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Das Angenehme kann Katja Seedorf mit dem Nützlichen verbinden: Waschbären streicheln bei gleichzeitiger Zahn-und FellkontrolleFOTO: KAY MICHALAK/FOTOETAGE

Ein sonniger Samstag Ende April im „Zoo am Meer“ in Bremerhaven: Nach der langen Pause laufen die Besucher*innen aufgeregt durch die Gänge des kleinsten wissenschaftlich geleiteten Zoos in Europa und stehen staunend vor den Gehegen der insgesamt rund 280 Tiere. Für Katja Seedorf ist das Durchkommen an diesem Tag nicht ganz einfach, als sie ihren Handkarren zum Gehege der Otter steuert. Die Tierpflegerin will den Tieren ihr Fressen bringen; Fisch, Rindfleisch und Kartoffeln gibt es heute. Aber manch ein Familienvater und seine Kinder sind so fasziniert von den Tieren, dass sie kaum mitbekommen, dass hinter ihnen jemand mit einem Karren vorbei muss.

Vor zwei Jahren sah es hier um diese Jahreszeit noch ganz anders aus. Die Corona-Pandemie hatte zum ersten Mal das Land in eine Art Stillstand versetzt. Zoos und Tierparks blieben geschlossen, denn Menschenansammlungen sollten vermieden werden. Also waren sie unter sich, die Tiere und ihre Pfleger*innen im Zoo am Meer. Letztere hielten ihre Schichten strikt getrennt, um Ansteckung unter einander zu vermeiden. Die Versorgung der Tiere sollte nicht gefährdet werden.

Action gegen die Langeweile

Diese Trennung wirkt bis heute nach, stellt Katja Seedorf fest. Jetzt, wo der Zoo ohne Einschränkungen wieder geöffnet ist, müssten sich alle Beschäftigten erst einmal wieder zur Teamarbeit zusammenfinden. Das stellt sie als Betriebsrätin und ihre beiden Mitstreiterinnen Claudia Preuß und Carmen Gürster derzeit vor eine besondere Herausforderung. Das Trio wurde gerade bei der Wahl als Interessenvertretung bestätigt. Jetzt wollen sie die Beschäftigten dazu bringen, Befindlichkeiten und Probleme klar zu formulieren, damit sie sie als Betriebsrat angehen können.

Ausgewirkt haben sich die Schließzeiten auch auf einige der Tiere, sagt Katja Seedorf. Auf die Eisbären zum Beispiel. Da mussten die Tierpfleger*innen schon mal für Action vor den Gehegen sorgen, den Tieren war es schlicht zu langweilig ohne die Interaktion mit den Besucher*innen. Heute kommen Eisbärin Valeska und ihre fast ausgewachsenen Zwillinge Elsa und Anna sofort nah an die Scheibe heran, als sie Katja Seedorf entdecken – zur Freude der Kinder, die dort gerade zufällig auch stehen. Als die zierliche Frau wie beiläufig die Hand über ihren Kopf hebt, stellen sich die wuchtigen Tiere auf die Hinterbeine. Geht sie weiter, folgt ihr das Trio, vorbei an allen Fenstern des Geheges.

Was hier spielerisch anmutet, lässt fast vergessen, dass es sich um Raubtiere handelt. Hinter den Kulissen wird das hingegen mehr als deutlich: Ein beeindruckendes Arsenal an Schiebern, Schlössern und Gittern trennt Mensch und Tier. Sie müssen in einer genau festgelegten Reihenfolge geöffnet bzw. geschlossen werden, wenn die Tiere etwa abends vom Außengehege ins Nachtquartier wechseln. Fehler können in dieser Anlage tödlich enden. Das sei ein ziemlich hoher psychischer Druck, sagt Katja Seedorf. „Man darf sich durch nichts ablenken lassen“, sagt sie. Dazu brauche sie eine gute Mischung aus Routine und Aufmerksamkeit, an jedem Tag, egal wie das eigene Befinden ist.

Hinzu komme der Zeitdruck bei der Arbeit; der Nachwuchsmangel wird spürbar. Als Obertierpflegerin im Bärenrevier ist sie auch noch für die Otter, Waschbären, Lemminge, Pumas und Polarfüchse zuständig. Ihren Arbeitstag beginnt sie vor Zooöffnung damit, die noch leeren Außengehege zu reinigen. Bei dieser körperlich schweren Arbeit schleppt sie Schläuche, spritzt die glatten Flächen mit Wasser ab. Sie sucht nach Fremdkörpern im Gehege, fegt die Hinterlassenschaften der Tiere zusammen und schaut, ob der Kot Anzeichen für mögliche Krankheiten erkennen lässt. Dann trägt sie ihn in Eimern weg. Befinden sich die Tiere dann im Außen gehege, reinigt die Tierpflegerin die Nachtquartiere.

