Hannes Wader: Noch hier – Was ich noch singen wollte

Eigentlich hatte Hannes Wader seinen Abschied verkündet, schon 2017 spielte er sein vermeintlich letztes Konzert, zwei Jahre später erschien seine Autobiografie wie ein Vermächtnis, und er erzählte gern, dass er eh schon fast taub sei. Aber 2021 kehrte die Liedermacherlegende doch wieder auf die Bühne zurück, und nun trägt sein neues Album den sprechenden Titel: Noch hier – Was ich noch singen wollte.

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Es ist eine Sammlung aus neu eingespielten Klassikern, Vertonungen alter Gedichte von Hölderlin, Übersetzungen von Mikis Theodorakis oder irischer Traditionals. Mit anrührend gebrochener, aber noch kräftiger Stimme singt Wader deutsche Volks- und Kirchenlieder, hat aber auch eigene Neukompositionen darunter geschmuggelt. So Vorm Bahnhof, einen Klagegesang auf die Abhängigkeit vom Handy, ohne das auch der 1942 geborene Wader "meinen eig'nen Arsch nicht mehr" findet.

Seine eigenen und die fremden Lieder trägt er mit einer Haltung vor, die Wader schon länger auszeichnet: die des auf sein Leben blickenden Alten, weniger weise als leicht stirnrunzelnd, der die Ideale von einst ebenso hinterfragt wie die Realitäten von heute. Der die Irrungen der eigenen Biografie nicht abtut, aber dann doch versucht, bei sich zu bleiben, denn was hat man sonst schon noch. Was ihn wohltuend abhebt von anderen Linken: Er gibt nicht vor, die Welt da draußen noch zu verstehen. Nein, er ist keiner dieser alten weißen Männer, die ganz genau Bescheid wissen, was falsch läuft. Aber er wundert sich darüber, dass es den ganzen Quatsch, allen voran Krieg und Kapitalismus, immer noch gibt, obwohl er und seine linke Alterskohorte doch schon vor einem halben Jahrhundert dagegen gekämpft haben.

Er übt weniger Kritik an den Jungen, die jetzt die Welt gestalten, als an seiner Generation, die es nicht geschafft hat, eine bessere Welt zu hinterlassen. Als Kommentar zum Krieg in der Ukraine singt Wader ein eigenes Lied mit Zeilen, die wirken, als seien sie von der aktuellen Situation inspiriert: "Und statt nach harten präzisen Schlägen, einen leichten, schnellen Sieg, wird es dann nur noch Verlierer geben und niemals Frieden – Krieg ist Krieg." Das Lied stammt bereits von 2003, Wader hat es wieder ausgegraben. Aber auch hier trifft zu, was für nahezu alle Anti-Kriegslieder gilt: Sie werden leider mit den Jahrzehnten nicht weniger zeitgemäß. Thomas Winkler

Stockfisch Records/in-Akustik

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John Scofield: John Scofield

In den 80ern einem breiteren Publikum durch sein dreijähriges Engagement bei Miles Davis bekannt geworden, ist John Scofield seit Jahrzehnten einer der führenden Jazzgitarristen, der allerdings aus verschiedenen Quellen schöpft. Seine Liebe gilt auch dem Rock 'n' Roll und dem US-Folk. Populäre Musikstile, die er bereits in seiner High-School-Zeit pflegte und anschließend in sein innovatives Gitarren-Konzept integrierte. Immer durchtränkt mit dem charakteristisch bluesigen Sound seiner Gitarre. Elektrisch, aber nie die Grenze zum stark Verzerrten überschreitend. Mit seinem neuen Album breitet Scofield nun als 70-Jähriger die breite Palette seines musikalischen Horizonts aus – erstmals auf einem Gitarren-Soloalbum. Hier präsentiert er neben Eigenkompositionen unter anderem eine Ballade von Keith Jarrett, einen Rock 'n' Roll-Song von Buddy Holly und das Folk-Traditional Danny Boy. So verschieden die Zutaten auch sein mögen, Scofield kriegt das alles spielend unter einen Hut – dank seines Talents, seiner Erfahrung und seines Alters. Als reifer musikalischer Senior muss er eben niemandem mehr etwas beweisen. Peter Rixen

CD, ECM

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Future Nuggets: Sounds Of The Unheard From Romania, Vol. 4

Die Compilation des Bukarester Underground-Kollektivs Future Nuggets ist eine Reise durch Raum und Zeit. Seit zehn Jahren schürfen sie auf alten Schallplatten und Kassetten nach ihrem Gold: den traditionellen, fast vergessenen Klängen Rumäniens. Besonders angetan hat es ihnen der frühe Manele - eine traditionelle Liedform Rumäniens, die dem kulturellen Schmelztiegel Südost-Europas entstammt und durch Musiker und Inter- preten der Roma geprägt ist: orientalisch intonierte Melodien und Rhythmen des Balkans mit starken Einflüssen aus der Türkei und Griechenland. Die Texte drehen sich stets um Liebe, Alkohol und die Widrigkeiten des Lebens. Doch klingt dieser Sampler in keinem Moment nach folkloristischer Weltmusik: Das Kollektiv bleibt ihrem Konzept der ersten drei Veröffentlichungen treu. Es schnappt sich nur die "Nuggets", verschmilzt sie mit elektronischen, psychedelischen Klanglandschaften und erzeugt so einen Sound zwischen Zukunft und Vergangenheit. Seit dem letzten Sampler sind einige Jahre vergangen, dafür ist Volume 4 vielschichtiger, beteiligt neue Künstler*innen und wird durch die Zusammenarbeit mit dem Berliner Label Staatsakt erstmals einem internationaleren Publikum zugänglich.

Feline Mansch

CD, LP, Staatsakt