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Auch die Lufthansa musste bereits hunderte Flüge streichenFoto: Dennis Dacke

Die Stimmung an den Flughäfen in Deutschland ist schlecht. Unter den Fluggästen ist sie es, weil sie sich nicht mehr sicher sein können, dass ihr gebuchter Flug auch abhebt. Und unter den Beschäftigten ist die Laune auf dem Tiefpunkt, weil sie viel zu wenige sind, um dem Ansturm der Reisenden standhalten zu können. Er haut sie regelrecht um. Allein bei den Bodenverkehrsdiensten sind in den letzten zwei Corona-Jahren bis zu 60 Prozent der Beschäftigten ausgeschieden, der Krankenstand der verbliebenen liegt bei rund 20 Prozent, in der Regel sind es fünf. Es sind Mitarbeiter*innen im Check-in, bei den Sicherheitskontrollen, beim Gepäck-Handling und in der Kabine, die nun fehlen, wo der Flugverkehr wieder zulegt.

Easyjet sorgt in dieser ohnehin angespannten Situation für noch mehr Unmut. In Berlin will der Billigflieger erneut Maschinen und Personal halbieren. Bereits 2020 baute die Fluglinie dort 700 Stellen ab und verkleinerte seine Flugzeugflotte von 34 auf 18 Flugzeuge. Nun sollen weitere 275 Flugbegleiter*innen gehen, ihre Arbeitsplätze nach Portugal verlagert werden, genauso wie weitere sieben Maschinen. Easyjet will noch billiger fliegen. Und kündigt das ausgerechnet während der laufenden Tarifrunde mit ver.di an.

"Es geht nur ums Profitmachen", sagt Holger Rößler, der die Verhandlungen mit Easyjet für ver.di führt. Ein Manager der Fluglinie habe ihm gesagt: "Wir müssen die Flugzeuge dort haben, wo sie das meiste Geld bringen." Und tatsächlich liegen da Welten zwischen Portugal und Deutschland: In Portugal sind die Flughafengebühren niedriger und auch das Personal ist dort deutlich billiger zu haben. "Stinksauer" seien die Beschäftigten in Berlin, sagt Rößler. Sie sind sprichwörtlich in die Luft gegangen, als Easyjet die neuerlichen Streichungen ankündigte.

Explosiv ist die Situation dieser Tage an den Flughäfen deutschlandweit. "Alle wollen diesen Sommer fliegen wie der Teufel", sagt Rößler. Nur das Personal fehle eben an allen Ecken und Enden im Flugbetrieb. Maschinen werden bis zum Anschlag ausgelastet, kaum eine Airline fliegt noch unter 95 Prozent Belegung. Zu wenig Personal heißt aber auch, dass Flüge gestrichen und Passagiere umgebucht werden. Es kommt zu stundenlangen Wartezeiten und Verspätungen. Mangels Personals können nicht alle Schalter zum Einchecken und auch nicht alle Sicherheitsschleusen geöffnet werden.

"Wir haben keinen Nerv mehr"

Christiane Lenz, Flugbegleiterin bei der Condor in Hamburg sagt: "Wir haben keinen Nerv mehr." Die ganze Wut der Passagiere lande bei ihnen, sobald sie an Bord seien. Man spüre eine stete Aggressivität, sagt Lenz. "Psychisch total belastet" seien sie und ihre Kolleg*innen. Ständig müssten sie die Fluggäste an die Maskenpflicht erinnern, immer wieder müssten sie Passagiere aus der Maschine rausholen lassen, weil sie keine Masken tragen wollen. Dazu kommen Probleme mit dem Catering. Das wird oft unvollständig angeliefert oder ist falsch in den Serviercontainern verstaut. Lenz hat trotzdem Verständnis für die Kolleg*innen bei Gate Gourmet, die sie beliefern. Auch die haben hohe Krankenstände und in der Pandemie viel Personal verloren, das nicht wiederkommt.

Auch wenn sie bei Condor selbst noch eine Krisenvereinbarung bis Ende 2023 und eine Beschäftigungssicherung bis 2026 haben, komme es immer wieder zu Verstößen gegen den Manteltarifvertrag, so Lenz. Condor verlange maximale Flexibilität, die Beschäftigten würden zu allen Tageszeiten aus ihren freien Tagen heraus zum Einsatz gerufen. Freizeit planen, sei nicht mehr drin. "Ich glaube, im Moment hilft nur noch Geld", sagt die Flugbegleiterin, anders ließe sich das Personal kaum noch halten.

Dennis Dacke, der bei ver.di die Aircrew Alliance betreut und somit das Bordpersonal sämtlicher in Deutschland fliegenden Airlines, sagt, "da ist nix mehr mit der Romantik, die der Beruf einmal hatte". Rumkommen, etwas von der Welt sehen. Jetzt sei da nur noch enormer Stress, die Arbeit an Bord ein "knallhartes Geschäft". Condor müsste eigentlich 1.000 Leute einstellen, um die Personallücken zu schließen, sagt Dacke.

Verlässliche Arbeitszeiten und bessere Bezahlung – es wäre ein Teil der Lösung für alle Beschäftigten. Für das Bodenpersonal fordert ver.di schon seit Jahren einen bundesweiten Branchentarifvertrag. Auf ihrer 99. Betriebsrätekonferenz der Flughafen-Betriebsräte aus Deutschland und Österreich haben die dort Versammelten Ende Mai diese Forderung erneut formuliert.

Die Betriebsräte warnen vor einem Systemkollaps an den Flughäfen, wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht änderten. Allein 5.500 Beschäftigte würden aktuell bei den Bodenverkehrsdiensten fehlen. Und selbst wenn sich jetzt schnell neue Beschäftigte anheuern ließen, sie könnten gar nicht sofort anfangen. Bis zu 12 Wochen dauern die Zuverlässigkeitsprüfungen bei jeder einzelnen Bewerbung. Bis dahin ist der Betrieb an manchem Flughafen vielleicht mehr als einmal kollabiert.

Immerhin: Am Flughafen Hannover konnte ver.di Anfang Juni mit dem dortigen Dienstleister Aviation Handling Services ein beachtliches Tarifergebnis erzielen. Die Löhne steigen bis zu 22,6 Prozent, das sind teils mehr als 3 Euro pro Stunde. Und die Zulage für Beschäftigte, die aus dem "Frei" geholt werden, wird um 150 Prozent auf 50 Euro erhöht.