Vordenker ohne Hosen

Christian Rickens: Die neuen Spießer

Christian Rickens hatte ein Erweckungserlebnis: Bei einem netten Essen mit Freunden outet sich einer nach dem Käsefondue als CDU-Wähler. "Woher kommt die neue Lust an alten Werten?". fragt sich Rickens fortan und "Warum erfasst sie auch Menschen mit Jeans, Nickelbrille und strubbeligen Haaren?" "Die Deutschen sterben aus", "die Achtundsechziger haben unser Wertesystem ruiniert", "uns fehlt ein neuer Patriotismus", "Mütter ohne Beruf brauchen sich nicht zu schämen"... Viele werden bei der Lektüre von Die neuen Spießer nicken: Es ist in der Tat erstaunlich, wie viele man davon trifft und mit welchen Themen und Thesen man im Feuilleton und auf Partys neuerdings konfrontiert wird.

Es ist die Stärke von Rickens' Buch, die vermeintlich neuen Diskussionen um Familie, Werte und Patriotismus als das zu zeigen, was sie sind: "Reaktionäres Stammtischgequatsche in pseudointellektueller Verpackung."

Es ist schon ein Spaß, wenn er die Vordenker der neuen Bürgerlichkeit, Schirrmacher, Nolte, Birg und di Fabio erst ausgiebig zu Wort kommen lässt und ihnen dann mit einem Satz die Hosen runterzieht. Das gelingt ihm mit Wortwitz, aber auch, indem er ihre Behauptungen mit sozialwissenschaftlichen, ökonomischen Befunden konfrontiert: Rente, Zuwanderung, Werteverfall, neue Unterschicht, Kriminalität. Wenn man genau hinsieht, stellt sich unsere gesellschaftliche Realität als kompliziert, aber bei weitem nicht so apokalyptisch dar, wie es die konservativen Panikmacher behaupten.

Hätte Rickens es bei seiner Kritik belassen, wäre das Buch ein Volltreffer. Als verantwortungsbewusster und politisch denkender Autor versucht er dann aber eine Antwort auf die erwartbare Frage: Was können wir tun?

Die Antwort geht in etwa so: Alle seien sich im Grunde klar darüber, was politisch zu tun sei. Die Schröderschen Reformideen gingen in die richtige Richtung, seien aber schlecht durchdacht und schlampig implementiert. Weitere Reformen müssen her, denn es gebe im Grunde keine Alternative zur angebotsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Rückkehr zur Umverteilung führe Deutschland jedenfalls in den sicheren Niedergang. Das ist deutlich weniger originell als der Rest des Buchs und so oder so ähnlich würde das auch Hans Olaf Henkel schreiben. Rickens' Ausweg, sein soziales Gewissen mit dem vermuteten Reformstau zu versöhnen, liegt nahe: Auf knapp zwei Seiten skizziert er die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.

Mit dem ansonsten herrlich pragmatisch argumentierenden Autor könnte man nach einem guten Käsefondue sicher angeregt darüber diskutieren, warum junge deutsche Intellektuelle vom Grundeinkommen träumen, während junge Franzosen wegen befristeter Arbeitsverträge beinahe ihre Regierung stürzen. Oder darüber, warum er hofft, in der Umweltpolitik und beim Klimaschutz könnte das gelingen, was er für unmöglich hält, wenn es um soziale Standards geht: ein transnationales, zumindest europaweites Vorgehen.HERMANN MÜLLER

Sachbuch, Ullstein Verlag, 288 Seiten, 14€

Es ist die Stärke von Rickens' Buch, die vermeintlich neuen Diskussionen um Familie, Werte und Patriotismus als das zu zeigen, was sie sind: "Reaktionäres Stammtischgequatsche in pseudointellektueller Verpackung."

Es ist schon ein Spaß, wenn er die Vordenker der neuen Bürgerlichkeit, Schirrmacher, Nolte, Birg und di Fabio erst ausgiebig zu Wort kommen lässt und ihnen dann mit einem Satz die Hosen runterzieht. Das gelingt ihm mit Wortwitz, aber auch, indem er ihre Behauptungen mit sozialwissenschaftlichen, ökonomischen Befunden konfrontiert: Rente, Zuwanderung, Werteverfall, neue Unterschicht, Kriminalität. Wenn man genau hinsieht, stellt sich unsere gesellschaftliche Realität als kompliziert, aber bei weitem nicht so apokalyptisch dar, wie es die konservativen Panikmacher behaupten.

