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Foto: Christian Jungeblodt

Dass sie ihr Sauerteigbrot mit Kurkuma-Frischkäse und ihren Matcha Latte nicht mit Kreditkarte zahlen kann, ist eine Frechheit, findet Ingrid. "Eine Zumutung!" hört man es über den Berliner Kollwitzplatz schallen. Keine 30 Meter weiter weht ein Abrisszettel mit einem Link zur einer Petition gegen die Abschaffung des Bargelds im Wind. Darauf abgebildet sieht man Microsoft-Gründer Bill Gates, wie er mit Dollarzeichen in den Augen einen großen "Reset"-Knopf drückt – der Zusammenhang bleibt unklar.

Klar hingegen ist: Der Streit um das Bargeld erregt die Gemüter. Die einen ärgern sich maßlos, wenn sie im Restaurant nicht mit Karte zahlen können. Die anderen befürchten, höhere Mächte wollten das Bargeld gar ganz abschaffen, um sie wie in Tolkiens Herr der Ringe ins Dunkel zu treiben und ewig zu knechten.

Deutschland liegt hinten

Tatsächlich liegt Deutschland beim bargeldlosen Zahlungsverkehr im europäischen Vergleich weit zurück. 58 Prozent aller alltäglichen Zahlungen werden immer noch bar getätigt. Viele Apotheken und Cafés bieten Kartenzahlung erst ab einem Betrag von 5 Euro an. In Spätis, Büdchen und anderen kleinen Geschäften ist es häufig gar nicht möglich.

Grundsätzlich halten mehr Kunden in den ostdeutschen Ländern am Bargeld fest. In Sachsen-Anhalt zahlen die wenigsten Personen bargeldlos: 41 Prozent. Schaut man nach Schweden oder nach Norwegen, ist hier fast ausschließlich bargeldlose Zahlung angesagt. 98 Prozent aller Norweger besitzen eine Debitkarte und laut Norwegens Zentralbank werden nur 3 bis 5 Prozent aller Zahlungen mit Bargeld getätigt. Sogar manch Obdachloser in Skandinavien ist mit einem Kartenlesegerät ausgestattet. Bis auf die Anschaffungskosten von umgerechnet etwa 30 Euro fallen je nach Anbieter Gebühren von 1 bis 3 Prozent pro Transaktion an. Voraussetzung ist ein bestehendes Bankkonto sowie eine Bluetooth-Verbindung zu einem Handy mit Internetanbindung.

Doch welcher Obdachlose hierzulande hat das schon? Der bargeldlose Zahlungsverkehr droht die Ärmsten abzuhängen. Denn was passiert mit Bedürftigen, die auf der Straße betteln? Mit Obdachlosen, die ihre Zeitung verkaufen? Oder mit Straßenmusikern? Alle sind auf das Kleingeld in der Tasche der Passanten angewiesen. Sollte irgendwann der Bargeldzahlungsverkehr eingestellt werden, würden diese Menschen noch größere Existenzprobleme bekommen.

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Uwe hat fast acht Jahre auf der Straße gelebt. Auf seinen Stadt-touren berichtet er von dieser ZeitFoto: Renate Kossmann

Bargeld ist inklusiv

Fragt man Uwe, sieht er große Hürden – nicht erst bei der Anschaffung eines Kartenlesegeräts. Uwe hat fast acht Jahre auf der Straße in Berlin-Mitte gelebt. Heute gibt der Berliner beim Verein querstadtein fast täglich Stadttouren aus der Sicht eines ehemals Obdachlosen und berichtet von seinem Alltag auf der Straße und seinen Überlebensstrategien: "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Obdachlose bei uns mit einem Kartenlesegerät ausgestattet werden. Schon allein, weil man dafür ja ein Konto braucht." Über die Wohnungslosenhilfe könne zwar jeder Obdachlose mit seinem Ausweis unbürokratisch und kostenlos ein Konto eröffnen. Doch ein Großteil der Obdachlosen in Deutschland käme aus anderen EU-Ländern, sagt Uwe. "Die müssen erst fünf Jahre warten, bis sie sich über die Wohnungslosenhilfe oder einen anderen sozialen Träger melden können und ein Postfach bekommen." Dies sei jedoch Voraussetzung für ein Konto.

