Wüterich der Weltmusik

Manu Chao: La Radiolina | Manu Chao bleibt der weltweit beliebte Ethno-Punk, rastlos gegen das Mainstream-System musizierend, präsent auf den Straßen zwischen Barcelona, Bamako, Buenos Aires und Brasilien, immer bei den Menschen in den Bars, auf den Plätzen, in den Dörfern und Favelas. Der Franzose spanischer Eltern, Gründer der stilprägenden Reggae-Punk-Band Mano Negra, machte schon in den 80ern für soziale Belange und gegen politische Missstände musikalischen Alarm. Von der französischen Anti-Rassismus-Kampagne "Mach meinen Kumpel nicht an!" bis zum G8-Gipfel in Genua: Manu Chao war aktiv dabei, lässt sich aber bis heute nicht vereinnahmen; von keiner Organisation, keiner Plattenfirma und auch nicht von Bono und Bob Geldof. Bei Live 8 konnte und wollte er nicht auftreten. Die unfreiwillige Ikone der Globalisierungsgegner war aber nicht weg, sondern - wie immer - unterwegs. Mit Mano Negra hatte er per Schiffstour französische Musikkultur in südamerikanische Häfen gebracht und für die Rekonstruktion einer Eisenbahnlinie in Kolumbien gespielt. In Buenos Aires arbeitet er seit Jahren für die kleine Radiostation einer Nervenheilanstalt. Zufällig traf er den Regisseur Emir Kusturica irgendwo in Argentinien und komponierte den Soundtrack zu dessen Maradona-Dokumentation. Die letzte Manu-Chao-CD gab es nur mit einem Kinder-Comic-Band an französischen Kiosken.

Jetzt ist der ewige Verweigerer des World Wide Pop mit neuem Album und einer Tour zurück. La Radiolina geht da weiter, wo das letzte Studio-Album Proxima Estacion: Esperanza vor fünf Jahren Zwischenstopp gemacht hatte, nur mit viel mehr Dampf, peitschendem Punkrock, elektrischen Wah-Wah-Gitarren und aufstachelndem Afro-Speed-Folk. Seit seiner Erfolgsarbeit Dimanche à Bamako für das blinde Mali-Blues-Duo Amadou & Mariam hat der unbeugsame Global Player auch afrikanische Musiker in seiner Band. Rainin In Paradize, die erste Single, prangert die desolate Lage im Kongo, aber auch im Irak und in Palästina an, Politik Kills drückt die kompromisslose Haltung des Künstlers aus. Manu Chao würde nach eigener Aussage nie ein offizielles Amt bekleiden: "Politic needs lies, politic use bombs, (...) that's why my friend, it's an evidence... politic is violence". Neben solch naiven, aber eindringlich gereimten Versen auf Englisch singt und rappt Manu Chao nach wie vor auf Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch, manchmal alles in einem Song. Und auch das ist Manu Chao: Ob seine Fans den Tresen finden oder nicht - der gegen jede Werbung allergische Meister lässt vor jedem Auftritt in den Hallen das Logo der Brauereien abkleben. Andreas Vick

CD, RADIO BEMBA / BECAUSE / WARNER MUSIC. Konzerttermine: 19.10. HAMBURG, 21.10. KÖLN, 25.10. FRANKFURT /M., 27.10. BERLIN, 28.10. MÜNCHEN


Raul Midón: A World Within A World | Im Jahr 2005 tauchte Raul Midón aus dem Nichts auf und eroberte mit seinem Debütalbum State of Mind auf einen Schlag Kritiker und Publikum. Gegen die heute so oft verbreitete Beliebigkeit in der Popmusik setzt der US-amerikanische Songwriter seine musikalische Welt aus Leidenschaft und Können. Midón, ein blinder, Gitarre spielender Mestizo - ein Elternteil aus Argentinien, das andere afroamerikanisch - hat noch eine weitere Spezialität: die Mund-Trompete. Kein real existierendes Instrument, sondern eines, das mittels menschlich-natürlicher Stimm-Manipulation verblüffend echt klingt. Geerdet in der großen Tradition von Gospel über Soul bis zu lateinamerikanischen Rhythmen, klingt der Sänger ein wenig wie eine Mischung aus Stevie Wonder und Paul Simon. Gleichzeitig aber ist er ganz und gar unverwechselbar. Midón ist keiner von der Sorte, der vorgibt, die Antworten auf die fundamentalen Fragen der Menschheit zu kennen, sondern einer, der die richtigen Fragen stellt. Auf einige gibt er dann sehr persönliche Antworten. Gegen das Chaos in der Welt setzt er seine Kreativität und seinen unerschütterlichen Glauben an die Macht des Guten. Midón, der blinde Mahner, sorgt dafür, dass wir zu Sehenden werden. RIX

CD, EMI


Shantel: Disko Partizani! | Schon seit einigen Jahren wissen wir: Der Osten ist in popmusikalischer Hinsicht wildes Terrain. Einer, der sich schon lange für den Wildwuchs auf dem Balkan interessiert, ist der Frankfurter DJ, Label-Macher und Musiker Stefan Hantel alias Shantel. Folklore ist der neue Club-Pop, das ist Shantels Devise - und die Tanzwilligen folgen ihm. Wer einmal eine von Shantels ungemein erfolgreichen Bukovina-Partys besucht hat, weiß: Hier fliegen Arme und Körper, als ob es kein Morgen gäbe. Auch sein neues Album - eingespielt mit hervorragenden Musikern aus einem Dutzend osteuropäischer Länder - bringt das alles zusammen: die Hochzeitsmusik der Roma-Blasorchester, das berauschende Kultur-Mischmasch der Bukovina, jiddischen Klezmer, südosteuropäische Folklore, serbische Blasmusik, Dancebeats, Polka, Ska, Dancehall- Reggae, Türk-Pop, Hip Hop, Elektropop, R'n'B, Rock und Funk. Eine Befreiung wie Hantel sagt: "Hier geht es um ein generelles Lebensgefühl, losgelöst von Genres oder Stilen. Es ist völlig out, völlig unzeitgemäß, es ist alt, es ist neu, einfach nicht zu fassen." Disco Partizani! ist ein verwirrendes, kosmopolitisches Album, das Folk-Traditionalisten genauso hassen werden wie Elektro-Puristen: Für alle Freigeister jenseits der Lager gibt es hier eine feurige Welt zu entdecken. MP

CD, ESSAY/INDIGO