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Eisbären wird langweilig ohne Action vor den GehegefensternFOTO: KAY MICHALAK/FOTOETAGE

Gemüse für die Lemminge

Hat sie das bei allen Tieren, für die sie zuständig ist, erledigt, macht sie sich auf den Weg in die Futterküche. Blutige Fleischbatzen gibt es heute für die Eisbären, die Pumas bekommen Knochen, für Waschbären und Otter gibt es eine Mischung aus Rindfleisch und Fisch. All das packt die Tierpflegerin auf ihren Handkarren, obenauf ein kleines Schälchen mit Gemüse für die Lemminge. Durch die Arbeitsgänge weitgehend abseits der Wege der Besucher, schleppt sie die Eimer mit dem Futter, es geht Treppen rauf und wieder runter. Bei Wind und Wetter, Hitze und Kälte, ist sie dort unterwegs. Die Waschbären lockt sie heute mit Leckerlis zu sich. Doch was nach entspanntem Kraulen der vier Tiere aussieht, ist auch Kontrolle: Sind die Zähne in Ordnung? Spürt sie Veränderungen im Fell oder an der Haut? Sind die Augen klar? „Mein Leben besteht aus Tieren“, sagt sie. Im Beruf und in der Freizeit. Dafür akzeptiert sie die anstrengenden Seiten ihres Berufs, auch wenn sie sich manchmal fragt, ob sie das noch bis zur Rente durchhalten kann.

Zurück in den Arbeitsgängen trifft sie ihre Betriebsratskollegin Carmen Gürster. Die Obertierpflegerin im Robbenrevier kommt von einem sogenannten Instawalk. Hier können Zoobesucher*innen hinter den Kulissen des Zoos Fragen stellen. Dabei sollen sie möglichst viele Fotos machen, die sie dann in den sozialen Medien posten – und so für einen Besuch im Zoo am Meer werben.

Seit den 1980er Jahren, als die beiden Frauen ihre Ausbildung gemacht haben, hätten sich die Aufgaben von Tierpfleger*innen stark verändert, erzählen sie. Live moderierte Fütterungen oder Trainingseinheiten mit den Tieren gelten heutzutage ebenso als selbstverständlich wie Auftritte vor der Kamera. So hat Radio Bremen von 2007 bis 2015 mit dem Doku-Format „Seehund, Puma & Co“ das Leben auch im Zoo am Meer begleitet.

Doch jetzt muss Carmen Gürster zurück in ihr Revier, die Fütterungen bei den Seehunden, Seebären und dann noch bei den Seelöwen stehen an. Auch diese Tiere, erzählt sie auf dem Weg durch die Anlage, hätten während der Schließzeiten den Kontakt zu den Besucher*innen spürbar vermisst. Den Pinguinen hingegen, die auch zu ihrem Revier gehören, hätte das nichts ausgemacht: „Die sind sich selbst genug.“

Diskussionen an der Kasse

Ein geschlossener Zoo brauchte auch keine geöffneten Kassen. Als im vergangenen Jahr alle Rest arbeiten erledigt und die Laufzeit der Jahres karten entsprechend verlängert war, gingen die Beschäftigten in Kurzarbeit. Aber aufgestockt durch den Tarifvertrag sei das in Ordnung gewesen, sagt Claudia Preuß, die selbst betroffen war: „Immerhin mussten wir niemanden entlassen.“

Anstrengend sei hingegen die Zeit gewesen, als sich die Regelungen für den Zoobesuch ständig änderten. Ob 2G, 3G oder Maskenpflicht, an ihrem Arbeits-platz im Kassenhaus des Zoos am Meer musste sie ständig mit Besucher*innen diskutieren. „Viele haben die Regelungen in Frage gestellt. Da waren wir der Puffer, bei uns an der Kasse müssen alle vorbei“, sagt sie. Dagegen sei es heute wieder entspannt. Selbst wenn täglich rund tausend Menschen den Zoo besuchen wollen, sei das für das eingespielte Kassenteam freundliche Routine.

zoo-am-meer-bremerhaven.de