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Foto: Promo

Kraftklub: Kargo

Ohne Kraftklub würde es bald eng fürs Atomino. Der Club ist ein wackeres Gegengewicht zum rechten Mainstream in Chemnitz und will bald seine Neueröffnung in einer alten Wirkmaschinenfabrikhalle feiern – es wird der sechste Ort seit der Gründung 1999. Um die Wartezeit zu überbrücken, bis das neue Leben nach zweijähriger Pandemiepause richtig losgehen kann, spielte natürlich: Kraftklub.

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Die größte Chemnitzer Band, seit Jahren Headliner auf großen Festivals, rockte Anfang September ohne Gage, um Geld zu sammeln fürs Ato- mino, und das nicht zum ersten Mal. Sänger Felix Kummer ist der Sohn von Jan Kummer, Gründer des Betreiber-Vereins, und ohne die Unter- stützung von Kraftklub gäbe es den Club womöglich wirklich nicht mehr. Es ist eines von vielen Beispielen, dass Kraftklub sich nie nur als Rockun- terhalter verstanden haben, ihre Musik war immer mehr als bloß Eskapismus, am augenfälligsten am 3. September 2018. Damals organisierten Kraftklub federführend das „Wir sind mehr“-Konzert: 65.000 Menschen demonstrierten gegen die rechtsextremen Aufmärsche in Chemnitz in den Tagen zuvor. Dass sich seit dem historischen Konzert, zu dem auch die Toten Hosen und Materia angereist waren, nicht viel geändert hat, reflektieren Kraftklub nicht nur im Song Vierter September, sondern im- mer wieder auf ihrem neuen Album. Die Musik, ihr sehr typisches Amal- gam aus Punkrock und HipHop, geht ab, es darf gehüpft und geschwitzt werden. Aber im Text von Wittenberg ist nicht Paris beschwört Felix Kummer alle Gleichgesinnten, sie im Sächsischen nicht allein zu lassen. Ja, klar: „Nazis raus, ruft es sich leichter / Da, wo es keine Nazis gibt“, singt Kummer, aber jeder, der geht, überlässt den anderen das Terrain.

Dass Kraftklub nicht weg gegangen sind, dass sie das Atomino und den Widerstand gegen Rechts nicht allein gelassen haben, dass ihr erster

Hit Ich will nicht nach Berlin hieß, das alles hat sie nicht nur zu Lokalhelden werden lassen, sondern neben Rammstein zu hervorgehobenen Identifikationsfiguren für ganz Ostdeutschland.

Dass sie sich dieser Rolle durchaus bewusst sind, beweisen sie damit, dass sie sich ausgerechnet Tokio Hotel eingeladen haben, um Fahr mit mir (4x4) aufzunehmen, eine Hymne auf den Lada Niva, den Range Rover des Ostens. „Es tut mir leid, etwas mit Heimatministerium kann für mich keine Heimat sein“, singt Bill Kaulitz, und im dazugehörigen Videoclip posieren die Immer-noch-Chemnitzer mit den ehemaligen Magdeburgern in einem der Geländewagen, die auch erfolgreich in den Westen exportiert wurden – ganz so wie Kraftklub.

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Papiers D'Arménies – Guenats Pashas

Papier D'Arménie, also armenisches Pa- pier, ist mit dem Harz von Storaxbäumen getränkt und verbreitet beim Verglim- men einen ansprechenden Wohlgeruch. Anders als der Raumduft-Klassiker ver- wendet das französische Quintett mit armenischen Wurzeln die Pluralform und macht damit die Vielfalt seiner musikalischen Aromen klar. Die reichen nämlich über die armenische Tradition mit Instru- menten wie der Kamantche-Geige und der Aprikosenholz-Oboe Duduk hinaus nach Anatolien, Georgien und Griechenland und korrespondieren zugleich vor- züglich mit westlichen Einflüssen. Dieses moderne Konzept mit Texten auch über Fragen wie Vertreibung und Migration, geht auf das Konto von Dan Gharibian, ehemals vier Jahrzehnte lang Gitarrist und Sänger der fran- zösischen Kult- band Bratsch. Seine Tochter Macha trägt als versierte Jazzpianistin und Arrangeurin viel zu dieser zwischen Tradition und Moderne oszillierenden Klangwelt bei. Einer Klangwelt, die vollkommen kitschfrei Sehnsüchten nachspürt, den nachdenklich Momenten Raum gibt, aber auch die schönen Seiten des Lebens ausgelassen feiert. Peter Rixen

CD, Meredith

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Mykki Blanco: Stay Close To Music

Es ist gar nicht so einfach, Mykki Blanco zu fassen. Das fängt schon mit dem Personalpronomen an. Als der Künstler auftauchte, war er ein Pionier als Schwarzer und schwuler Rapper, der HipHop-Fans im Transenfummel irritierte. Seitdem hat Blanco als Musiker*in, Dichter*in, Aktivist*in und wandelndes Gesamtkunstwerk mehrere Identitäten durchlaufen, künstlerische und persönliche. Geboren 1986 als Michael David Quattlebaum Jr. in Kalifornien, wurde Blanco zur „sie“ und definiert sich nun als non-binär mit dem Pronomen „they“ im Englischen. Entsprechend vielfältig ist auch das neue Album. Einerseits thematisiert Blanco in Carry On das gleich dreifach diskriminierte Leben als Schwarzer Schwuler mit aids, aber auch sein Aufwachsen in einem religiösen jüdischen Elternhaus oder wird theoretisch in Your Feminism Is Not My Feminism. So divers wie die Inhalte sind die Musik und die Gäste: Zusammen mit dem Anti-Folk-Barden Devendra Barnhart, Engelsstimme Ahnoni oder dem veritablen Megastar Michael Stipe von r.e.m. sind Tracks entstanden, die so fluide auf den Grenzen zwischen Rap, Jazz, Dancefloor, Indie-Pop und Klangkunst wandeln wie die Person Mykki Blanco zwischen seinen faszinierend vielen Identitäten. Thomas Winkler

Pias /Transgressive /Rough Trade