Die Textilindustrie in Kambodscha produziert ausschließlich für den Export, für Adidas, Gap und andere Markenhersteller. 45 Dollar Monatslohn sind an der Tagesordnung

MICHAEL LENZ

Am 24. Februar wurde Hy Vuthy in Phnom Penh auf offener Straße erschossen. Vuthy ist der dritte hohe Funktionär aus Kambodschas größter unabhängiger Gewerkschaft Free Trade Union (FTU, 70000 Mitglieder), der im Laufe von drei Jahren ermordet wurde. Im Januar 2004 starb der Präsident und Gründer der FTU Chea Vichea im Kugelhagel. Sein enger Vertrauter Ros Sovannareth wurde vier Monate später erschossen. Keiner der Morde wurde aufgeklärt. Chea Mony, Vorsitzender der FTU und Bruder von Chea Vichea, lässt keinen Zweifel daran, dass er die Hintermänner der Morde in Kambodschas Regierungspartei "Kambodschanische Volkspartei" (CPP) oder in der Regierung von Ministerpräsident Hun Sen selbst vermutet. "Wer aufmuckt, wird erschossen", sagt der 36-jährige Gewerkschaftsführer.

Textilarbeiterinnen in Kambodscha

Für faire Löhne

Unbeeindruckt von Morden und Schikanen kämpft die FTU für faire Löhne, soziale Absicherung und langfristige Arbeitsverträge in der Textilindustrie. Eine Erhöhung des Mindestlohns von 45 auf 55 Dollar (Kambodschas inoffizielle Währung) verlangte die FTU zusammen mit 17 anderen unabhängigen Gewerkschaften im Herbst. Die Regierung des Landes, die "offiziellen" Gewerkschaften, die International Labour Organisation (ILO) und der Arbeitgeberverband der Textilindustrie handelten 50 Dollar Monatslohn oder 2,02 Dollar pro Tag aus. Chea Mony hält nicht mehr viel von der ILO: "Die ist hier zu regierungsnah."

Kambodschas Textilindustrie produziert ausschließlich für den Export. Ob Gap, H & M oder Adidas, kein großer Markenartikler dieser Welt, der nicht einen Teil seiner in den Boutiquen und Kaufhäusern des Westens verkauften Produkte auch in Kambodscha produzieren lässt. Jeder Faden, jeder Knopf, jeder Stoff muss importiert werden. Kambodscha verdankt seine Textilindustrie den Quoten des Multifaserabkommens, mit denen EU und vor allem die USA den Massenimport von Billigtextilen aus China und Taiwan eindämmen wollten. Die Produzenten, vor allem aus China, Taiwan, Singapur und Malaysia, wichen auf Kambodscha aus.

80 Prozent der Exporte

Textilien sind inzwischen für 80 Prozent der Exporte Kambodschas gut. Gut 300000 Menschen, die meisten davon Frauen, haben Arbeit in der Textilindustrie und versorgen mit ihrem Gehalt mehr als 20 Prozent der fast 14 Millionen Kambodschaner. Der größte Abnehmer der Textilien sind die USA, 22 Prozent des Exports gehen in die EU, mit Deutschland als wichtigstem Absatzmarkt. Die Textilindustrie ist eine wesentliche Grundlage für das satte Wirtschaftswachstum von 13,4 Prozent im vergangenen Jahr.

Das Multifaserabkommen ist zwar ausgelaufen, aber der Standort Kambodscha steht noch immer hoch im Kurs. Ein Grund dafür ist der "Wohlfühlfaktor". Auf Druck der USA wurden 2001 Mindeststandards für Arbeitsplätze und Löhne eingeführt. Darüber wachte die ILO mit ihrer eigens gegründeten Organisation "Better Factories". Nach der Anlaufphase wird "Better Factories" jetzt schrittweise bis 2009 in die Regie der kambodschanischen Regierung übergeben. "Better Factories" verspricht den Konsumenten im Westen, beim Kauf einer Jeans "Made in Cambodia" keinen politischen Fauxpas zu begehen. Ob es aber wirklich "bessere Fabriken" sind als in anderen Entwicklungsländern, ist schwer zu überprüfen. Die Bitte des Autors bei der ILO in Phnom Penh, eine Textilfabrik besuchen zu können, wurde abgelehnt. "Wir bekommen so viele Medienanfragen." Ein deutscher Konzern, der in Kambodscha produziert, winkte auch ab. "Medienbesuche nur in Begleitung eines Firmenvertreters. In absehbarer Zeit wird aber niemand nach Kambodscha kommen."

James ist der Inspekteur eines nordamerikanischen Unternehmens, das seine Hosen und Hemden in Kambodscha nähen lässt. Seine Aufgabe ist es, die Einhaltung von Standards für die Arbeitnehmer zu überprüfen. James, der seinen vollen Namen nicht genannt wissen will, sagt: "Die Fabriken in den Städten sind besser, weil sie leichter zu kontrollieren sind. Je weiter draußen sie sind, desto schlimmer sind die Zustände." Zudem wüssten die Chefs dank korrupter Politiker und Funktionäre regierungsnaher Gewerkschaften oft im voraus, wann eine Inspektion fällig sei. "Dann ist alles in Ordnung, die Arbeiter beschweren sich nicht und lächeln."