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Journalist*innen beim Interview in der Region Luhansk im DonbassFOTO: ALEXEY MAISHEV/SNA/IMAGO

Seit dem vollständigen Einmarsch Russlands in die Ukraine sind Journalistinnen und Journalisten, die aus der Ukraine berichten, in unmittelbarer Gefahr. Nach Angaben des ukrainischen Institute of Mass Information (IMI) wurden bisher sieben Journalisten getötet, neun verwundet und mindestens 15 werden vermisst. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sehen sich Journalisten in der Ukraine nicht nur kriegsbedingten Bedrohungen ausgesetzt, sondern müssen auch in einem Umfeld arbeiten, das die Medienfreiheit zunehmend einschränkt.

Berichterstattung erheblich erschwert

Viele Journalisten, die in der Ukraine arbeiten, haben über die Entwicklungen in der Kampfzone, der sogenannten "Anti-Terror-Operation-Zone", heute bekannt als die "Operation der gemeinsamen Streitkräfte in den Oblasten Donezk und Luhansk", berichtet. Seit 2014 haben ukrainische Journalistinnen und Journalisten Schulungen zu Sicherheitsaspekten, taktischer Erster Hilfe und zur Berichterstattung in Kampfgebieten erhalten. Dennoch wurde die Berichterstattung durch den vollständigen Einmarsch Russlands in die Ukraine und den Einsatz neuer Waffen im Kampf erheblich erschwert.

Am 24. Februar gestattete der Nationale Rat für Fernsehen und Rundfunk den Medien, für die Zeit des Krieges von ihren Programmen abzuweichen. Vier kommerzielle Mediengruppen, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt und der staatliche Fernsehsender Rada bieten den ukrainischen Zuschauern seither gemeinsam einen noch nie dagewesenen Nachrichtenmarathon unter dem Motto "Vereinte Stimme". Jeder Sender bereitet die Nachrichten getrennt vor, ein oder zwei vorher festgelegte Moderatoren präsentierten die Nachrichten im Wechsel mit ihren Kollegen. Immer wieder kommt es vor, dass die Berichterstattung von den Luftschutzsirenen unterbrochen wird. Auch die Medienvertreter müssen dann in die Luftschutzkeller.

Am 3. März 2022 erließ der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte einen Befehl, in dem die Verfahren für die Koordinierung zwischen den Medienvertretern, den ukrainischen Streitkräften und anderen Verteidigungseinheiten festgelegt wurden. Laut diesem Erlass müssen Journalisten im Besitz eines Presseausweises sein, sich für die Berichterstattung akkreditieren, und sie müssen die Vorschriften für Informationen von strategischer Bedeutung, die nicht öffentlich zugänglich sind, kennen.

Die Akkreditierung wird vom Verteidigungsministerium der Ukraine digital ausgestellt. Da in den meisten Gebieten der Ukraine eine Ausgangssperre verhängt wurde, ermöglicht sie den Journalisten eine Berichterstattung auch während der Ausgangssperre.

Raum für Medienfreiheit schrumpft

Trotz der relativen Transparenz und des Bewusstseins für die festgelegten Regeln schrumpft der Raum für Medienfreiheit und Berichterstattung immer mehr. Am 26. März 2022, nachdem russische Raketen in einem Waffendepot bei Lwiw/Lemberg eingeschlagen waren, schalteten BBC und CNN schnell auf Livesendung direkt vom Explosionsort. Die Liveschalte löste eine hitzige Debatte zwischen der Journalistengemeinschaft und der ukrainischen Öffentlichkeit aus. Letztere äußerte Vorbehalte gegen eine Berichterstattung vor Ort, sie befürchtete, dass diese Orte dadurch einem sogenannten Korrekturfeuer der Russen ausgesetzt würden. Auch Journalisten stellten die Anwesenheit der Medien am Explosionsort in Frage, da sie dem Befehl der Streitkräfte zur eingeschränkten Berichterstattung am Ort eines Geschehens wider- sprach. Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Europeiska Pravda, Sergiy Sydorenko, bezeichnete die Angriffe auf die Journalisten, die vor Ort berichteten, hingegen als ungerechtfertigt. Die Vorwürfe, sie würden als "Brandstifter" agieren, seien irrational. Auf Facebook schrieb Sydorenko: "Noch ein bisschen mehr, und diese völlig unbegründete ,Volksempörung' könnte dazu führen, dass Filmteams physisch an der Arbeit gehindert werden."