Hätte Rickens es bei seiner Kritik belassen, wäre das Buch ein Volltreffer. Als verantwortungsbewusster und politisch denkender Autor versucht er dann aber eine Antwort auf die erwartbare Frage: Was können wir tun?

Die Antwort geht in etwa so: Alle seien sich im Grunde klar darüber, was politisch zu tun sei. Die Schröderschen Reformideen gingen in die richtige Richtung, seien aber schlecht durchdacht und schlampig implementiert. Weitere Reformen müssen her, denn es gebe im Grunde keine Alternative zur angebotsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Rückkehr zur Umverteilung führe Deutschland jedenfalls in den sicheren Niedergang. Das ist deutlich weniger originell als der Rest des Buchs und so oder so ähnlich würde das auch Hans Olaf Henkel schreiben. Rickens' Ausweg, sein soziales Gewissen mit dem vermuteten Reformstau zu versöhnen, liegt nahe: Auf knapp zwei Seiten skizziert er die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.

Mit dem ansonsten herrlich pragmatisch argumentierenden Autor könnte man nach einem guten Käsefondue sicher angeregt darüber diskutieren, warum junge deutsche Intellektuelle vom Grundeinkommen träumen, während junge Franzosen wegen befristeter Arbeitsverträge beinahe ihre Regierung stürzen. Oder darüber, warum er hofft, in der Umweltpolitik und beim Klimaschutz könnte das gelingen, was er für unmöglich hält, wenn es um soziale Standards geht: ein transnationales, zumindest europaweites Vorgehen.HERMANN MÜLLER

Sachbuch, Ullstein Verlag, 288 Seiten, 14€


Johann-Günther König: Die Lobbyisten. Wer regiert wirklich?

Der Verdacht des Autors: die "ökonomische Oligarchie"! Im genauen Text seines Buches heißt es: "Im Informationszeitalter verlagert die herrschende Politik wichtige Gesetzgebungsprojekte in den vorparlamentarischen Raum.". Dort wird fleißig mitregiert, in der "Lobby" der Parlamente, wo gut bezahlte Lobbyisten an Gesetzesvorlagen feilen: professionelle (hoch qualifizierte Berater aus Wirtschaft, Finanzwelt, Verbänden), eingebaute (Abgeordnete, zugleich vielfache Aufsichtsräte) oder Seitenwechsler - es gibt ein schönes Leben nach dem Mandat. "Man kennt sich, man speist miteinander", aber 5000 Lobbyisten haben auch einen Hausausweis für den Bundestag, 7000 beim Europäischen Parlament. Die Welt ist komplex, der Beratungsbedarf der Legislative hoch, Lobbyarbeit also notwendig. Was König als Lobbyismus analysiert - von den Anfängen des europäischen Parlamentarismus' zum deutschen Kaiserreich über Nazideutschland, die Adenauer-Ära bis in die Gegenwart, zeigt jedoch bedrohliche Aushöhlungen einer wirklich pluralistischen Interessenvertretung.ZÄH

PATMOS 2007, 320 SEITEN, 19,90 €


Ulrike Edschmidt: Die Liebhaber meiner Mutter

Ulrike Edschmidt wurde als Autorin fremder Lebensgeschichten - etwa von Frauen schreibender Männer oder Terroristinnen (Frau mit Waffe) - bekannt. Hier schenkt sie uns die in einen Roman verwandelte Geschichte ihrer ungewöhnlichen Mutter - zunächst eine Kriegerwitwe wie viele andere. Als Alleinerziehende ohne Ausbildung bringt sie, oft improvisierend, ihre Familie durch. Doch beweist diese Frau dabei eine besondere Stärke und große Unabhängigkeit. Das ist es, was sie faszinierend macht, selbst als sie nicht mehr jung ist. "Meine Schwester ist schön, ich bin praktisch", sagt sie über sich selbst. "Obwohl meine Tante besser Englisch sprach, verliebte sich der Amerikaner in meine Mutter", erinnert sich die Tochter, die das, was sie beobachtete und das, was sie später begriff und erfuhr, in einem respektvollen Abstand und oft mit Staunen und Bewunderung schildert. Die verschiedenen Männer kommen zwar durch Zufälle ins Leben der Mutter, aber das Ende bestimmt immer sie selbst. Nur den letzten Mann muss sie unfreiwillig durch ihren Tod verlassen.Klix

Insel, 150 S., 16,80 €