommen, um ein Zeichen gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel zu setzen. "So eine vernetzte Vor-Ort-Arbeit habe ich viele Jahre vermisst, sie tut uns richtig gut", sagt Caroline Bruns-Prölß, Baumschulgärtnerin und Landesfachgruppenvorsitzende aus Bochum.

Den Amberbaum zu pflanzen, bleibt der Jugend überlassen. Nach einer guten halben Stunde ist die Arbeit getan. "Wir tun gut daran, die Schnittmengen gerade auch mit jungen Menschen und Klimaaktivisten zu suchen", sagt Bernt Kamin-Seggewies, stellvertretender Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Ruhr-West, am Rande der Pflanzaktion. "Denn davon gibt es viele. Gut bezahlte Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit, globaler Frieden und Klimaschutz – all das gehört zusammen."

Kamin-Seggewies hatte am 24. September bei der Fridays-for-Future-Kundgebung in Essen gesprochen und 4.000 klimabewegten Jugendlichen in ein paar Sätzen erzählt, wie Ausbildung und Arbeitsplätze auf der einen Seite und Klimaschutz auf der anderen Seite aus seiner Sicht zusammenhängen. Die Bedenken, als alter Gewerkschafter nicht den richtigen Ton zu treffen, erwiesen sich als unbegründet. Kamin-Seggewies bekam lautstarken Applaus. Zur ver.di-Premiere bei der Fridays-Kundgebung passte es, dass einige der Essener Gärtner-Azubis im Schlosspark gleich einen Mitgliedsantrag unterschrieben. Frei nach dem Motto, das für Gewerkschaft und Natur gleichermaßen gilt: Was wir kennen, lernen wir achten und schätzen – was wir nicht kennen, nicht.