Am 28. März unterzeichnete schließlich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij ein Gesetz, das die Verbreitung von Informationen über das ukrainische Militär einschränkt. Das Gesetz verbietet den Medien, die Bewegungen der Streitkräfte, den Beschuss und militärische Einrichtungen zu filmen. Journalisten, die dagegen verstoßen, drohen bis zu 12 Jahre Haft.

Die Verabschiedung des Gesetzes erfolgte auf die Festnahme eines ukrainischen TikTokers, der ein Video veröffentlicht hatte, das die Positionen der ukrainischen Streitkräfte an einem Ort zeigte, der später von einer Rakete getroffen wurde. Bestand die Absicht der Gesetzgebung darin, die Öffentlichkeit zur Vorsicht im Umgang mit sensiblen kriegsbezogenen Informationen anzuhalten, führt sie in der Folge zu weiteren Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Kriegszeiten.

Transparente Regeln gefordert

Nichtregierungsorganisationen ukrainischer und ausländischer Medien haben inzwischen eine an den Präsidenten, den ukrainischen Sicherheitsdienst und den Generalstab der Streitkräfte gerichtete Erklärung abgegeben, in der sie ein Ende der Schikanen gegen Medienvertreter und transparente Regeln für die Berichterstattung fordern. In der Erklärung heißt es, dass Journalisten willkürlichen Überprüfungen ihrer Dokumente ausgesetzt sind, und die territorialen Verteidigungseinheiten und der Sicherheitsdienst der Ukraine häufig die Anwesenheit der Journalisten, die ihre Arbeit wahrnehmen, in Frage stellen. In der Erklärung werden zudem Regeln für den Zugang zu Drehorten gefordert, ohne einige Medienunternehmen zu bevorzugen, was sich vermutlich auf die Drehgenehmigung bezieht, die nur CNN und BBC am Ort des Raketenangriffs in Lwiw erteilt wurde.

Die Veröffentlichung der Erklärung macht nicht nur die Komplexität der Berichterstattung vor Ort in Kriegszeiten deutlich, sondern offenbart auch ein nicht minder wichtiges Problem – einen Mangel an Verständnis über den Wert von Kriegsberichterstattung. Angesichts des anhaltenden Krieges neigen einige Einheimische dazu, Pressevertreter als potenzielle Saboteure zu betrachten, die auf der Suche nach strategischen Informationen sind, die sie an die Russen weitergeben, um sie im Rahmen der Kriegsanstrengungen gegen die Ukrainer einzusetzen.

Tatsächlich kann die entscheidende Rolle der Journalisten bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen an den Fronten gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Angesichts des ohnehin schon restriktiven Zugangs zu militärischen Hotspots sollten Journalisten, die in einem komplexen Medienumfeld tätig sind und sich unter hohem Risiko für sich selbst um die Aufrechterhaltung der Qualitätsstandards bemühen, mit Respekt und Verständnis behandelt werden.

Iryna Dobrohorska ist ukrainische Journalistin und Expertin für internationale Entwicklung

ver.di TV:

"Hier kommen wir zur Ruhe" – ver.di nimmt in ihren Bildungsstätten ukrainische Flüchtlinge auf und unterstützt sie. Wie das in unserer Bildungsstätte in Berlin läuft und es den Flüchtlingen dort geht, zeigt unser Beitrag.

Fakten zum Ukraine-Krieg

Instagram-Guide für Jugendliche

Falsche Informationen im Minutentakt: Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem nunmehr seit Wochen anhaltenden Krieg werden vor allem Jugendliche auf TikTok und Instagram mit Fake News überschwemmt. Das Problem: Sie können die falschen Nachrichten kaum einordnen. Der Krieg ist komplex und für junge Menschen nur schwer zu begreifen. Salon5, die Jugendredaktion vom Recherchezentrum CORRECTIV, liefert seit Beginn des Konflikts einen Faktencheck, Hintergründe und erklärt Begriffe, die rund um den Krieg entstehen. Es geht um das Wort Souveränität oder die NATO, die UdSSR und das Völkerrecht. Alles Begriffe, die in den Nachrichten genannt, aber von jungen Menschen oft nicht verstanden werden. Entstanden ist so ein Guide auf Instagram, der wöchentlich in Form von Reels und TikTok-Videos aktualisiert wird und Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren in ihrer Sprache umfassend informiert.

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