Digitaler Klingelbeutel

Dennoch scheint der Siegeszug des bargeldlosen Zahlungsverkehres unaufhaltbar. Selbst der Klingelbeutel in Kirchen wird jetzt digital. Der Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte verantwortet seit 2019 die Entwicklung und Einführung des digitalen Klingelbeutels. Kirchgänger*innen könnten schon in naher Zukunft ganz bequem per Apple Pay oder PayPal an die Gemeinde spenden.

Weltweit arbeiten Banken und Finanzkonzerne daran, Bargeld abzuschaffen. Das wiederum ist keine Verschwörungstheorie, sondern Teil eines Digitalisierungsprozesses, darauf ausgelegt, den Profit zu maximieren. Ein weiteres Problem aber ist das Überwachungspotenzial. Nicht jeden Kauf will man dokumentiert wissen. Digitale Zahlungssysteme gehören privaten Konzernen und die sammeln munter die Daten unserer Kontobewegungen. Unternehmen können mit diesen Daten Handel und Regierungen Schindluder treiben. Ein aktuelles Beispiel dafür ist China und sein System der digitalen Überwachung.

Auch jede Spende, die auf ein Konto eines Obdachlosen überwiesen wird, würde registiriert, bemängelt Uwe. Regelmäßige Zuwendungen und Geldgeschenke für Hartz-IV-Empfänger können als Einkommen verrechnet und vom Hartz-IV-Satz abgezogen werden. Uwe befürchtet, dass Leistungen dann gekürzt werden könnten. Bewege sich die Gesellschaft weg vom Bargeld, würden die Ärmsten der Armen immer weiter abgehängt werden.

Mehr Gespür für Obdachlose

Befragt man dazu spontan einige Menschen auf der Straße, zeigt sich ein Generationsgefälle. Während ältere Menschen Bargeld nicht nur bevorzugen, sondern sich auch kaum vorstellen können, digital zu spenden, würden jüngere Menschen diesen Weg vorziehen. "Ich finde gerade das kontaktlose Zahlen, wo man nur die Karte oder das Handy ranhalten muss, ist eine mega Entwicklung. Wenn das auch für Obdachlose umsetzbar wäre, finde ich das eine gute Option. Vermutlich würden die Leute dann auch höhere Beträge spenden."

Die junge Frau, die gerade mit ihrem Hund auf den Bus wartet, kann das Misstrauen vieler Menschen gegenüber der Methode jedoch verstehen: "Für ältere Menschen kann ich mir vorstellen, dass die Schwelle etwas höher ist und da auch das Vertrauen fehlt. Meine Oma würde ganz sicher keinem Fremden einfach ihre Kreditkarte hinhalten."

Einem anderen Passanten ist es schlicht zu unpersönlich: "Wenn sich jemand in einer prekären Situation befindet und ich mich entscheide, ihn mit Geld zu unterstützen, ist es etwas, das auf einer persönlichen Ebene stattfindet. Wenn das dann aber mit so einem Kartenlesegerät stattfinden würde, bekäme es eine geschäftliche Note. Wie eine Transaktion. Das finde ich unpassend."

Bevor sich Uwe nach unserem Gespräch zu seiner nächsten Stadtführung in Richtung Berlin Mitte aufmacht, wünscht er sich von den Menschen etwas mehr Gespür für die Situation von Obdachlosen: "Jeder, wirklich jeder kann obdachlos auf der Straße landen. Auch wenn deine Eltern Anwälte oder sonst etwas sind. Man muss auch nicht jedem Geld geben. Aber Respekt, den hat jeder verdient."

Bargeldlos in Schweden

In Schweden sieht man Münzen und Scheine kaum noch. Im Jahr 2021 haben die Bürger*innen des Landes durchschnittlich etwa 339,6 Kartenzahlungen getätigt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es nur etwa 99,3 Kartenzahlungen. Bis 2030 dürfte sich die Anzahl der digitalen Zahlungen pro Person weltweit nahezu verdreifachen.