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Foto: Sabrie/The New York Times/Redux/laif;

Es sind bukolische Bilder wie aus der Zeit gefallen. Ein Bauer treibt seine Wasserbüffel durch einen feinen Dunstschleier. Umgeben von ihren Gänsen läuft eine Bäuerin über den Feldweg. Als am Meereshorizont die Sonne untergeht, holen Fischer ihre Netze ein. Die Szenen sind zigtausendmal fotografiert und geteilt worden. Von Menschen aus fernen Städten, die allein zu diesem Zweck hergekommen sind, in den Touristenhotspot Xiapu in der chinesischen Provinz Fujian. Was die meisten nicht wissen: Alles, was sie sehen, ist Fake, extra für sie inszeniert. Die Bäuerinnen und Fischer sind engagierte Schauspieler, die über Funkgeräte Anweisungen bekommen. Die Wasserbüffel sind gemietet. Sogar der Dunstschleier ist künstlich erzeugt. Ob bewusst oder nicht, das Tauschgeschäft funktioniert ganz gut. Gestresste Städter auf der Suche nach Ursprünglichkeit sollten sie auch bekommen. Das Ursprüngliche würden sie sonst in der Region nämlich gar nicht finden, da die Gegend – wenn ungeschminkt – öde und elend zwischen Atomkraftwerk und Müllbehandlungsanlage liegt. Von Landwirtschaft und Fischerei können die Bewohner der Provinz nicht mehr leben. Würden sie sich nicht als Statisten verdingen, müssten sie in die Stadt flüchten. Und welche Bilder würden sie dann auf Social Media teilen können? Fake-Industrie als Armutsbekämpfungsprogramm.

Man glaube nicht, dass nur Chinesen auf eine solche Idee kommen konnten. Auf demselben Prinzip basieren Mittelalter-Spektakel, Erlebnisparks und Industriemuseen, wo ehemalige Kumpels Touristen in den Stollen führen. In Frankreich vermittelt das Arbeits amt Statisten, um in einem provenzalischen Dorf einen Markt zu simulieren – für chinesische Touristengruppen. Auch in Deutschland ist die Sehnsucht des urbanen Mittelstands nach Landidylle gewachsen und es wäre vielleicht nicht verkehrt, die noch nicht ganz kompatiblen Einheimischen den Vorstellungen der Neudörfler entsprechend umzubilden. Aber warum vor der Stadt haltmachen? Stellen wir uns vor, Statisten wären eingestellt, um in geschlossenen Filialen, Ämtern und Anstalten ausgeruhte Postangestellte, freundliche Sachbearbeiterinnen oder entspannte Krankenschwestern zu schauspielern. Da wäre die Welt wieder in Ordnung und Fernweh hätte niemand mehr. Guillaume Paoli